Norman Lebrecht: Ausgespielt. Aufstieg und Fall der Klassikindustrie, Schott Music, Mainz 2007, 384 S., € 19,95, ISBN 978-3-7957-0593-0
Das Ende der Klassikindustrie zeichnete sich, wenn man dem Autor Norman Lebrecht glauben will, spätestens seit den 60er-Jahren ab, als die Pop-Musik begann, der Klassik den Rang abzulaufen. Es folgten Hochs und Tiefs; zu den Hochs gehörten ohne Zweifel Künstler wie Herbert von Karajan, der mit seinen unzähligen Einspielungen für volle Kassen seiner Platten-Labels sorgte, die Callas, deren Verkaufszahlen insbesondere nach ihrem Tod enorm anstiegen, die Stadien füllenden drei Tenöre oder der Teenie-Schwarm Nigel Kennedy, der mit seiner Aufnahme der „Vier Jahreszeiten“ ganz neue Publikumsschichten gewinnen konnte. Zu den Hochs gehörten auch stilistische Neu-Entdeckungen wie Alte Musik auf historischen Instrumenten oder – später – die so genannte Cross Over-Musik. Nicht zu vergessen die Einführung der CD Anfang der 80er-Jahre, die zu einem erneuten Klassik-Boom führte und die Herzen der Plattenchefs höher schlagen ließ. Im Wesentlichen beschreibt Lebrecht allerdings die Tiefs, wobei er den Beweis für seine Behauptung, die Klassik-Industrie sei heute am Ende, dem Leser letztendlich schuldig bleibt.
Norman Lebrecht ist ein Insider der Plattenindustrie. Das belegt er in seinem Buch über „Aufstieg und Fall der Klassikindustrie“ in zahlreichen Anekdoten und Charakterisierungen, von denen einige wegzulassen dem Buch sicher gut getan hätte. Nicht nur sind manche der Erzählungen und Beschreibungen für das Thema schlicht irrelevant und für den Leser entsprechend von geringem Interesse. Die Aneinanderreihung der Episoden sorgt auch für eine Unübersichtlichkeit, die gestärkt wird durch ein Sammelsurium von Namen von Plattenbossen, Funktionären und Künstlern. Ein Leser, der kein Insider der Branche ist, verliert schnell den Überblick, wer welche Funktion in welchem Unternehmen ausübte, wer wann das Unternehmen wechselte oder in Freundschaft oder Feindschaft zu anderen Protagonisten des Buches stand. Es bleibt der Eindruck, dass die meisten von ihnen unfähig, unsympathisch, tyrannisch, exzentrisch oder inkompetent waren. Dass man, um in den 50er-Jahren bei Decca aufzusteigen, möglichst schwul sein musste, mag – schon wegen der damaligen gesellschaftlichen Ächtung jeglicher Homosexualität – eine interessante Information sein.
Die Ausweitung dieser Information über zwei Seiten, angereichert durch anzügliche Details über die Betroffenen, erfüllt nicht die Erwartungen eines Lesers, der an Fakten und Informationen interessiert ist.
Das ist eigentlich schade, denn Lebrecht vermittelt auch die großen Linien der Branchen-Geschichte: Das Entstehen der Schallplatte; die technisch-revolutionären Entwicklungen des Mediums; Meilensteine wie die erste Opernproduktion mit „Rheingold“ 1958; Firmen-Fusionen und -Trennungen ebenso wie die Erfolge kleiner Independent-Labels; die Erfindung und Implementierung der CD; die wirtschaftliche Selbst-Überforderung der Majors durch Zahlung astronomischer Künstler-Honorare und horrende Spesen-Budgets; die Gegenbewegung „Naxos“ und deren Erfolgsgeschichte et cetera. Die durchaus interessanten Informationen erhält der Leser, wenn er bereit ist, sich durch Geschichten und Geschichtchen über Personen und Persönlichkeiten zu kämpfen. Die manchmal holprige, manchmal unklare Sprache lässt auf eine nicht eben herausragende Übersetzung schließen.
Die in den Teilen zwei und drei des Buches aufgeführten „100 Meilensteine eines Jahrhunderts der Klassikindustrie“ beziehungsweise „20 Aufnahmen, die nie hätten gemacht werden sollen“, sind, wie der Autor selbst sagt, subjektiv. Mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen.