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Moon, O‘Neill. Foto: Bettina Stöß *)
Moon, O‘Neill. Foto: Bettina Stöß *)
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Zwischen Realität und Wunschvorstellung - Puccinis „Tosca“ im Theater Bielefeld

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Sebastian Bauer, Jahrgang 1981, ist von Hause aus Cellist und Musikpädagoge, der sich aber während seiner Zeit als freischaffender Musiker und Musiklehrer mit Musikwissenschaft und Philosophie beschäftigt hat, schließlich an der Uni Bayreuth seinen Masterstudiengang „Musik und Performance“ abschloss. Bis zum letzten Jahr arbeitete er als Abendspielleiter und Regieassistent am Nationaltheater Mannheim unter anderem zusammen mit Achim Freyer an dessen Wagner-„Ring“. Und mit Francis Poulencs „La Voix humaine“ trat er dort erstmalig als Regisseur in Erscheinung. Nun ist Bauer zu Gast am Theater Bielefeld, wo er sich zu Giacomo Puccinis „Tosca“ Gedanken gemacht hat.

Nach dem ersten „Tosca“-Akt ging man etwas ratlos in die Pause. Nicht, dass jemand die römische Kirche Sant’ Andrea della Valle vermisst hätte, in der sich Tosca und Cavaradossi treffen. Aber irgendwie wollte sich kein greifbarer Sinn zeigen, den Sebastian Bauer hinter seine Inszenierung auf fast leerer Bühne gestellt haben könnte. Nichts weiter als eine kahle, nach hinten schräg ansteigende Ebene, auf die der Mesner irgendwann drei Fernsehmonitore hievt und kenntnisreich miteinander verkabelt. Dann kommt Cavaradossi und entlockt den Geräten Bilder – ein Vertreter der audiovisuellen Kunst offenbar, gekleidet wie in den 1970er Jahren. Tosca schreitet von hinten über eine Treppe auf die Spielfläche, eine blonde Mischung aus Madonna, Marilyn Monroe und Marlene Dietrich. Berührungen gibt es nicht – man steht fast immer weit auseinander und macht seltsame Bewegungen mit den Händen – Gesten, die sich nicht entschlüsseln lassen.

Doch die Auflösung dieses Rätsels kommt mit dem Ende des 2. Aktes in Scarpias Machtzentrale, nachdem Tosca diesem Fiesling das Messer in den Bauch gerammt hat: da öffnet sich der Hintergrund der Szene – und herein strömen Massen, die Tosca heftig beklatschen und umjubeln. Es ist nichts anderes als ein Schauspiel, dem wir hier beiwohnen!

Und damit schlägt Sebastian Bauer offensichtlich einen Bogen zu der großen Sarah Bernhardt, jener Schauspielerin also, der der Dichter Victorien Sardou seine 1887 uraufgeführte „La Tosca“ sozusagen auf den Leib geschrieben hatte.

Jetzt wird auch im Rückblick die Gestik der Darsteller in Bauers Opernregie sinnfällig: große Schauspielkunst vergangener Epochen bildet sie ab, weist zugleich hin auf innere Leere und mangelnde Kommunikationsfähigkeit der Protagonisten untereinander, die Bauer dem Bühnenpersonal unterstellt. Dem Gewünschten und dem (nicht) Möglichen, dem Diesseitigem und dem (noch nicht) Jenseitigem spürt seine Lesart nach – jeder Realismus ist Puccinis Drama hier ausgetrieben. Alles ist Kunst und künstlich. Deshalb ist auch das Ende nur konsequent. Tosca wird eingekesselt von ihren Fans, im wahrsten Sinne des Wortes von ihnen mit Liebe erstickt – Tosca als ein Wesen, das allen anderen gehört, nur nicht sich selbst. Das Ganze mutet über weite Strecken ein wenig abstrakt an, vielleicht etwas zu sehr philosophisch, ist aber konsequent gearbeitet. Wobei kein Zweifel bleibt, dass Puccinis kraftvolle, saftige und sich dramatisch aufschwingenden Orchesterklänge eine ganz andere Sprache sprechen als die Bilder auf der Bühne.

Und für eben diese emotionale Seite der Bielefelder „Tosca“ sorgt Dirigent Alexander Kalajdzic mit seinen Bielefelder Philharmonikern. Da gibt es im Detail wie im Tutti viel Schönes, Expressives, Aufgepeitschtes – und doch verfehlt das Orchester letztendlich, wenn auch nur um Haaresbreite, die gewaltige Attacke, eben jenes Gefühl, von Puccini quasi in den Sitz gedrückt zu werden.

Die Bielefelder Chöre sind – wie immer – eine Bank, das Solistenensemble ist von vorn bis hinten gut besetzt. Scarpias Schergen (Lianghua Gong, Lutz Laible und Tae-Woon Jung) sind eiskalte Vollstrecker seiner Befehle; Moon Soo Park ein Angelotti, der gebrochen ist und am Ende; Mark Coles ist der Mesner mit viel Missmut und einer grummelnden Eifersucht Cavaradossi gegenüber. Den singt Paul O’Neill mit großen Kraftreserven, strahlend und geradezu mühelos - und ist fast verwundert darüber, dass auch ihn die Folter brechen kann. Evgueniy Alexiev gibt den Scarpia als einen eiskalten Manager des Unrechtsregimes, unbewegt und mit großer Härte erteilt er die Befehle zum Foltern. Und doch staunt auch er. Seine einzige Gefühlsregung, seine Liebe zu Tosca, kostet ihn das Leben.

Soojin Moon debütiert in Bielefeld als Tosca. Und ihr Debüt gelingt. Anfangs noch etwas zurückhaltend, steigert sie sich gerade im dritten Akt zu einem überzeugenden Portrait der betrogenen Betrügerin. Da atmen ihre Töne fast den Unglauben über das Geschehen. Wunderbar, wie viele Facetten sie ihrem Sopran entlockt, sowohl dynamisch als auch farblich. Kein Wunder, dass ihr orkanartiger Beifall entgegen gebracht wurde. Überhaupt waren die Bielefelder fast durchweg sehr begeistert: schon nach Ende des 1. Aktes gab es jede Menge Applaus. Dass sich bei diesem Regiekonzept dann ganz zum Schluss Buhrufe unter den Beifall mischten, war vorhersehbar.

Weitere Termine: 2. 3., 8. 3., 16. 3., 22. 3., 27. 3., 5. 4., 9. 4. 2014
www.theater-bielefeld.de

 

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