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Oliver Fraenzke: Eduard Erdmann. Philosoph des Klaviers (SOLO. Porträts und Profile), edition text + kritik, München 2022, 128 S., Abb., € 19,00, ISBN 978-3-96707-604-2
Oliver Fraenzke: Eduard Erdmann. Philosoph des Klaviers (SOLO. Porträts und Profile), edition text + kritik, München 2022, 128 S., Abb., € 19,00, ISBN 978-3-96707-604-2
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Bemerkenswerter Künstler und Mensch

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Oliver Fraenzkes kompakte Monographie über Eduard Erdmann
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Heute kennt man ihn fast nur noch als Pianisten und charaktervollen Akteur der neuen Musik der 1920er Jahre. Auch als Mitglied des ersten Programm­ausschusses der 1921 begründeten „Donaueschinger Kammermusikaufführungen zur Förderung zeitgenössischer Tonkunst“ ist er in die Musikgeschichte eingegangen. 1896 in Livland geboren sowie dort und beim Liszt-Schüler Conrad Ansorge in Berlin ausgebildet, avancierte Eduard Erdmann nach dem Ersten Weltkrieg zu einer treibenden Kraft der neuen Musik, zunächst in der revolutionär gesinnten Berliner „Novembergruppe“ und der von Hermann Scherchen begründeten „Neuen Musikgesellschaft“.

Im Gegensatz zu seinem Mentor Artur Schnabel, der sich fast ausschließlich Beethoven und Schubert widmete, spielte Erdmann sowohl Raritäten vorbachischer Musik als auch Werke von Skrjabin, Busoni und der Zeitgenossen Bartók, Schönberg, Berg, Jarnach. Besonders häufig auf die Programme setzte er Musik seines Freundes Ernst Krenek, immer wieder Bergs Klaviersonate op. 1 sowie Stücke seines Berliner Kompositionslehrers Heinz Tiessen. Etliche Novitäten brachte er zur Uraufführung und wurden ihm gewidmet.

Aspektreiches Porträt

Oliver Fraenzke zeichnet in seinem Buch „Eduard Erdmann – Philosoph des Klaviers“ ein aspektreiches Porträt des eigenwilligen Pianisten und Komponisten, der vielfach als schrullig und exzentrisch wahrgenommen wurde. Erdmann steckte einen Großteil seines Geldes in die Sammlung seltener Tiere, in Zigaretten und eine zehntausend Bände umfassende Bibliothek, die er auch komplett las und aus der er vieles auswendig vortragen konnte. Meist schlampig gekleidet, war er hemmungslos beim Äußern seiner Auffassungen und in späteren Jahren immer eigenbrötlerischer. Fraenzke erschließt neben bekannten Primär- und Sekundärtexten auch etliches bisher unveröffentlichtes Brief- und Quellenmaterial aus dem Erdmann-Nachlass im Musikarchiv der Akademie der Künste Berlin. Den Schwerpunkt legt der junge Münchner Musikwissenschaftler auf den Pianisten. Er folgt damit nicht zuletzt der Konzeption der neuen Taschenbuchreihe „SOLO“ der Münchner edition text + kritik, welche die Komponistenporträts der „Musik-Konzepte“ ergänzt.

Den „Ritterschlag“ als Pianist erhielt Erdmann 1920, als er in Berlin Ferruccio Busonis monumentales Klavierkonzert spielte und ihn der Komponist anschließend vor versammeltem Publikum küsste. Erdmann galt als gewissenhafter Anwalt der Werke mit unbedingter Treue zum Notentext. Sofern vorhanden verwendete er nur Urtext-Ausgaben und erarbeitete die Stücke detailgetreu mit größter Akribie, um sie dann auswendig vorzutragen, zuweilen allerdings verbunden mit skurril wirkenden Bewegungen und heftigem Schnaufen. Da Erdmann Rundfunkmitschnitte mied, sind von ihm leider nur wenige Einspielungen überliefert, obwohl er in ganz Deutschland und Europa sowohl mit eigenen Klavierabenden als auch mit namhaften Orchestern unter bekannten Dirigenten konzertierte. Mit der australischen Geigerin Alma Moodie bildete er ein Duo, ebenso mit dem gleichaltrigen Pianisten Walter Gieseking. Nachdem Erdmann während des Nationalsozialismus fast nur Bach, Mozart, Beethoven und Schubert spielte und als Komponist völlig zum Schweigen verurteilt war, setzte er sich in seinen ersten Konzerten nach dem Krieg wieder umso entschiedener für Komponisten ein, welche die Nazis aus rassistischen, ästhetischen und/oder politischen Gründen verfemt hatten.

Als Komponist verband Erdmann von Anfang an spätromantische Funktionsharmonik mit freier Tonalität. Genaueres über seine Kompositionstechnik, Harmonik, Instrumentation Themen- und Formbildung erfährt man allerdigns nicht. Immerhin werden seine 22 Opera chronologisch in biographische und zeitpolitische Umstände eingeordnet, darunter vier Symphonien und weitere Orchesterstücke, je ein Klavierkonzert und Streichquartett sowie mehrere Lieder und Klavierstücke. Als Lehrer wirkte Erdmann von 1925 bis 1935 an der Musikhochschule Köln sowie von 1950 bis zu seinem Tod 1958 an der Hochschule in Hamburg, wo unter anderem die Brüder Alfons und Aloys Kontarsky zu seinen Schülern gehörten. Oliver Fraenzkes kompakte Monographie über den weitgehend vergessenen Künstler und bemerkenswerten Menschen Eduard Erdmann ist ebenso informativ wie gut geschrieben und anregend zu lesend. Komplettiert wird das Buch durch einen ausführlichen Anhang mit Diskographie, Werk- und Literaturverzeichnis, Zeittafel und Personenregister.

  • Oliver Fraenzke: Eduard Erdmann. Philosoph des Klaviers (SOLO. Porträts und Profile), edition text + kritik, München 2022, 128 S., Abb., € 19,00, ISBN 978-3-96707-604-2

 

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