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Così fan tutte. Team III aus Graz. Foto: Alexander Wenzel
Così fan tutte. Team III aus Graz. Foto: Alexander Wenzel
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Zum Ende Publikumsbeschimpfung – „Così fan tutte" II und III in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin

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In einem Symposion „Die Zukunft der Oper“ zum dreitägigen Gastspiel der Kunstuniversität Graz mit drei unterschiedlichen Inszenierungen von Mozarts „Così fan tutte“, äußerte Clara Hinterberger, die Regisseurin der ersten „Così“-Deutung, dass sie die Verbindlichkeit schaffende, der Repräsentationsform der Oper entsprechende Musik nur störe. Ihre Kollegin Vera Nemirova hingegen äußerte die Meinung, es bedürfe keiner neuen Mittel und Formen, sondern einer „besseren Verknüpfung von Bühne und Orchestergraben bei der Probenarbeit“.

Dass sie mit dieser Meinung durchaus Recht hatte, bewiesen auf ihre Weise die zweite und dritte Inszenierung unter auferlegtem Verzicht auf Mozarts und Da Pontes Spielhandlung zugunsten performativer Künste.

Völlig von der Handlung des Originals zu lösen, vermochte sich allerdings auch nicht die Inszenierung von Margo Zalite. Der bei Mozart als Vorwand des Abschieds von Guglielmo und Ferrando dienende kriegerische Hintergrund wird bei dieser Regisseurin zum vordergründigen Movens. Vor einer Wand mit Tafeln chemischer Formeln der Metalle (Bühne: Martin Miotk) fährt ein Organist auf einem Bühnenwagen hin und her; er strickt, wenn er weder die Orgel schlägt, noch die Bassgitarre zupft. Die zunächst abendgewandeten Protagonisten agieren mit und in Spiegelkuben, dann werden ihre Körper mit nach außen gestülpten Gedärmen überwuchert. Erfolglos bemüht sich der Bariton, ein totes Schaf zu rekreieren, aber auch der Apfel-Schuss aus „Wilhelm Tell“ wird als Spielmoment herangezogen. Das Finale beginnt das Ensemble rhythmisch flüsternd, um schließlich als Chorus Line dem Publikum frontal zu begegnen.

Deutlich ambitionierter der dritte Abend: In der Inszenierung von Michael von zur Mühlen ist das Orchester erstmals zentral vor die Bühne platziert, denn die Zuschauer sollen weniger die originalen Aktionen als deren partielle acht Projektionen auf einer großen Leinwand über der Bühne sehen, welche die Darsteller mit Kameras von sich selbst fertigen. Alle tragen Mikroports, da einige Räume der Wohnlandschaft (Ausstattung: Christoph Ernst) nach vorne geschossen sind und die Sänger bei Duetten und Terzetten selten im selben Raum agieren. Zum Einlass flüstert als Schlaufe ein Regisseur, dessen Stimme ich als die von Hans Neuenfels zu erkennen glaubte, retardierende Anweisungen.

Hauptakteur der performativen Deutung der Handlung, in einer heutigen Wohngemeinschaft angesiedelt, ist ein nicht singender Darsteller (der Schauspieler Nico Delpy). Als Diplom-Skeptiker (á la Don Alfonso?) verkündet er „reale Fiktionen und fiktionale Realitäten“, steht in ständiger Telefonverbindung zu seiner Mutter, die offenbar unverrückbar den Idealen der 68er-Generation frönt. Auch hier eine koreanische Pianistin als Mitspielerin, mit durchaus überzeugendem Dialog-Spiel, aber einer wenig verständlich verlesenen Schlussproklamation, wie dumm sie gewesen sei, als sie sich in Deutschland für ihren Opernbesuch schön gemacht habe.

Mikrofonverstärkt grölt das Ensemble zum Spiel des Symphonieorchesters der Universität der Künste skandierend mit. Später nimmt der Schauspieler eine Trockendusche, wobei er seinen Slip anbehält, während die Sängerin der Fiordiligi den ihren für eine ausgiebige Fickszene auszieht, in Missionarsstellung, aber unter der Bettdecke.

