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„Zum ewigen Frieden“

Untertitel
Eröffnung des Internationalen Kant-Kongresses mit Musik von Vassos Nicolaou
Vorspann / Teaser

Der 14. Internationale Kant-Kongress hätte anlässlich des dreihundertsten Geburtstags des Philosophen 2024 eigentlich in dessen Heimatstadt Königsberg stattfinden sollen. Die Tagung wurde bereits 2019 an die Universität der russischen Exklave Kaliningrad vergeben. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine wurde dieser Plan im Zuge des allgemeinen Boykotts jedoch wieder abgesagt. Ebenso verbot sich für die internationale Forschungsgemeinschaft die Teilnahme an der von den russischen Kantianern trotzdem veranstalteten Tagung, da dort auch der russische Präsident als Sprecher angekündigt worden war. Stattdessen kamen nun 750 angemeldete Gäste aus über 50 Ländern zu rund 400 Vorträgen an 5 Tagen nach Bonn, zum zweiten Mal nach 1965. Den Kongress „Kants Projekt der Aufklärung“ veranstalteten die Kant Gesellschaft und das Institut für Philosophie der Universität Bonn.

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Zur Begrüßung verlas Gastgeber Christoph Horn einen Brief des ukrai­nischen Kant-Forschers Volodymyr Abashnik, dessen Studien und Reisepapiere kürzlich bei der Bombardierung seines Wohnhauses in Charkiw vernichtet wurden. Angesichts von Krieg und Diktatur sei Kants anti-paternalistischer Imperativ „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ wichtiger denn je. Neben der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“, der es zu entkommen gilt, nennt Kant auch die fremdverschuldete durch Obrigkeit, Kirche, Armut, Not. Die Aufklärung eines ganzen Volkes versteht er republikanisch als Teilnahme aller an der politischen Willens- und Entscheidungsfindung. Dass Kant selbst vom „Zeitalter der Aufklärung“ sprach, meint nicht, dass dieses Zeitalter bereits aufgeklärt sei, sondern sich darum bemühe. Kant habe die Aufklärung – so Horn – prozessual als immer weiter gehende Ausdehnung und Intensivierung von Denken und Wissen gedacht. Das stelle die gegenwärtige Kant-Forschung vor die Aufgabe, auch Kants Abwertung von Frauen, Nicht-Europäern und abhängig Beschäftigten ebenso kritisch zu überdenken wie die von Adorno/Horkheimer diagnostizierte „Dialektik der Aufklärung“, wonach verabsolutierte Rationalität zu Totalitarismus und Naturzerstörung führe.

Zur Eröffnung in der Aula verliehen Kant Gesellschaft und Thyssen-Stiftung den inzwischen 7. Kant-Preis an den 1948 in New York geborenen Kant-Exegeten und Ästhetiker Paul Guyer. Bei Laudatio, Dankesrede und Urkundenüberreichung erweckte der Kreis von sieben schwarz beanzugten Herren den Eindruck, Philosophie sei reine Männersache, was die Kant-Nachwuchspreisträgerin Karoline Reinhardt dann dankenswerterweise etwas relativierte. Weitere Grußworte vom Ministerpräsidenten von NRW, der Bonner Oberbürgermeisterin, dem Universitätsrektor sowie den Veranstaltern ließen allesamt keinen Zweifel an der Aktualität des 1724 geborenen Philosophen und dessen Bezug zu Bonn. Der hier geborene Ludwig van Beethoven habe schließlich Kants Schriften gelesen und das darin aufgezeigte Menschenbild sei in § 1 des Deutschen Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ eingeflossen, das der verfassungsgebende Parlamentarische Rat 1949 im Bonner Museum König verabschiedete.

Als Uraufführung durch das Ensemble musikFabrik erklang die „Musik in zwei Sätzen zu Immanuel Kants Schriften ,Was ist Aufklärung?‘ und ‚Zum ewigen Frieden‘“ von Vassos Nicolaou. Der 1971 in Zypern geborene Komponist lebt seit seinem Studium bei York Höller in Köln. Den Kompositionsauftrag hatte der Bonner Philosophieprofessor Rainer Schäfer vermittelt. Der erste Satz beginnt mit Trillern und impulsiv auf- und abfahrenden Läufen. Das Material scheint instabil, konturlos und ohne zielführenden Gedanken. Amorphe Glissandi tasten nach allen Richtungen, ohne Halt zu finden. Die chaotische Gleichzeitigkeit disparater Lagen und Klänge wird dann schlagartig von kurzen Soli abgelöst. Die sechs Instrumente emanzipieren sich mit markanten melodischen Elementen, als gelänge ihnen der „Ausgang aus selbstverschuldeter Unmündigkeit“. Diese individuelle Freiheit wird freilich erkauft durch die heterophonen Fliehkräfte unvereinbarer Egoismen. Erst ganz am Schluss findet das Sextett zur kollektiven Freiheit gemeinsamer Harmonien.

Von spaltender Unordnung zu verbindender Kooperation verläuft auch der zweite Satz. Hohe Liegetöne und sirrende Interferenzen weichen kriegerisch fauchenden Tutti-Attacken und erneuten exzentrischen Egotrips, die schließlich zu sanften Harmonien in immer höheren Lagen verschmelzen. Am Ende bespielen je drei Mitwirkende mit Bogenhaaren Innenklavier und Violoncello. Die einträchtig musizierenden Menschen werden zum Kling- und Sinnbild von Kants „Zum ewigen Frieden“. Doch was die soziale Kunstform des gemeinsamen Machens und Hörens von Musik spielend erreicht, funktioniert im wirklichen Leben noch lange nicht. Die Gräuel aktueller Kriege verstoßen gegen das von Kant skizzierte Menschen- und Völkerrecht und gemahnen eher an die zu Anfang seiner Spätschrift erwähnte „satyrische Ueberschrift auf dem Schilde jenes holländischen Gastwirths, worauf ein Kirchhof gemahlt war“. Der „ewige Friede“ ist doppeldeutig. Wir Menschen müssen uns entscheiden – Leben oder Tod?

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