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Zum Abschied von Arten und Eis

Untertitel
Das „Time to Listen“-Festival an der Akademie der Künste in Berlin thematisiert die ökologische Krise unseres Planeten
Vorspann / Teaser

Dass der Klimawandel sich mehr und mehr zu einer Klimakrise auswächst, zeigt tagtäglich der Blick in die Zeitung: jeden Tag gibt es Meldungen von Starkregen, Waldbränden, Dürre, Stürmen und Überschwemmungen. Das mit dem Pariser Klimaschutz-Abkommen festgeschriebene Ziel, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, rückt in immer weitere Ferne. Diese Krise wird auch von Künstle­r*innen aufgenommen, und auch die immer drängendere Frage: Was können wir tun?

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An der Akademie der Künste in Berlin wurde dieser Themenkomplex nun zu einem Schwerpunkt für das kommende halbe Jahr. Den Auftakt machte die Sektion Musik mit dem Festival „Time to Listen“, das in Konzerten, Aktionen und Klanginstallationen verschiedene künstlerische Umgangsweisen mit der ökologischen Krise vorstellte. Auch auf die Organisation des Festivals hatte das Nachdenken über Nachhaltigkeit Auswirkungen: es gab  kein gedrucktes Programmheft, sondern es kann via QR-Code auf das eigene Handy geladen werden. Die Fahnen, die vor dem Haus auf das Festival hinweisen, waren recycelt von vorangegangenen Veranstaltungen. Und die Schrift an der Glasscheibe des Hauses am Hanseatenweg wurde mit Buttermilch aufgetragen, die sich hinterher ohne Abfälle zu hinterlassen einfach abwaschen lässt. 

Auch in der Konzeption der Klang­installationen spielte Nachhaltigkeit eine Rolle: die Installation „Listening to Ballona in the natural history museum of the future“ von Daniel Rothman wurde vom Publikum selbst mit Hilfe eines Trainingsfahrrads angetrieben. Je nachdem, wie heftig man in die Pedale trat, veränderte sich der Klang. Die „robotischen Blumen“, die in Winfried Ritschs „Gesang des Powerflower Netzwerks“ zum Einsatz kommen, liefen mit Solarzellen. Und in dem Projekt „Kill the light – ein Haus ohne Strom“ von Arnold Dreyblatt und Gästen wurden die Zuschauer*innen durch das dunkle Akademie-Gebäude von Aktion zu Aktion geführt, die ganz ohne Anschluss ans Stromnetz auskam.

Auswirkungen der klimatischen und ökologischen Krise auf die Welt zeigte die Klanginstallation „Stories of the Desert in a Changing Climate“ von Susie Ibarra, die in die marokkanische Wüste führt und in Video und Ton die Schwierigkeiten der Wasserversorgung thematisierte. „Hidroscopia/Maule“ von Claudia González Godoy stellte mit unterschiedlichen Materialien die Veränderungen vor, die der Bau eines Staudamms und Wasserkraftwerks auf eine Flusslandschaft in Chile und die Menschen dort hat.

Eine Konstruktion, die zum Nachdenken anregt, bot „DEUS CANTANDO (God singing)“ von Peter Ablinger, die bereits 2009 entstand. Ein computergesteuertes Klavier bildete die Sprachmelodie eines Kindes nach, das die „Declaration of the International Criminal Court“ spricht. Auf einer Leinwand waren die entsprechenden Worte zu lesen, so dass sich der kindliche Sprachklang auch im Klaviersound herauszubilden schien – ein Effekt, der sich auf die erstaunliche Funktionsweise unseres Gehirns zurückführen lässt. „We are all responsible“, sagt dieses Kind in unseren Köpfen, und „another world is possible“. Zwischen den klaren Abstufungen der schwarz-weißen Tasten, die hier vielleicht auch als Abbild unserer westlichen Wirtschaftsstrukturen gesehen werden können, wurde plötzlich dieser „Gott“ hörbar, der mit kindlicher Stimme davon singt, wie anders alles sein könnte.

Im Konzertsaal stellte der Komponist David Monacchi Ausschnitte seines Projekts „Fragments of Extinction“ vor. Mit ausgefeilter Technik war er in verschiedene unberührte Urwälder in Afrika, Südamerika und auf Borneo gereist, um die Soundscape der unberührten Biotope aufzunehmen. Und tatsächlich wird in diesen Aufnahmen die Tiefe und Komplexität dieses Lebensraums hörbar, wenn wirklich jedes Frequenzband von einer Art ausgefüllt und jede Lücke auch klanglich ausgenutzt wird. Diesem komplexen Ökosystem zuzuhören, das über Jahrtausende gewachsen ist und das heute immer weiter zerstört wird – das birgt einen ganz eigenen Schmerz.

Das Violinstück „Avian Chatters“ von Kristine Tjøgersen, das die Gesänge der gefährdeten Vogelart Prachtleierschwanz aus Australien zum Ausgangspunkt nimmt, klang danach trotz der virtuosen Leistung von Karin Hellqvist dünn und geradezu arm – ein Effekt, der ebenfalls zu denken gibt. Was wird übrig bleiben, wenn die komplexen Habitate endgültig zu Palmöl-Monokulturen geworden sind?

Ein Konzert mit dem ensemble mosaik thematisierte die Plastikmüllberge auf dieser Welt. In „Scenes from the Plastisphere“ von Rama Gottfried geschah das eher spielerisch, in Form eines genau gearbeiteten klanglichen Puppenspiels mit Videoprojektion und Licht. In „Mountain & Maiden“ von Sarah Nemtsov aus dem Jahr 2019 ist es die zerstörerische Seite des Mülls, die einem der Film von Shmuel Hoffmann und Anton von Heiseler vor Augen führt. Das Mädchen Aaspiya steht hier im Zentrum, das mit ihrer Familie in der Nähe eines Müllbergs in Neu-Delhi wohnt. Das Mädchen wird gezeigt, wie es auf den Müllberg geht, um dort nach Verwertbarem zu suchen. Die Müllwagen sind zu sehen, die neue Abfälle abladen, und die vielen Menschen, die darin herumstochern und davon träumen, den großen Fund zu machen. Ernst Surberg vertont diese Bilder am (elektronisch erweiterten) Klavier und übersetzt das, was das Mädchen sagt, ins Englische.

Der Berg, der Nebel, das Mädchen, der Müll – alles wird in poetischen Bildern gezeigt. Die giftigen Gase aus dem kokelnden Müll, ästhetisch gezeigt wie märchenhafter Nebel – ist das dem Gegenstand angemessen? Ist der Blick nicht ein kolonialistischer, und wir, mitgenommen als Voyeur*innen auf dem Trip von Elendstouristen? Das Stück wurde am Ende, wohl deshalb, ausgebuht. Und doch blieb danach fundamental die Frage stehen: Wie können wir einfach so weiter wirtschaften? Wie können wir all diese Menschen wie Aaspiya und so viele andere im Elend leben lassen? Wir alle nehmen mit unserer Art zu leben diese Müllberge und dieses Elend in Kauf. Die Buhrufe, mussten sie nicht uns selbst gelten?

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