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MACBETH von Giuseppe Verdi, Deutsche Oper Berlin, Premiere am 23. November 2024. Foto: © Eike Walkenhorst

MACBETH von Giuseppe Verdi, Deutsche Oper Berlin, Premiere am 23. November 2024. Foto: © Eike Walkenhorst

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Zu brav – Giuseppe Verdis „Macbeth“ an der Deutschen Oper Berlin

Vorspann / Teaser

Verdis „Macbeth“ war die erste italienische Oper, die unerbittlich konsequent Shakespeare reflektierte. So viele düstere Molltonarten, so schrille Dissonanzen, so stakkatohafte Chöre und nervös-hektische Orchesterfiguren gab es kaum je vor 1847, als die Oper in Florenz uraufgeführt wurde. „Ein Gesamtkunstwerk“ im Wagnerschen Sinne nannte Verdi seine Oper, die die Zeitgenossen einigermaßen irritierte. Nur über zwei Hauptrollen verfügt sie: Macbeth und seine Lady, und sie enthält keine Liebesgeschichte. Die Oper spielt im 11. Jahrhundert in Schottland. Machtgier, Mordlust und Zerstörungswut bilden den Stoff, aus dem Shakespeares wie Verdis „Macbeth“ geschaffen sind. 

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Noch heute nennen die Italiener das Stück eine „opera senza amore“. Es geht nicht um Liebe in dem Stück, sondern ausschließlich um Macht, Machtrausch und blutiges Morden. Die Oper enthält auch kaum Arien im tradierten Sinne, dafür große Chorpartien (hervorragend der Chor der Deutschen Oper unter Jeremy Bines) und sie wartet mit einer Orchester­sprache auf, die mit neuartigen Klängen und Harmonien experi­mentiert. 

Man spielt übrigens in Berlin eine Art Hybridfassung, also eine Mischfassung aus der Urauf­führungsversion von Florenz und der Pariser Fassung der Oper.

Seine Macbeth-Vertonung bescherte Giuseppe Verdi die erste, einschneidende Krise in seiner Kunst, denn zum ersten Mal sah er sich gezwungen, innerhalb seiner musikalischen Sprache Mittel zu finden, um die Pole des dramatischen Geschehens eindeutig zu charak­terisieren und Zusammenhänge musikalisch herzustellen, und das jenseits traditioneller „ge­schlossener Nummern“, also Formen wie der Arie, des Ensembles, der Chöre und Finali. Kein leichtes Unterfangen. Macbeth ist kein leichtes Stück! Doch was dem Kom­ponisten gelang, muss sich bei jeder Inszenierung auch auf der Szene bewähren, will sagen, die Heraus­forderungen dieser Oper an jeden Regisseur sind groß! Es handelt sich schließlich um ein re­lativ plakatives Handlungsgeflecht, in dem es um nichts weiter als um zwei Prota­go­nisten und ihr dialektisches, vom gnadenlosen Machtstreben beherrschtes Verhältnis geht: Macbeths geheime Gelüste nach dem Thron von Schottland und den Ehrgeiz seiner skrupel­losen Frau, die be­zeich­­nenderweise keinen eigenen Namen trägt, Lady Macbeth. 

Die französische Regisseurin, die sich zunächst als Film- und erst später als Opernregisseurin einen Namen gemacht hat, enttäuscht mit ihrer Inszenierung. Dass gerade Sie als Filmregisseurin eine so austauschbare, belanglose, ja zusammenhangslose, wenig psychologisch interessante Inszenierung hinlegte, mit viel Rumsteherei und einer aufgesetzten Handlung – dem Kampf um Öl- und Gasressourcen in der Nordsee – ist unverständlich. Klar, sie hat das Stück vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Energiekrise inszeniert als ein Stück von heute. Doch das ist – eingedenk der teilweise geradezu abstrusen Programmheftbeiträge – reines Behauptungstheater. Man sieht zwar heutige Kostüme (der Berliner Kostüm- und Bühnenbildnerin Yashi), allerdings auch solche aus dem 19. Jahrhundert, scheinbar willkürlich zusammengewürfelt. Die Hexen werden als brave, adrett schwarz-weiß gekleidete Büroangestellte an Laptops gezeigt, auf denen sie fleißig schreiben – KI lässt grüßen – aber das ergibt gar keinen Sinn, hat auch keine Folgen für die Inszenierung. 

