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Apart weichgezeichnet: Renaud Capuçon und die Wiener Philharmoniker mit den Violinkonzerten von Berg und Brahms

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„Wienerisch“ lautet Alban Bergs Vortragsanweisung zu Beginn des Allegretto-Abschnitts im ersten Satz seines Violinkonzerts von 1935. Auch sonst ist Bergs letztes Werk in mancherlei Hinsicht ein „Wiener Konzert“, umso erstaunlicher, dass es bislang keine Einspielung mit dem Wiener Orchester schlechthin, den Philharmonikern gab. Nun liegt sie vor, mit Renaud Capuçon als Solist und Daniel Harding am Pult.

Der erste Klangeindruck ist dann auch ein beinahe magischer. Selten hat man die zerbrechliche Mischung aus Harfe und Klarinette zu Beginn des Konzertes so seidig ineinander verschmolzen gehört. Auch im weiteren Verlauf besticht Hardings Zugriff auf Bergs Orchestersatz durch subtile Farbwirkungen bei gleichzeitiger Transparenz des Satzes. Dies ermöglicht eine den präzisen Partituranweisungen sehr getreue Umsetzung des konzertanten Gewebes, was auch daran liegt, dass Renaud Capuçon sich immer wieder klug und mit differenziertem Ton zurücknimmt.

Der französische Geiger ist dem heiklen Solopart mit schlafwandlerischer Sicherheit gewachsen, gerne lauscht man seinem makellosen Spiel, um dann allerdings recht bald auch etwas zu vermissen: die individuelle Handschrift, die rückhaltlose Hingabe, die dieses Werk, das nicht erst in der abschließenden Choralbearbeitung bekenntnishafte Züge trägt, neben der souveränen technischen Bewältigung eben auch erfordert. Nie packt Capuçun mal etwas kräftiger zu, selbst dort nicht, wo Bergs Ausdruckswille die Gattungsgrenzen bis zum Äußersten ausreizt.

Wunderbar andererseits, dass Capuçon sich bei der Solokadenz vor dem katastrophischen Zusammenbruch im zweiten Satz für die Variante unter Mitwirkung der Solobratsche entschieden hat, und zwar nicht, weil er die schwierigere Fassung mit Mehrfachgriffen nicht bewältigen könnte. Diese Entscheidung passt ausgezeichnet in Bergs Konzept, das eine große Vielfalt und mehrfache Differenzierung der konzertanten Struktur vorsieht.

Diesem aparten, leider aber emotional leicht unterbelichteten Berg-Blick stellen Capuçon und Harding ein solides, exzellent gegeigtes (Kreisler-Kadenz!) Brahms-Konzert zur Seite. Dennoch wird diese Aufnahme – in seinem Booklettext widmet Capuçon sie der französischen Geigerlegende Christian Ferras – wohl eher wegen Berg in Erinnerung bleiben, auch wenn der historisierende Weichzeichner des Coverfotos ein Stück weit Programm gewesen zu sein scheint.
 

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