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Christian Wolff im Gespräch mit Alexander Liebreich. Foto: Florian Ganslmeier/MKO
Christian Wolff im Gespräch mit Alexander Liebreich. Foto: Florian Ganslmeier/MKO
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Zwischen Altphilologie und Neuer Musik

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München ehrt Christian Wolff, den Letzten aus der legendären New York School of Composers, zu seinem Achtzigsten
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Von Freiheit ist dieser Tage viel und allerorten die Rede. Nicht zuletzt die scheinbar unermessliche Freiheit im Netz der Netze, die sich angesichts ihrer Totalität in die Totalität der Total-überwachung umzukehren droht, sorgt für Aufruhr, von China bis zu den Cayman Islands. Früher sorgten sich um die Freiheit Kommunistische Parteien, Revolutionäre und auch Musiker. In New York zumal. Der letzte noch lebende aus dieser legendären New York School Of Composers feiert in diesem Jahr seinen achtzigsten Geburtstag. Asketisch, athletisch, auratisch folgt er der Einladung nach München.

An einem Samstag-Vormittag gibt er davon, von seinem Auftreten, von seinem Musizieren, ein wundervolles Beispiel. Es ist Ende Oktober 2014 am Geschwister-Scholl- Platz zu München, spätsommerliche Sonne am Horizont, der legendäre Lichthof der LMU im legendären Licht, so um elf Uhr. Christian Wolff ist angesagt, achtzig geworden, geboren in Nizza, vor deutscher Politik flüchtend, von ihren zu erwartenden Gräueln ahnend ist er in den USA gelandet. Dort geblieben. Seit 1999 ist er Mitglied der Akademie der Künste zu Berlin. Jetzt erlebt er, wie im leuchtenden München sein achtzigster Geburtstag gefeiert wird, mit einem außergewöhnlichen Festival. Studenten der LMU-Musikwissenschaft, die eher mit der Analyse denn mit der Praxis dessen, was Musik ausmacht, zu tun haben, sind Interpreten einer Uraufführung des Komponisten Wolff. Auftraggeber: die Ernst von Siemens Musikstiftung. Im halligen, die abendländische Geistesgeschichte architektonisch reflektierenden Ambiente breiten sich Klänge aus, erzeugt aus Stimmen, Steinen, strahlkräftigen Instrumenten. Kontemplativ, irisierend, suchend, wahrhaft bewegend. Die Faszination steigert sich. Hier, wo die Weiße Rose zwei Etagen höher ihre ebenfalls legendären Flugblätter auf die Reise geschickt hat.

Doch Wolff ist kein im platten Sinne politischer Komponist. Er denkt das alles. Doch so funktioniert im Kern seine Musik nicht. Die versteht sich frei, ohne einengende Begrenzungen, mit der Freiheit der Interpreten zu deren improvisierendem Tun – auf der Basis des von ihm vorgegebenen Materials. Die studentischen Darsteller fragen später im Auditorium eines Symposions in der Pinakothek der Moderne, fasziniert vom improvisatorischen Freiraum, nach dem, was die Qualität dieser Musik denn auszeichne. Und Wolff meint, das würde sich von Ensemble zu Ensemble und von Aufführung zu Aufführung unterschiedlich darstellen, entwickeln. Einengende Begrenzungen gebe es in seiner Musik nicht. Die Freiheit also regiert. John Cage hat schon für die Befreiung von engen Grenzen gekämpft, hat die Erweiterung des Musikbegriffs vom Material her, vom Umgang mit Raum und Zeit weit gefasst.

Alle treffen sie sich in seinem Bannkreis, im Umfeld der New York School um den Großtänzer Merce Cunningham, um Robert Rauschenberg, den Pop-Artisten, um David Tudor, Morton Feldman, Earle Brown und all die anderen, die der Nachkriegskunst in all ihren Facetten den Weg gewiesen haben. Christian Wolff ist der letzte Überlebende dieser wieder einmal legendären Zeit. Und legendär ist die Aura seines Hier-Seins tatsächlich. Im Ernst von Siemens Auditorium. Und wo auch sonst er erscheint an diesem verlängerten Wochenende. Das Münchner Kammerorchester überbietet sich unter seinem Chefdirigenten Alexander Liebreich – auch mit der Uraufführung einer Auftragskomposition des MKO. Was zu Nachfragen führt, ob denn diese archaische, widerständige, anarchische Musik nicht viel zu schön gespielt wird, von diesen wundervoll ausgebildeten und historisch informierten Musikern. Was Christian Wolff relativiert – denn jedes Stück wird jedes Mal anders, je nach Lage der Dinge und im befreiten improvisatorischen Rahmen, sowieso immer wieder völlig anders erscheinen.

Hier etabliert sich der Beitrag des Münchner Altphilologen Oliver Primavesi nahezu genial im Kontext, der nach den Verknüpfungen von Griechischer Philologie und Poesie mit der Neuen Musik fragt. Die ja ihrerseits sich gerade befreit hatte von starren Regeln im Umfeld von Metron und Rhythmos. Wobei Christian Wolff in erster Linie ja Klassischer Altphilologe ist, vom Brotberuf her sozusagen. Die großen Befreiungsbewegungen der westlichen Musik aus den Zeiten nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs – jenseits von Jazz und Co. – haben auch in diesen Münchner Tagen sozusagen Fragen gestellt, post mortem und rethorisch.

Ob denn all diese Freiheit auch wirklich zur Steigerung der Qualität des erklingenden Materials führen würde. Und ob denn einige Regulierungen der Zielgerichtetheit musikalischer Stringenz nicht doch förderlich sein könnten. Denn ohne Straßenverkehrsordnung funktioniert ja auch kein Massenverkehr … Fragen, die offen bleiben. Die aber in den Hirnen arbeiten, bohren, Kreativitäten freisetzen. Wenn also zwei Menschen – Wolfgang Rathert, Professor für Historische Musikwissenschaft mit Schwerpunkt Neue Musik an der LMU München und die exzeptionelle (Neue-)Musik-Spezialistin Sabine Liebner – eine tolle Idee haben, die nämlich, dieses Festival so zu konzipieren, dann finden sich Sponsoren – von der Landeshauptstadt München bis zur Ernst von Siemens Musikstiftung, von der Forberg-Schneider-Stiftung bis zum Kultusministerium und dem MKO –, um das zu ermöglichen. Da irisiert Christian Wolffs Musik umso strahlkräftiger, dargeboten von der unvergleichlichen Percussionistin Robyn Schulkowsky, von motivierten Studenten, die bis ein Uhr nachts geübt haben, bis zur phänomenalen Pianistin Sabine Liebner. Und dem jugendlich-achtzigjährigen Multitalent Christian Wolff selbst.

Und: Da kommt dann auch noch Dieter Schnebel vorbei. Ganz einfach. Total auratisch. Fazit: Die Avantgarde kann nicht Avantgarde bleiben wie gehabt. Da muss Alles offen bleiben. Und in Bewegung. Christian Wolff hat das in sich, vermittelt das in altersweiser Ruhe. Und regt sich nicht auf über schnappige Bemerkungen. Er relativiert die Relativität, das labile Gleichgewicht, tariert das aus. Und begreift das weiter und weiter und weiter als dauernd andauernde Herausforderung.

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