Biografisches +++ Sachbuch +++ Kulinarisches +++
Biografisches
Ernst Peter Fischer: Niels Bohr. Siedler Verlag, Berlin/München 2012, 272 S., 22,99 €
Das sprüht vor Anregung.
Hans-Joachim Hespos, Komponist
Holger Noltze: Liebestod – Wagner, Verdi, Wir. Hoffmann und Campe, Hamburg 2013, 448 S., € 24,99
Dieses Buch ist nicht nur eine gelungene Gabe zum Jubiläumsjahr zweier herausragender Opernkomponisten. Vielmehr spürt es den tiefsten Emotionen mit grundlegenden Analysen nach und erzählt fortwährend Geschichten, die uns angehen oder gar anrühren. Geschichten von Liebe und Tod und deren Vereinigung im Liebestod. Die Erzählweise ist lehrreich und anschaulich. So ist das Buch nicht nur für Kenner unbedingt empfehlenswert.
Oliver Scheytt, Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft
Eva Weissweiler: Erbin des Feuers: Friedelind Wagner – Eine Spurensuche. Pantheon Verlag, München, 365 S., 14,99 €
Mamas Ekel Friedelind: Im Wagner-Jahr mit einer unfeierlichen Biografie aufzuwarten, die die Familiengeschichte aus der Perspektive der 1918 geborenen Tochter Siegfrieds, Friedelind, schildert und ein Bestseller wird, ist ein Indiz für den wohltuend kritischen Umgang der Öffentlichkeit mit dem Wagner-Komplex. Zudem ist diese Spurensuche Eva Weissweilers wie alle ihre Bücher über Künstler packend recherchiert und sehr gut zu lesen: Friedelind, von Mama gehasst, von „Onkel Wolf“ Hitler bald angeekelt, vor dem Unheil ins Ausland entkommen – eine von Angst und Pech geleitete Frau: ein belastetes Leben.
Burkhard Baltzer, Kunst & Kultur der ver.di
Rainer Nonnenmann (Hrsg.): Der Gang durch die Klippen – Helmut Lachenmanns Begegnung mit Luigi Nono anhand ihres Briefwechsels und anderer Quellen 1957–1990. Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2013, 478 S., 54,00 €
„Verehrter Herr Doktor Nono, ich weiß nicht, ob Sie sich zufällig an mich erinnern.“ Mit dieser ersten Briefzeile beginnt eine der faszinierendsten, bewegendsten und folgenreichsten Künstlerbeziehungen des 20. Jahrhunderts. Der 21-jährige Helmut Lachenmann schreibt am 10. September 1957 an Luigi Nono, den er im gleichen Jahr bei den Darmstädter Ferienkursen als Dozenten erlebt hat. Mit welch existentieller Dringlichkeit hier von einem jungen hochbegabten Mann eine ihm als lebensnotwendig erscheinende Lehrer-Beziehung gesucht, ja erkämpft wird, die sich dann schnell zu einer auch Zeiten größter Überwerfungen überdauernden Liebe wandelt, deren geis-tige und seelische Tiefe weit in das jeweilige Werk der beiden Komponisten wirkt, ist mehr als eine berührende Lektüre. Wer wissen will, was künstlerische Begegnung heißen kann und damit künstlerisches Lernen jenseits geregelter akademischer Studienverhältnisse, die unseren heutigen Ausbildungsstand so dominieren, greife nach diesem Dokument.
Nikolaus Brass, Komponist
Eine ungemein erhellende Dokumentation einer Künstlerfreundschaft. Darüber hinaus ein „Zeitbild“ der Entwicklung der Neuen Musik in einer Phase individueller Selbstfindung,
Peter Ruzicka, Komponist, Künstlerischer Leiter der Münchener Biennale
Über das außergewöhnliche Lehrer-Schüler-Verhältnis von Luigi Nono und Helmut Lachenmann hinaus zeigt das materialreiche Buch die spannende Komponistenwerdung von Helmut Lachenmann. Permanente Suchbewegungen – Gänge durch die Klippen – führen ihn zu Nono hin und weg und münden in eine tiefe Freundschaft. Der Leser wird Zeuge eines äußerst spannend zu lesenden Dialoges zweier großer Komponisten, ein Dialog, bei dem neben Musikalischem auch Politisches eine nicht unwesentliche Rolle spielt.
Michael Haefliger, Intendant Lucerne Festival
Angela Ida de Benedictis, Ulrich Mosch (Hrsg.): Alla ricerca di luce e chiarezza. L’epistolario Helmut Lachenmann – Luigi Nono (1957–1990). Leo Olschki Verlag, Florenz 2012, 294 S., 33,25 €
Rainer Nonnenmann: Der Gang durch die Klippen, s.o.
