Im dritten Jahr seines Bestehens kann das Karlsruher „Zeit-Genuss“-Festival eine positive Bilanz ziehen. Die künstlerische Qualität war in dieser Helmut Lachenmann gewidmeten Ausgabe der gemeinsam von Musikhochschule und der Stadt Karlsruhe getragenen Veranstaltungsreihe zumeist überzeugend, das Publikumsinteresse ist spürbar größer geworden, der Einsatz der jungen Musiker der Musikhochschule sorgte für einige Höhepunkte bei „ZeitGenuss“. Rund 60 Werke wurden hauptsächlich im Wolfgang-Rihm-Forum der Hochschule aufgeführt, in 14 Konzerten waren es immerhin 11 Uraufführungen, darunter solche von Lachenmann selbst, seinem Meisterschüler Mark Andre, Eusun Lee oder Younghi Pagh-Paan.
Dass erstmals die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz im Rahmen der Karlsruher Meisterkonzerte im Konzerthaus den begeisternden Festival-Abschluss bildete, war zudem erfreulich, hat das Orchester unter seinem Chefdirigenten Karl-Heinz Steffens sein Profil in Sachen Musik der Moderne doch in den vergangenen Jahren entscheidend geschärft. Zudem ergab sich so die Möglichkeit, eine breitere Öffentlichkeit anzusprechen und aus dem Spezialistenkreis herauszutreten, den das Publikum bei den Konzerten in der Musikhochschule oft bildete. Dass zudem mit dem Flötenkonzert von Pascal Dusapin dem ansonsten mit solchen Klängen weniger vertrauten Publikum der Meisterkonzerte eine gemäßigte Hör-Herausforderung aufoktroyiert wurde, war ein positiver Nebeneffekt dieser Zusammenarbeit. Hier müsste „ZeitGenuss“ für die kommenden Jahre noch intensiver ansetzen, die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Karlsruher Institutionen wie dem ZKM (Zentrum für Kunst und Medientechnologie), aber auch dem Badischen Staatstheater und der Badischen Staatskapelle suchen, von deren Mitgliedern viele Lehraufträge an der Musikhochschule wahrgenommen werden.
Auch sonst konnte das unter dem Motto „... zwei Gefühle... “ stehende Festival überzeugen. Es gehörte Mut dazu, im Vorfeld der in Stuttgart ausgerichteten, finanziell weitaus besser ausgestatteten „Lachenmann-Perspektiven“ anlässlich des 80. Geburtstages des Komponisten den Schwerpunkt auf einen der bedeutendsten, aber auch schwierigsten deutschen Musiker der Gegenwart zu legen. Denn die Kompromisslosigkeit, mit der Lachenmann seine Klangerforschungen zum Thema des Geräuschhaften und seine Einführung neuer Spieltechniken vorangetrieben hat, stieß lange auf heftige Kritik. In Karlsruhe standen aber nicht nur der charismatische Komponist als Interpret eigener Werke und ausgewiesene Spezialisten wie die Pianistin Yukiko Sugawara und die Sängerin Elisabeth Keusch für ein beachtliches interpretatorisches Niveau. Die Bereitschaft der Studierenden, sich auf Ungewohntes einzulassen, sorgte mit für die überzeugendsten Leistungen. Beeindruckend aber auch, wie der Komponist selbst hochkonzentriert sein „Ein Kinderspiel“ am Flügel interpretierte und so mit diesen Miniaturen einen interessanten Einblick in seine Ästhetik gab. Gemeinsam mit dem von Gérard Buquet sehr umsichtig geleiteten Ensemble für Neue Musik der Hochschule führte der Komponist zudem als souveräner Sprecher seines der Reihe den Titel gebendes Werk „... zwei Gefühle... “ (Musik mit Leonardo) auf und konnte so als Mitgestalter die Früchte seines Interpretations-Meisterkurses ernten.
Die Zukunftsfähigkeit des Festivals unterstreichen die von „ZeitGenuss“ unter ihrem künstlerischen Leiter Achim Heidenreich weiterhin verfolgten programmatischen Linien: Dazu zählen der Rückblick auf den Beginn der Moderne, die Betrachtung von Musik fremder Regionen – in diesem Jahr setzte sich das „Duo Konflikt“ mit den an der Hochschule lehrenden Kaya Han (Klavier) und Isao Nakamura (Schlagzeug) hochvirtuos für Werke von Hosokawa und der koreanischen Komponistin Younghi Pagh-Paan ein – und die Ausrichtung von Wettbewerben für Interpreten, aber auch für den Komponistennachwuchs.