Der Regenwald steht Kopf, partiell zumindest. Zimmerpalmen, die von der Decke hängen. Andere Exemplare des Typs Dypsis lutescens hingegen gewohnt manierlich wie im Gartenmarkt. Nur, das Gewohnte, dies spürt man gleich, ist hier seltsam außer Kraft gesetzt. Obwohl, auch wiederum nicht. Marcus Kaiser, Düsseldorfer Musiker, Klang- und Installationskünstler, hat den großen Ausstellungsraum des Trierer TUFA-Kulturzentrums nicht nur eingerichtet, er bewohnt ihn auch. Zumindest während der Zeit von OPEN-EXPO, wie sich seine Klangkunstausstellung nennt, ihrerseits schönste ironische Anspielung auf die Institution der Industriemesse.
Im wuchernden Karree seiner Goldfruchtpalmen hat er zwei Ecken ausgespart: eine zum Kochen, eine andere zum Cello spielen. Letzteres macht Marcus Kaiser selbst. Der schwarze Wuschelkopf, der seine württembergische Herkunft mit keinem Wort verleugnet, ist ein studierter Cellist und bildender Künstler zugleich, verkörpert also die Vereinigung der Gegensätze in personam, was sich dann so liest: „opernfraktal ist ein zustand/bewegung eingebunden in architektur/installation und tätigkeit/handlung und dauer/klang im Sinne von CHRONOTEKTUR; wie ein vivarium ausschnitthaft ungenügend ein stück tanganjikasee oder amazonasregenwald nachbildet und einen wirklichen lebensraum bietet.“
Sänger im Federkleid
Gestus einer unaufdringlichen Heiterkeit, die den Charme dieses ebenso einzigen wie einzigartigen Festivals für Neue Musik in Rheinland-Pfalz als Ganzes macht. Unaufdringlich vor allem in der Art und Weise, mit der hier Bezug genommen wird auf Gegenwart, auf Gegenwarts-Kunst zwischen „Traummechanik“ und „Nähten der Luft“, zwischen „Blindflug“ und „Luftgebinden“, zwischen „Antiphon und Sonnekus“, „NahOst, so nah!“ und „Tria Principia“. Letzteres der paracelsusaffine Beitrag von Bernd Bleffert, der zusammen mit Thomas Rath die kuratorischen opening-Zügel in den Händen hält, jetzt im fünften Jahr von mittlerweile fünfzehn Ausgaben von opening, einem Festival, das Kunst und Kunstorganisation nicht in der Weise trennt, dass man verschiedene Büros betreten müsste, um beide aus der Nähe kennen zu lernen. Bernd Bleffert, der im Team die rheinische Dialektfarbe beisteuert, ist für sich schon der Brückenschlag. Siehe auch seine „Konzertinstallation für geneigtes Publikum“, die tatsächlich so ziemlich alles zusammenführte, was man (zumindest in der Kunst) erwarten darf: Anmut, Majestät, Spielfreude, Sangeslust. Das Arrangement dieses interesselosen Wohlgefallens ist denkbar einfach: Lithophon (eine Art Steinmarimba), Nagelgeige, 12 Nagelpendel (schwingende Holzkugeln bringen in Podeste geschlagene Nägel zum Klingen) und (der Clou) zwei Kanarienvögel in zwischen Pendeln und Instrumenten aufgestellten Käfigen. Eine Meditation als klingend-singende Installation respektive eine installativ-meditierende Klanginsel mit improvisierten Arien zweier sich gegenseitig anfeuernder „Sänger im gelben Federkleid“. Dazu muss man nach Trier kommen!