Beide Bücher präsentieren den weithin spannend zu lesenden, sich auf 33 Jahre erstreckenden Gedankenaustausch zweier prägender Komponisten des 20./21. Jahrhunderts. Im privaten Rahmen äußerten sie zum Teil Bemerkenswertes – über die eigene Musik, aber auch die des jeweils anderen sowie zu allgemeinen Einschätzungen. Die strenger an wissenschaftlichen Gepflogenheiten orientierte Ausgabe bei Olschki begnügt sich mit sparsamen Kommentaren und bietet die Briefe jeweils in der Originalsprache. Die umfangreiche Breitkopf-Ausgabe unternimmt dagegen den kompetenten Versuch einer
ersten Auswertung und Kontextualisierung des Briefwechsels. Künftigen Forschungen zu beiden Komponisten ist mit beiden Büchern, die jeweils auch noch weitere Dokumente präsentieren, gewiss gedient.
Jörn Peter Hiekel, Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden
John McCusker: Creole Trombone – Kid Ory and the Early Years of Jazz, University Press of Mississippi, Jackson (USA) 2012, 250 S.,36,75 €
Der Posaunist Kid Ory war einer der Pioniere des Jazz. Er hatte schon 1906 eine eigene Band und gehörte zu den Musikern, die den Übergang vom Ragtime unter Einbeziehung von Blues und Brass-Band-Musik vollzogen haben, getrieben von einer immer stärkeren Lust am Improvisieren. Gründlich recherchiert – eine spannende Lektüre.
Joe Viera, Saxophonist
Wilfried Gruhn, mit Ulrich Mahlert, Dietmar Schenk und Judith Cohen: Leo Kestenberg – Gesammelte Schriften. 4 Bände in 6 Buchausgaben, Rombach Verlag, Freiburg 2009–2013, 2456 S., 426,00 €
Ein neues Bild von Kestenberg. Eine Sternstunde musikpädagogischer Forschung. Ein lebendiger Einblick in die Kulturpolitik der Weimarer Republik. Ein Nachkriegs-Requiem im Angesicht der Trümmer. Sehr empfehlenswert, trotz des hohen Preises.
Prof. Dr. Karl Heinrich Ehrenforth, Hochschule für Musik Detmold
Eva-Maria Houben, Burkhard Schlothauer (Hrsg.): Antoine Beuger – Werkanalysen und Hintergründe. Reihe Wandelweiser, Band 2, Edition Howeg, Zürich 2013, 202 S., 32,00 €
Mit großer Freude habe ich in den letzten Wochen immer wieder in dieses schöne Büchlein geschaut, drin gelesen, gestöbert, viele Artikel als Anregung gefunden. Houben und Schlot-hauer haben liebevoll zu Fragen und Eigenheiten der Kompositionen Antoine Beugers Stellung bezogen, beziehungsweise andere initiiert, sich zu Beuger zu äußern. Das Ergebnis sind vielfältige Analysen und Erfahrensberichte zum Werk des Komponisten und zu seinen „Wurzeln“. Hinzu kommen Texte Beugers, seine Übersetzung von Johannes vom Kreuz „Der Geistliche Gesang“ und „Die dunkle Nacht“. Kurzbiographie. Diskographie. Werkliste. Insgesamt ein schönes Buch, das auch die „Idee Wandelweiser“ spiegelt – siehe auch www.wandelweiser.de
Bernd Wiesemann, Komponist
Sachbuch
Ulrich Drüner, Georg Günther: Musik und „Drittes Reich“ – Fallbeispiele 1910 bis 1960 zu Herkunft, Höhepunkt und Nachwirkungen des Nationalsozialismus in der Musik. Böhlau, Wien 2012, 480 S., 49,00 €
Eine beklemmende Quellensammlung, die kurz vor dem Ersten Weltkrieg einsetzt und den Beginn des antisemitischen Denkens im Musikschrifttum weit vor der Diktatur des Nationalsozialismus aufzeigt. Ein Lesebuch zum Blättern, Studieren, Nachdenken, mit 25 Seiten abgebildeter Dokumente, das das gesamte Feld von opportunistischer Anpassung, Denunziation, Ausgrenzung, Exil bis hin zur Ermordung abdeckt und sich teilweise erschütternd liest.
