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Als der Rundfunk noch ein Kulturproduzent war

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Eine Untersuchung zur Programmpolitik des SWR im Bereich der Neuen Musik
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Gisela Nauck: Risiko des kühnen Experiments. Der Rundfunk als Impulsgeber und Mäzen. SWR Schriftenreihe Grundlagen, Bd. 7, Pfau-Verlag Saarbrücken 2004, 219 S., € 25,00, ISBN 3-89727-263-6

Werte treten immer dann ins Bewusstsein, wenn sie der Gesellschaft abhanden kommen. Dann werden die Institutionen, in denen sie sich ausbilden konnten, angemessen gewürdigt – leider zu spät, um noch etwas am unerbittlichen Gang der Dinge (des Fortschritts?) ändern zu können. So geht es auch mit dem guten alten Kulturauftrag der ARD, jahrzehntelang ein Stützpfeiler einer Medienpolitik, die Information, Bildung und Kultur als Einheit begriff und damit so etwas wie einen aufklärerischen Erziehungsauftrag verband.

Gisela Naucks aufschlussreiche Untersuchung mit dem etwas umständlichen Titel „Risiko des kühnen Experiments. Der Rundfunk als Impulsgeber und Mäzen“ liest sich aus dieser Sicht wie ein Abgesang auf eine versunkene Epoche, als der Rundfunk noch ein ernst zu nehmender Faktor des öffentlichen Kulturlebens war. Seit die Popmoderne Einzug in die Chefetagen gehalten hat, verdreht man dort bei einem Begriff wie „Kulturauftrag“ nur noch genervt die Augen. Jeder Rundfunkobere definiert ihn nach Belieben um und kann sich dabei problemlos auf den von den Kulturwissenschaften bis ins Uferlose erweiterten Kulturbegriff berufen. Darunter fällt dann bei der ARD schon das Quiz mit Jörg Pilawa, und der Hörfunkdirektor des HR geniert sich nicht zu behaupten, man höre heute „in allererster Linie Radio und nicht mehr Inhalte“ (vgl. Martin Hufner: Öffentlich-rechtliche Medien unter Druck, nmz 5/05). In den Augen der Medienmanager ist das Medium die Message, und Kultur eine beliebig knetbare Füllmasse mit der Funktion, die Wiedererkennbarkeit einer Sendestrecke zu gewährleisten. Immerhin: Gisela Naucks Veröffentlichung ist in der SWR-Schriftenreihe „Grundlagen“ erschienen, und das bedeutet, dass hier eine Anstalt auch bei wachsendem Banalisierungsdruck noch willens ist, einen Ansatz zu seriöser Selbstreflexion zu leisten, auch wenn es sich nur um das Ausleuchten einer Nische handelt.

Thema der Untersuchung ist die Förderung der Neuen Musik durch den SWR in der Ära Heinrich Strobel, also von den ersten Nachkriegsjahren bis um 1970; die vom SWR seit 1950 maßgeblich getragenen Donaueschinger Musiktage bilden dabei einen Schwerpunkt. Der Autorin standen die Archive der Musikabteilung offen; viele der zitierten oder abgebildeten Dokumente sind hier erstmals veröffentlicht. Man erhält einen instruktiven Einblick in den sensiblen Bereich der künstlerischen Auftragsvergabe und in die oft mühseligen Wege der Realisierung komplizierter Projekte.

Doch dokumentiert wird mehr als die Produktions- und Sendetätigkeit eines Senders. Hinter dem planmäßigen Auf- und Ausbau der Musikaktivitäten wird ein Stück Kulturpolitik in der jungen Bundesrepublik sichtbar, angefangen von der Frühphase des Wiederaufbaus und der Re-Education unter französischer Aufsicht bis in die Zeit, da der damals noch Südwestfunk genannte Sender zu einem internationalen Zentrum der Neuen Musik avanciert war und Aufträge an zahllose Komponisten vergab. Ein Eldorado der zeitgenössischen Musik, gleichsam offiziell verordnet und großzügig finanziert. Und wie tönt es heute von der SWR-Intendanz? „Der Rundfunk ist ein Sendeunternehmen und kein Konzertveranstalter.“

Viel ist in dem materialreichen Buch vom Mäzenatentum des Rundfunks die Rede. Der apologetisch benutzte Begriff erscheint hier aber nicht ganz passend. Mäzenatentum ist eine freiwillige Leistung, die nach Belieben erbracht und auch eingestellt werden kann. Hier geht es jedoch um eine Verpflichtung, die, wie die Autorin nachweist, juristisch zwar nicht eindeutig formuliert, aber im Informationsauftrag enthalten und zumindest gewohnheitsrechtlich begründet ist. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann sich nicht einfach aus der Verantwortung stehlen. Leider – das zeigt die aktuelle Situation – tun es seine Oberen auf quasi legalem Weg, indem sie den Kulturauftrag mit viel juristischer Spitzfindigkeit umdefinieren. Dann fällt eben auch das Unterhaltungsgequatsche unter Kultur.

Gisela Naucks Buch schildert eine untergegangene Welt, in der sich Kultur im Rundfunk nicht ständig legitimieren musste. Sie war einfach da, wurde gemacht und rezipiert – sicher nicht von der dummen Mehrheit, nach der sich heute alles richten zu müssen meint, sondern von jenen qualifizierten Minderheiten, die nun von vielen Rundfunkmachern als Störenfriede und potenzielle Gegner betrachtet werden. Insofern ist die Lektüre dieses Buchs mehr als ein Blick in eine Zeit, in der die Rundfunkwelt noch in Ordnung war. Sie lehrt, was heute zu ändern ist.

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