Im Grunde lässt Marie-Ève Signeyrole nur Wände, Rahmen und beleuchtete, sterile Räume hin- und herschieben (was technisch nicht reibungslos funktioniert), ihre Personenführung ist konventionell und wenig aufregend. Besonders überflüssig und belanglos sind ihre ständigen Videosequenzen, die sie auf Leinwände projizieren lässt, die von Schnürboden herabgelassen werden. In ihnen sieht man nur die Sänger- noch einmal. Es gibt Regisseure, die mit dem Einsatz von Videos einen kommentierenden Subtext bieten können, der eine zusätzliche Bedeutungsebene erschließt. Frau Signeyrole kann oder will es nicht.

Auch die Bühne von Fabien Teigné ist beliebig, ja austauschbar. In den hin- und herfahrenden Rahmen und Räumen könnte man jedes Stück spielen. Und der symbolschwangere Hirsch, der immer wieder in Variationen auftaucht, ist einfach banal. Der Wald von Birnam, wie überhaupt jede historische oder konkrete Verortung fehlt komplett.

Es ist ein sehr disparater, ein langweiliger Abend, der einen nicht bewegt. 

Was erstaunlich ist bei diesem Stück, das so zeitlos aktuell ist, ein blutrünstiges wie gnadenloses Stück über das Thema Macht contra Moral. Es geht ja um die ehrgeizigen Ambitionen einer entfesselten Lady, einer kalt­blütigen Domina der Macht und dem ängstlichen Agieren des unter ihrem Pantoffel stehenden Titelhelden. Angeheizt von seiner Gattin ermordet Macbeth den alten König, und das ist nur der Anfang einer Ketten­reaktion des Mordens. Das Stück endet mit Wahnsinn und Tod des Tyrannen. Was für aktuelles Potenzial hätte das Stück. Marie-Ève Signeyrole nutzt es nicht. Die Regisseurin wurde denn auch vom Publikum mit Buhsalven abgestraft.

Sängerisch war der Abend hochkarätig besetzt, jedenfalls was die Männer anbetrifft. Roman Burdenko sang einen kraftvollen Macbeth, eine Autorität von Bariton, obwohl er doch unterm Pantoffel seiner Frau steht. Eine schöne Überraschung war der lyrische, deutsch-italienische Tenor Attilio Glaser (Ensemblemitglied der Deutschen Oper) als Macduff, der schwarze Bass des Banquo von Marko Mimica war die reine Freude. Eine große Enttäuschung war hingegen Felicia Moore als Lady, sie sprang für Anastasia Bartoli, die die Lady hatte singen sollen, ein. Sie hatte kurzfristig abgesagt. Die junge, wohlbeleibte, und daher relativ unbewegliche Amerikanerin hat zwar unangestrengt und mit voluminösem Sopran „schön“ gesungen. Leider besitzt sie als Lady Macbeth, die ja die eigentliche Strippenzieherin des Stücks – Dreh- und Angelpunkt der Oper – ist, eine zu schöne Stimme. Die sollte sie ja laut Verdi eben nicht haben. Es muss eine gut funktionierende, vor allem aber eine charakter- und ausdrucksvolle, klanglich und farblich wandlungsfähige Stimme sein. Verdi wollte die Lady Macbeth „hässlich und böse“, die Stimme der Lady sollte „eine raue, erstickte, dumpfe Stimme“ haben. All das vermisst man bei Felicia Moore. Ihre Nachtwandelszene (in der die Lady schlafwandelnd ihre vergangenen Verbrechen enthüllt) war wie ein Schluck Wasser. Felicia Moore hatte, wie die ganze Aufführung, nichts Dämonisches. Gar nicht daran zu denken, was man schön für grandiose Interpretinnen in dieser Rolle hörte.

Verdi hat dieser Tragödie eine besondere „tinta musicale“ unterlegt, die der an der Deutschen Oper so geschätzte Dirigent Enrique Mazzola weithin ignorierte. Er dirigiert diesen Verdi – unterm Strich – eher unterbelichtet. Er zeigt zwar durchweg in der gebotenen Schärfe und Unerbitt­lichkeit die Großartigkeit der Musik. Auch vernachlässigt er nicht die bezaubernden Instrumentaldetails und das verschwenderische Melos der Partitur. Doch seine (zuweilen recht breiten) Tempi lassen zu wünschen übrig. Für Spannung, Zusammenhang und musikalische Bedeutung hat er wenig Sinn. Auch an wirklichem Mut zur brutalen Attacke, zu musikalischen Gewaltaus­brüchen und klanglichen Extremen, ließ er es mangeln. Sein „Macbeth“ war doch – mit Verlaub gesagt – zu brav. 

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