Ein Künstlerfest
Wie das zusammengeht, zusammenhängt? Eigentlich ganz einfach. Spricht opening-Kurator Bernd Bleffert über das opening-Kuratieren, spricht er im Prinzip über das Stiften von Freundschaften, von Bündnissen, der Kitt dieses sich sehr persönlich anfühlenden Künstlerfestes. „Das Gewinnen von Akteuren, von Künstlern, von schönen Ideen, von interessanten Ideen ist immer damit verbunden, dass sich daraus eine neue ergibt. Also beispielsweise ist das Eröffnungskonzert dadurch zustande gekommen, dass sich hier zwei Musiker getroffen haben, die im letzten Jahr eine Zuneigung zueinander fanden und sich gesagt haben: Lass uns das doch machen! Und dadurch ist dieses Konzert Traummechanik und Kontakte entstanden.“ Titel zweier Meilensteine der Neuen Musik. Neben dem Stück von Nicolaus A. Huber war es vor allem der Stockhausen-Klassiker aus den fünfziger Jahren, der Pianist Roland Techet und Perkussionist Thorsten Gellings zusammenbrachte. Die (selbstgestellte) Aufgabe: ein Drahtseilakt. Besen, harte Schlägel, weiche Schlägel, große Trommel, kleine Trommel, Bambus, Schellen, Klavier – das Kulminieren und Verdichten der Ereignisse erforderte den Akrobaten im Artisten, um den Ereignissen, unerbittlich diktiert durchs Zuspielband, immer den einen entscheidenden Schritt voraus zu sein. Kontakte als opening-Eröffner, die „Natürlichen Dauern“ am Ende, das große meditative Spätwerk, zur Aufführung gebracht von Pianist Udo Falkner. Ein Stockhausen-Rahmen. Dazwischen ein „internationales Festival für aktuelle Klangkunst“, das sich im Spannungsfeld der Pole Notation und Improvisation bewegt und eigentlich, so Thomas Rath, den Zusatz haben müsste „… und für Neue Musik“. Aber das wäre dann doch zu lang. Immerhin, der inklusive Ansatz vermittelt sich auch ohnedies. opening, das ist für Bleffert/Rath ein Synonym für die Grundverabredung dieses Künstlerfestes. Offen sein, sich öffnen, Möglichkeiten schaffen, etwas ermöglichen, Freiraum geben, Spielräume weit fassen, Grenzlinien meiden. Das Alphabet befreiter Vielfalt.
Geöffnete Schleusen
Sich an drei Tagen zwischen den opening-Programmangeboten zu bewegen, hieß, sich zwischen scheinbar Nichtzuvereinbarendem zu bewegen. Was es aber dann doch war, weil in jedem der zwischen weit entfernten Pfosten aufgespannten Klang-Welten das leitende opening-Prinzip des Brückenschlagens hörbar war. Zuweilen so intensiv, dass die sich gegenüberliegenden Ufer gar nicht mehr sichtbar waren, etwa wenn Irene Kurka in ihrem Soloabend Hildegard von Bingen mit John Cage in einer Weise amalgamierte, dass in den Kantilenen auf einmal alles versöhnt, alles Trennende aufgehoben schien, wo wir doch, wenn wir Brücken betreten, eigentlich recht genau wissen, dass wir da von einer zur anderen Seite gehen, dass die Differenz also bleibt. Ansonsten Brückenschläge auch zwischen den Gattungen, wenn da nacheinander das Solisten- und/oder Ensemblekonzert auf die Klanginstallation traf oder wenn die Improvisationen eines sehr authentisch auftretenden Trios der arabischen Musik, wenn Oud, Rahmentrommel und Zither unvermittelt neben neuer notierter Musik aus fernöstlichem Geist und Zeitempfinden Platz fanden. Anders als Stockhausens in die Unendlichkeit ausgedehnte „Natürliche Dauern“ ist eine Musik wie „Winter-Mittag“ des Koreaners Kunsu Shim eigentlich nur ein Hauch von einer Komposition. Auskomponierte Fragmente von teilweise frappierender Kürze im Sekundenbereich. Auf ihre Weise aber auch ein Ganzes. Nur so als wenn ein Vogel zwischen Jalousienblättern davonfliegt. „So wollte ich ein Stück schreiben, das eigentlich keine Dauer hat und keine dieser kausalen Verbindungen, Entwicklungen oder so, sondern einfach einen ganz kurzen Augenblick, der mir plötzlich sehr sinnlich scheint, also klanglich in dem Fall.“
Im opening-Großgeflecht waren Shims Winter-Mittag-Fragmente Bestandteil eines großen Abenteuerparcours, genannt Performancekonzert, das in wahrhaft spartenübergreifender Weise das Laut- und Legegedicht in Gestalt des sehr epischen Poeten Frank Schablewski mit dem Performanceartisten Gerhard Stäbler, ferner das Metronomkonzert und die Bodypercussion mit Wagners Tristan verquirlte. Ein überwältigender Moment als da plötzlich aus ganz unvermuteten opening-Ritzen, angetrieben vom mitreißend-lyrischen Sopran der Opernsängerin Alexandra von der Weth, die große Musik strömte. Als hätte sich eine Schleuse geöffnet.