Eva Rieger, Musikwissenschaftlerin
Gabriele Schulz, Olaf Zimmermann, Rainer Hufnagel: Arbeitsmarkt Kultur – Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Kulturberufen. Herausgegeben vom Deutschen Kulturrat e.V. 1. Auflage, Berlin 2013, 326 S., 17,80 €
Vielerorts wird neuerdings auf steigende Zahlen von Studierenden in Rock-Pop-Jazz-Studiengängen an Musikhochschulen und Universitäten hingewiesen. Darüber hinaus artikuliert sich die Profi-Szene neuerdings deutlich. Ohne Hinweise auf konkrete Zahlen bleibt die Politik jedoch zurückhaltend, was Aussagen über notwendige Fördermaßnahmen betrifft. Hier schließt die vorliegende Veröffentlichung des Deutschen Kulturrates eine Lücke. „Arbeitsmarkt Kultur“ liefert eine sorgfältige Recherche und Analyse vorhandenen Datenmaterials unter Berücksichtigung entsprechender Forschungsansätze. Sie führt zu unmissverständlichen Schlussfolgerungen. Eine von der Union Deutscher Jazzmusiker initiierte und mit der Universität Hildesheim geplante Studie auf der Basis einer Umfrage unter Jazzmusikern wird eine weitere Lücke schließen.
Peter Ortmann, ehemal. Projektleiter Jugend jazzt, Bundesjazzorchester
Adam Harper: Infinite Music – Imagining the Next Millennium of Human Music-Making. Zero Books 2011, 234 S., €14,37
In diesem Buch entwirft der Komponist, Autor und Blogger Adam Harper verschiedenste Entwürfe für eine Musikästhetik der Zukunft unter Einbeziehung der technologischen Möglichkeiten der Gegenwart. Dabei verfällt er weder in eine Götzenanbetung der Technik noch in die ideologischen Fallen vieler Kollegen. Stattdessen geht es um vielfältigste Anregungen für Freidenker und Neugierige, auch ein Artikel darüber, wie Musik von Außerirdischen klingen könnte fehlt nicht.
Moritz Eggert, Komponist
Michael Maul: „Dero berühmbter Chor“ – Die Leipziger Thomasschule und ihre Kantoren 1212–1804. Lehmstedt Verlag, Leipzig 2012, 437 S.,29,90 €
Zum 800-Jahre-Jubiläum des Leipziger Thomaner-Chors stellt Michael Maul, Mitglied der Forschungsabteilung des Leipziger Bacharchivs, die ers-
ten 600 Jahre der Thomasschule und ihrer Kantoren dar. Auf der Grundlage zahlreicher neu herangezogener Quellen und Dokumente geht er dem Phänomen nach, warum berühmte Musiker wie J.S. Bach, J.A. Hiller und andere mehr an diese Knabenschule kamen und diese trotz Problemen mit der Obrigkeit und den Leipziger Bürgern zu internationalem Ruhm führten. Eine lebendige und spannend zu lesende historische Darstellung.
Dr. Dirk Hewig, Präsident des Deutschen Tonkünstlerverbandes
Harry Lehmann: Die digitale Revolution der Musik – Eine Musikphilosophie. Schott, Neue Zeitschrift für Musik/Edition, Mainz 2012, 150 S., 19,95 €
Lehmanns großartige Musikphilosophie macht die Notwendigkeit eines multimedialen Kompositionsstudiums an Hochschulen evident. Andererseits zeigt sie, wie sich neue digitale Musik von den Ausbildungsstätten und Funktionärsnetzen emanzipiert hat. Sie spannt den Bogen zu Guido von Arezzo: „Just ein Millennium nach der Erfindung der Notation (…) wird die von Guido begründete literale Musikkultur von einer digitalen Musikkultur abgelöst.“
Peter Michael Hamel, Komponist
Peter Elsdon: Keith Jarrett’s The Köln Concert. Oxford University Press, New York 2013, 171 S., € 13,00
Peter Elsdon untersucht Keith Jarretts „Köln Concert“ als musikalischen Event und als kulturelles Phänomen. Sein Buch lässt einen dabei die eigenen Für und Wider zum „Köln Concert“ hinterfragen, auch, indem der Autor ganz unterschiedliche Aspekte der Albumrezeption betont, insbesondere seine musikalische und seine ästhetische Rezeption.
Wolfram Knauer, Jazzinstitut Darmstadt
Sebastian Leikert, Jörg M. Scharff: Korrespondenzen und Resonanzen – Psychoanalyse und Musik im Dialog. Brandes & Apsel Verlag, Frankfurt am Main 2013, 161 S., 19,90 €
Zwei Psychoanalytiker und Musikkenner erörtern behutsam, sorgfältig und höchst eindrucksvoll die psychischen Vorgänge beim Musizieren und beim Erleben von Musik. Ebenso spüren sie den musikalischen Faktoren im therapeutischen Dialog nach.
