Erst die von Geburt an blinde Prinzessin Iolanta, die von René, ihrem königlichen Vater mit voller Absicht wie in einem goldenen Käfig gefangen gehalten wird – danach eine zauberhaft singende und die ihr lauschenden Menschen betörende Nachtigall… dies die zentralen Figuren in Peter Tschaikowskys Iolanta und Igor Strawinskys Le Rossignol, die das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier an einem Abend miteinander kombiniert. Zwei märchenhaft angelegte Stücke mit eigentlich glücklichem Ausgang. Eigentlich! Denn die beiden Regisseurinnen Tanyel Sahika Bakir (Iolante) und Kristina Franz (Le Rossignol) melden Zweifel an am Happy End.
![Adam Temple-Smith, Alfia Kamalova. Fotos: Pedro Malinowski Adam Temple-Smith, Alfia Kamalova. Fotos: Pedro Malinowski](/system/files/styles/nmz_hero_xs_1x/private/image/rossignol01.jpg?h=6d52f5ad&itok=bphlB3PS)
Adam Temple-Smith, Alfia Kamalova. Fotos: Pedro Malinowski
Zweifel am Happy End – Iolanta und Le Rossignol in Gelsenkirchen
René verharrt in seinem tyrannischen Wesen, auch nachdem Ibn-Hakia, ein mit heilenden Fähigkeiten gesegneter Mann aus fernem Land, der Prinzessin buchstäblich die Augen öffnet. Die treibende Kraft zu dieser wohl weniger physischen als vielmehr psychischen Behandlung kommt von Ritter Vaudémont. Der hatte sich mit seinem Kumpanen Robert von Burgund in die von bewaffneten Soldaten abgeschirmte Lebenswelt der Iolanta verirrt und sich schnurstracks in sie verliebt. König René erkennt die Gefahr, dass seine Welt, in der er über die blinde Tochter grenzenlos verfügen kann, zerstört wird. Weshalb er – nach geglückter Operation – dem Ritter gegenüber steht und beide die Waffen gegeneinander richten. Ob ein Schuss fällt? Bevor diese Frage beantwortet wird, senkt sich der Vorhang!
![Luciano Batinić, Benedict Nelson, Heejin Kim, Almuth Herbst. Fotos: Pedro Malinowski Luciano Batinić, Benedict Nelson, Heejin Kim, Almuth Herbst. Fotos: Pedro Malinowski](/system/files/image/iolanta04.jpg)
Luciano Batinić, Benedict Nelson, Heejin Kim, Almuth Herbst. Fotos: Pedro Malinowski
Er hebt sich zu Strawinskys Kurzoper, in der das emotionsgeladene Singen der Nachtigall am Ende Heilung bringen soll. Heilung vom unmittelbar bevorstehenden Tod des Kaisers. Der hatte sich zuvor beschwatzen lassen, den höchst lebendigen Vogel gegen einen Automaten auszutauschen. Natur versus Künstlichkeit also. Die Konsequenz liegt auf der Hand: der maschinell erzeugte Gesang hat keine Chance gegenüber dem Tod, den Regisseurin Kristina Franz als anfangs kleine, witzige, dann aber zu bedrohlicher Größe anwachsende Puppe auf die Bühne bringt (geradezu genial geführt von Gloria Iberl-Thieme, Daniel Jeroma und Maximilian Teschemacher aus dem hauseigenen Puppentheater, von Jonathan Gentilhomme choreografiert). Und just dieser überdimensional wirkende Tod gewinnt letztlich die Oberhand, deckt mit seinen kreidebleichen Pranken alles Leben zu.
Iolanta und Le Rossignol: dies zwei sehr ausdrucksstarke Geschichten, die berühren! Musikalisch weit von einander entfernt, werden sie von Rasmus Baumann und der Neuen Philharmonie Westfalen in ihrer Unterschiedlichkeit stilsicher und emotional umgesetzt. Dazu sehr praktikable Bühnenbilder (Julia Schnittger) und fantasievolle Kostüme (Hedi Mohr). Gesungen wird auf durch und durch hohem Niveau, herausragend Heejin Kim als Iolanta, Luciano Batinić als König René und Lisa Mostin als Nachtigall, die aberwitzige Koloraturen und schwindelerregende Höhen zu absolvieren hat. Schon allein diese musikalische Qualität lohnt einen Besuch im Revier in Gelsenkirchen. Abgesehen davon, dass auch zwei Programmraritäten zu studieren sind.
- www.musiktheater-im-revier.de
- Weitere Termine: 3. 3., 7. 3., 9. 3., 17. 3., 29. 3., 13. 4., 21. 4. 2024
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