Uraufführung von Elena Kats-Chernins Oper „Schneewittchen und die 77 Zwerge“ an der Komischen Oper Berlin. Peter P. Pachl berichtet.
Elena Kats-Chernin hatte für die Eröffnung der Intendanz von Barrie Koskie Monteverdis Operntrilogie höchst originell bearbeitet, die fragmentarisch überlieferten Strukturen stellenweise mit Jazz, Klezmer und Tango unterlegt. Nun komponierte die usbekisch-australische Komponistin im Auftrag der Komischen Oper Berlin den Schneewittchen-Stoff als „Kinderoper in zwei Akten“, die sich aber bei der Uraufführung als Musical erweist. Kats-Chernin setzt auf die bewährte dreiteilige Bogenform und auf klare Trennung zwischen Dur (für die gefestigte Welt der Königin) und Moll (für die Trauer der Zwerge).
Susanne Felicitas Wolf hat das Libretto nach Grimms Märchen als humorvolle Nummernoper mit Dialogen eingerichtet und die Handlung um ein zu groß gewachsenes weißes Kaninchen als Freund der Prinzessin erweitert. Die sieben Zwerge des Märchens hat sie im Titel verelffacht., wobei sie konzeptionell de facto an die rund 80 Mitglieder des Kinderchors der Komischen Oper gedacht hat, die in einer Vielzahl (am Premierenabend zählte ich 55 kindliche und jugendliche Darsteller) mit Bärten, Brillen und überlangen Zehen die Zwerge singen und mimen. Nicht nur die Schulpflicht Schneewittchens, auch diverse technische Geräte verfrachten die Handlung ins Heute (Die Zwerge: „Wozu kehren, wir haben einen Staubsauger!“). Das Happy-End des Märchens versuchen die Autoren noch zu toppen, indem Prinz Maximilian einen Circus gründet, in dem dann alle Zwerge, das Kaninchen Richard III., sein (Zweimann-)Pferd und Schneewittchen – als Zirkusprinzessin – mitwirken sollen.
Doch kein Happy-End – auch wenn es durch die Musik im Musiktheater länger zu dauern vermag als im Schauspiel – trägt mehr als drei Minuten. Das „Schneewittchen“-Finale, inklusive der Verzeihung des Mordversuchs und dann doch die Verhaftung der Königin, ist den Autoren rund zehn Minuten zu lang geraten.
Zuvor erklingen aus Musicals diverser Prägung sattsam bekannte musikalische Topoi, allzumal überaus originell instrumentiert und vom Orchester der Komischen Oper unter Pawel Poplawski pretiös exerziert, von den Solisten mikroportverstärkt opernhaft und textverständlich gesungen.
Die Bereiche des Wohnraums der von ihrer Stiefmutter zur Schönschrift angehaltenen Prinzessin, den Spiegelsaal der Königin und ein beim ersten Eindrehen von den Kindern im Saal spontan beklatschtes, kunterbuntes Zwergenschloss mit zwei Rutschbahnen hat Bühnenbildner Lukas Noll auf der Drehbühne angesiedelt und Diego Leetz farbintensiv beleuchtet.
Die temporeiche Inszenierung von Christian von Götz verzichtet nicht auf den klassischen Kasperle-Trick der Befragung der Kinder im Publikum. Bei den jugendlichen Besuchern ab 6 Jahren kommen die sich selbstsicher asiatisch verteidigende, aber dann doch auf einen vergifteten Apfel hereinfallende Alma Sadé als Prinzessin, der steptanzende und Rad schlagende Dirks Johnston als weißes Riesenkaninchen und Susanne Kreusch als grelle Königin im grünen Dianakostüm und mit blonder Haartolle besonders gut an. Die älteren Besucher freuen sich über den profund tönenden, als Kronenträger in einen dreiteiligen Spiegel eingelassenen Nikola Ivanov und über Carsten Sabrowski als Koch Meier und gutmütigen Jäger Müller. Als tumber, mit Pop-Jodler auf einer Liane mit Steigbügel hereinschwingender Prinz, der in ausgestellter Michael Jackson-Manier gestikuliert und dann über den mit Plexiglashaube bedeckten Sarg stolpert, springt der Tenor Adrian Stooper über den eigenen Schatten.
Anstelle eine Programmhefts wird in der Komischen Oper für 7 Euro eine CD von „Schneewittchen und die 77 Zwerge“ angeboten, welche mit der Komponistin am Klavier eingespielt wurde. Auf der von Susanne Gläser illustrierten Hörbuch-Fassung singt neben dem von Dagmar Fiebach geleiteten, von Henning Kussel einstudierten Kinderchor der Komischen Oper Berlin und Adrian Stooper allerdings eine völlig andere Besetzung als in der Uraufführungs-Inszenierung: Julia Giebel als Schneewittchen, Johannes Dunz als Richard III. und Fredrika Brillembourg als Königin. Trotz der pianistisch beachtlichen Komponistin erscheint der Verzicht auf Elena Kats-Chernins besonders farbiges Orchester bedauerlich.
Bei der durch Zugaben angereicherten Applausordnung gab es am Ende des gut zweistündigen Premierennachmittags viel Jubel.
- Weitere Aufführungen: 8., 9., 12., 22. 30. November, 1., 11., 21. und 26. Dezember 2015.