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Bewusstsein für Sparte schärfen

Untertitel
Ein Buch rückt den kreativen Kindertanz ins Blickfeld
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Katja Schneider: Alle Kinder tanzen gern. Wie Tanzen Kinder fördert und erfüllt, Beust Verlag, Wiesbaden 2004, 192 S., Abb., € 12,95, ISBN 3-937715-92-4

Ratgeber – Leitfaden – Informationsband zu Theorie und Praxis des Tanzens – Hintergründe: Dieses Buch, das sich vorrangig an Eltern wendet, erfüllt zahlreiche Funktionen. Es bietet Antworten auf viele Fragen, die sich Eltern stellen, wenn sie eine – stilistisch wie auch immer geartete – tänzerische Erziehung Ihrer Kinder ins Auge fassen. Katja Schneider ist als Tanzpädagogin und Tanzjournalistin prädestiniert, das Thema Tanzen mit Kindern fundiert und bis ins Detail praxisnah (z.B. welche Kleidung oder Haartracht für welchen Tanzstil und warum?) darzustellen. Das Buch bietet eine gelungene Balance von Hintergrundinformationen, Einzelfall-Beschreibungen, persönlichen Erfahrungen der Autorin und generellen Betrachtungen. Die bunt gemischte Kapitelfolge kann auch ausschnitthaft gelesen werden, allerdings wäre durch eine Themenblöcke zusammenfügende Systematik eine klarere Orientierung gegeben. Einige Kapitelüberschriften machen Appetit auf mehr, so zum Beispiel „Tanz birgt altes Weltwissen“ oder „Tanzen macht Musik sichtbar“, aber vielleicht ließ die Zielsetzung des Buches einen tieferen Einstieg in diese Themen nicht zu. Trotzdem hat alles auch bei zuweilen sehr knapper Darstellung „Hand und Fuß“, ist von großer Sachkenntnis getragen und beschreibt vor allem die Tanzrichtungen differenziert genug, um sie deutlich zu charakterisieren und voneinander abzugrenzen, so dass gerade Laien sehr von der Lektüre profitieren können. Dazu trägt auch der lebendige Schreibstil bei.

Tanzen wird als weitreichendes Phänomen angesehen: Es fördert Körper und Geist, Kreativität und Sozialkompetenz, dient also insgesamt der Persönlichkeitsbildung. Unter dieser Maßgabe werden die verschiedenen Tanzstile betrachtet, wobei Posen einstudierende, imitative Stile wie MTV- und Videoclip-Dance dann zwangsläufig in die Kritik geraten und in diesem Buch nur eine marginale Rolle spielen. Auch die Abgrenzung von Tanz und Sport überzeugt: Tanz ist eine Kunst, „das tanzende Kind betritt eine imaginäre Welt, in der es tanzt“, während im Sport auf ein spezielles, außerhalb vom Kind vorgegebenes Ziel hin trainiert wird. „Tanzen erweitert die körperlichen Möglichkeiten eines Kindes, Sport muss sie notgedrungen spezialisieren.“
Die Vielfalt des Kindertanzes wird ersichtlich im Kapitel „Immer nur Ballett?“ und in der anschließenden Schilderung von Übungsstunden verschiedener Tanzrichtungen. Sehr wohltuend und die umfassende Kompetenz der Autorin spiegelnd ist die Tatsache, dass das in der öffentlichen Wahrnehmung dominierende Ballett gleichberechtigt neben Modern Dance und Jazztanz steht, dass die Richtungen wertfrei in ihrer Tradition und Spezifik beschrieben werden. Unter der Voraussetzung, dass Tanz gut, das heißt der Anatomie gemäß, kräftigend, gesundheitsfördernd und die Persönlichkeit stabilisierend unterrichtet wird, ist die Wahl der Tanzrichtung nach dem Alter, der Interessenausrichtung und den körperlichen Bedingungen des Kindes zu treffen. Katja Schneider gibt ganz konkrete Tipps, wie man die richtige Schule für sein Kind findet und nach welchen Kriterien die Ausstattung und die Probestunden zu beurteilen sind.

Immer werden auch gesellschaftliche Bedingungen mit reflektiert, Klischees und geschlechtsspezifische Rollenzuweisungen hinterfragt, bei Mädchen mit dem Traum von rosa Tutu ebenso wie bei Jungen (und Vätern!), für die Tanzen „uncool“ ist.

Eine der wichtigsten Botschaften dieses Buches ist für mich, dass die Tanzrichtung „Kreativer Kindertanz“ ins Blickfeld rückt. In ihr verbinden sich Tanz und individuelle Ausdrucks- und Sozialerziehung auf besonders entwicklungsfördernde Weise. Es ist zu hoffen, dass dieses Buch dazu beiträgt, das Bewusstsein für diese gesamterzieherisch ungemein wichtige Sparte zu schärfen und das Angebot an qualifizierten Kursen zu erhöhen. Tanzen wird zu Recht als Grundbedürfnis des Menschen angesehen – aber im Bildungskanon kommt Tanzen nicht vor. Bei aller vordergründigen Mobilität sind wir auf dem Weg zu einer regungslosen Gesellschaft, aber das Pflänzchen Tanz „ist an widrige Bedingungen gewöhnt, gepäppelt wie die bildungsbürgerlichen Traditionsfächer Musik und Kunst hat man es nie.“ Wer dieses Buch aufmerksam (und vielleicht nicht nur auf der Suche nach einer schnellen Information liest), kann viele gute Argumente finden, Tanz als Bildungsgut in Lehrplänen und öffentlichen Institutionen zu verankern.

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