Anstelle orientalischer Verkleidung ziehen alle drei Herrn rosafarbene Damenstrumpfhosen über ihre Köpfe, und Despina verklebt sich ihr Gesicht mit Tesafilm. Nach der Pause, die diesmal an der konventionellen Stelle, also nach dem ersten Akt, erfolgte, hatten sich die Zuschauerreihen deutlich gelichtet. Auf der Bühne und auf den acht Partien des Screens erfolgte hetero- und homosexuell ausgelebter Partnertausch. Baby- und Kinderpuppen zeigen die Probleme und Zwänge der Partnerbildung und Fluchten aus Familiarisierung und Verbürgerlichung. Durchaus nahe geht es, wenn Duette jeweils solistisch, vereinsamt neben einer/m nicht mehr geliebten Partner/in erklingen.

Adäquat der Bezeichnung „Felsenarie“, erfolgt die Sopran-Bravournummer (mit schönen Piani von Gabrijela Nedok) im Flur zwischen den Wohnräumen, wo alle Darsteller wie versteinert in einer Schlucht, dicht gedrängt, auf dem Boden sitzen. Dann lässt sich der in sein Kamerabild selbstverliebte Tenor (Matthias Siddhartha Otto) vom ganzen Ensemble buchstäblich auf Händen tragen. Ein vorgeblicher Schlussapplaus im Spiel (wie bei Katharina Wagners Bayreuther Inszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“) scheint auf ein vorzeitiges Ende hinzuweisen, doch dann setzt elektroakustisch Fliegeralarm ein, und der Schauspieler verkündet: „Die Oper ist aus!“ Einsturz-Detonationen nach Don Alfonsos Statement „Così fan tutte“ und das Orchester verstummt.

Dem in seiner Rolle vielfältig literarisch versierten Schauspieler, der zuvor schon einen Text aus „Feuchtgebiete“ von Charlotte Roche rezitiert hatte, gehört das umfangreiche, gigantomanisch einsetzende Schlusswort: „Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt und auf diese Bühne!“ Die Berliner Intendanten adressiert er sehr direkt („Dietmar, ich spreche mit dir!... Jürgen, Daniel, hört die Signale!“). Die Zeit sei gekommen, die Sünden des Opern-Business mit ihrer doch nur halbherzigen Innovation zu bekennen. Dabei flaggeliert er sich mit seinem Gürtel und das Solisten-Ensemble intoniert, jeder für sich, a cappella den Schluss der Oper. Der Schauspieler aber fährt in seiner Publikumsbeschimpfung, nun á la Pierre Boulez, direkt ans Publikum gewandt, fort: „Kauft Dynamit und sprengt die Opernhäuser in die Luft!“

Die Ansprache ist tatsächlich der Höhepunkt des Abends, Nico Delpy gelingt es durchaus überzeugend, auch auf Zwischenrufe einzugehen, mit dem festen Gerüst historischer Textvorgaben von Russolo, Artaud, Handke, Genet, Boulez und Schlingensief.

Die Koreanerin Soyu Kim verliest einen Text über das, was ihr im Namen der Kultur widerfahren sei, und dann setzt am Ende doch noch einmal kurz das Orchester ein, während alle Darsteller mit erhobenen Armen singend den Raum des Theaters verlassen.

Dass diese Aufführung nicht nur Zuspruch fand, liegt nahe. Dabei wurde deutlich besser gesungen als am Vorabend.

Es stellt sich die Frage, zu welchen Ergebnissen dieses Experiment mit einer anderen, komplizierteren Opernhandlung geführt hätte. (Spannend wäre sicherlich der Versuch mit Richard Wagners komischer Oper „Das Liebesverbot“ gewesen!)

Zu den Fragwürdigkeiten der Abfolge dieser drei Opernabende gehörte die – abgesehen von den unterschiedlichen Strichfassungen – bis in Details identische musikalische Deutung durch das Orchester der UdK unter dem Dirigenten Moritz Gnann. Oder hatte es im Interesse der Initiatoren gelegen, auch vom Orchesterklang her keine individuellen Deutungen zu präferieren um so auf keine Weise von den unterschiedlichen szenischen Aspekten abzulenken?

Der Berliner „Così“-Schwerpunkt wird anhalten: am nächsten Wochenende hat an der Komischen Oper Berlin eine Neuinszenierung von Alvis Hermanis Premiere.

„Così fan tutte“? Glücklicherweise machen es nicht alle Regisseurinnen (und Regisseure) gleich!

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