Prof. Dr. Ulrich Mahlert, Universität der Künste Berlin
Johanna Heutling: Wörterbuch Musik – Dictionary of Music. German, Japanese, Korean, Chinese, Russian, English. Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2013, 354 S., 28,80 €
Endlich! Die Welt ist klein geworden – bin selber in Sachen Musik permanent von Brüssel, London, Washington bis Beijing oder Taipeh unterwegs. Da ist es ein extrem hilfreiches Buch. Trotz aller Freude darüber werde ich aber auch weiterhin zu Roberto Braccinis „Wörterbuch der Musik“ (Schott Music) greifen müssen, denn dort finde ich auch französisch und (Muttersprache aller Musik!) italienisch.
Enjott Schneider, Komponist, Aufsichtsratsvorsitzender der GEMA
Michael Kaufmann, Stefan Piendl: Das Wunder von Caracas. Irisiana Verlag, München 2011, 256 S., 19,80 €
Seit fast vierzig Jahren blüht in Venezuela ein einzigartiges System von Kinder- und Jugendorchestern, weit über eine Million junger Musiker haben so nicht nur ein Instrument, sondern auch Tugenden für ihr ganzes Leben erlernt. Der Gründer José Antonio Abreu wurde unter anderem mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Natürlich wird auch Kammermusik gemacht, das Simon Bolivar String Quartet debütierte 2013 bei den Salzburger Festspielen. Ich habe dieses inspirierende Buch mit Begeisterung gelesen.
Monika Henschel, Präsidentin des Verbandes Deutscher Streichquartette
Olafur Eliasson: An Encyclopedia. Taschen Verlag, Köln 2012, 532 S.
Enzyklopädie des Schöpferischen
Hans-Joachim Hespos, Komponist
Werner Heisenberg: Der Teil und das Ganze. Piper Verlag, München 2010, 288 S.
Die Musikalität der Quantenphysik
Hans-Joachim Hespos, Komponist
Harry Lehmann: Die digitale Revolution der Musik. Schott Music, Mainz, 150 S., 19,95 €
Pinkelchens Traum: Alle Macht dem Digital! Ab in Stumpfsinn und Verblödung.
Hans-Joachim Hespos, Komponist
Kulinarisches
Herlinde Koelbl: Orchesterbilder. Deutscher Kunstverlag, Berlin/München 2013, 120 S., 24,90 €
Bernie Krause: Das große Orchester der Tiere – Vom Ursprung der Musik in der Natur. Übersetzt von Gabriele Gockel und Sonja Schumacher, Kunstmann Verlag, München 2013, 272 S., 22,95 €
Zwei Bücher, die sich indirekt auf faszinierende Weise mit Musik auseinandersetzen: Die Fotografin Herlinde
Koelbl hat das BR-Symphonieorchester begleitet und mit ihrer Kamera den individuellen Beziehungen von Musikern zu ihren Instrumenten nachgespürt. Der Musiker und Naturforscher Bernie Krause hat auf seinen Weltreisen zirka 4.000 Stunden Tierklänge aufgezeichnet. Eine der spannenden Entdeckungen dabei: Die Klänge der Tierwelt haben wesentlichen Einfluss auf den Menschen.
Meret Forster, Bayerischer Rundfunk
Gary Shove, Patrick Potter (Hrsg.): Banksy – You Are An Acceptable Level of Threat. Gingko Press, Berkeley 2012, 228 S., € 27,50 €
You must have a look.
Hans-Joachim Hespos, Komponist
Peter Rüedi: Stolen Moments. 1522 Jazzkolumnen, Echtzeit Verlag, Basel 2013, 1.320 S., € 63,00
„Der Augenblick verweilt nicht, er ist zeitlos, weggerissen im Zeitpunkt seiner Geburt, immer aufs Neue verloren, und das macht die Musik aus, die sich ihm verschreibt: Sie ist sterblich und gebärt sich fortlaufend neu, und sie ist doch umstellt von Vergangenheiten.“ Kann man schöner sagen, worum es im Jazz – und in anderer improvisierter Musik – geht? Der Schweizer Journalist und Schriftsteller Peter Rüedi hat seine aus Blättern wie der „Weltwoche“ und der „Zeit“ berühmten Jazzkolumnen jetzt in eine Buchform bringen lassen. Ein dicker Brocken von deutlich mehr als tausend Seiten – und von Text zu Text, ja Absatz zu Absatz ein geistiges Abenteuer. Rüedi, das ist seine Stärke, geht mit seiner großen literarischen Belesenheit und seiner Lust, Sätze zu klingenden Gebilden zu formen, weit über die Aktualität seiner jeweiligen Gegenstände hinaus. Seine Kolumnen sind Edelstoff für Lesefreudige und eine Fundgrube für Leute, die Musikgeschichte auch als Zeit- und Geistesgeschichte begreifen.
Roland Spiegel, Bayerischer Rundfunk