Bernd Oberhoff (Hg.): Psychoanalyse und Musik. Eine Bestandsaufnahme, Imago Psychosozial-Verlag, Gießen 2002, 510 S., Ill., Notenbeispiele, € 36,00, ISBN 3-89806-145-0.
Bernd Oberhoff (Hg.): Das Unbewusste in der Musik, Imago Psychosozial-Verlag, Gießen 2002, 136 S., Notenbeispiele, € 19,90, ISBN 3-89806-180-9
In seinem 2002 erschienen Band „Psychoanalyse und Musik“ systematisiert Oberhoff das psychoanalytische Nachdenken über Musik anhand eines Zeitrasters. Dem zufolge lassen sich drei mehr oder minder zeitlich gebundene Perioden festmachen. Die erste Periode umfasst den Zeitraum von 1910 bis 1950. Grundgedanke der Arbeiten dieser Zeit bildet die sexuelle Triebdynamik. Die Bewältigungsmechanismen des Ichs dagegen sind die Grundlagen der Arbeiten der zweiten Periode, die sich über den Zeitraum von 1950 bis 1975 erstreckt. Von 1975 bis heute stehen „die präverbalen Kommunikationsprozesse der frühen Mutter-Kind-Dyade“ (S. 10) im Vordergrund.
Nach Oberhoff weisen die Arbeiten der ersten Periode auf die Verbindung von Körper und Musik als „einen wesentlichen Aspekt der Musik hin.“ Damit schließen sie an Freud an, der in dem frühen Ich in erster Linie ein Körper-Ich sah. Ebenfalls kennzeichnend ist, dass die entsprechenden Phänomene den Autoren in erster Linie an anderen Personen (Patienten, Künstlern et cetera), nicht jedoch an sich selbst auffielen.
Signifikant für die zweite Periode ist eine (vorübergehende) Abwendung von den unbewussten Triebkräften hin zu den „Organisationsformen und Bewältigungsstrategien des Ichs“ (S. 15), um dann aber in einem zweiten Schritt die Erkenntnisse um die Triebdynamik des Es (erneut) mit einzubeziehen. Die in den 50-er Jahren aufkommende Bedeutung der (Gegen-) Übertragungsproblematik hat sich nicht in eine „Aufmerksamkeit für das subjektive Erleben von Musik niedergeschlagen“ (S. 18).
In der dritten Zeitspanne tritt der Forschungsbereich Psychoanalyse und Musik aus dem amerikanischen Exil heraus und beginnt in Europa, und hier besonders im deutschsprachigen Raum, wieder Fuß zu fassen. Zentrale Fragestellung ist jetzt weniger die Auseinandersetzung um die Triebspannungen im Es oder die Bewältigungsstrategien des Ichs als vielmehr das interaktive Geschehen der präverbalen Zeit, wobei der Mutter-Kind-Dyade erhöhte Aufmerksamkeit zukommt. Musik wird in diesem Zusammenhang gesehen „als Ausdruck einer spezifischen affektiven Kommunikation“ (ebda.). Das überaus anregend zu lesende Buch gibt einen umfassenden Einblick in den Themenbereich Psychoanalyse und Musik. Darüber hinaus findet der interessierte Leser neben den Quellenverweisen der im Buch vertretenen Abhandlungen eine nahezu vollständige Bibliographie zum Themenbereich Psychoanalyse und Musik zur Vertiefung eigener Erkenntnisse.
Im Jahr 2001 fand das „1. Coesfelder Symposium Musik und Psyche“ statt, das sich dem „Unbewussten in der Musik“ widmete, gleichzeitig der Titel der zugehörigen Publikation. Im Mittelpunkt stand die Frage nach dem Seelischen in der Musik. Einen ersten Einblick in diese Richtung bietet vor dem Hintergrund der Theorien Winnicotts der Beitrag von Tenbrink. Einen besonderen Schwerpunkt legt dieser auf die Entwicklung der subjektiven und objektiven Objektbildung, der Bedeutung der Musik, des Zusammenspiels von Musikern und auch der Instrumentenwahl. Wer sich mit Winnicott beschäftigt hat, weiß, dass in diesem Zusammenhang auch ganz wesentlich Gedanken zur Kreativität und zum Spiel zum Tragen kommen. Oberhoff befasst sich am Beispiel des 1. Satzes von Rachmaninoffs Klavierkonzert Nr. 3 theoretisch und praktisch mit der Methodologie psychoanalytischer Musikanalyse. Aus der Erkenntnis des Fehlens sowohl einer tiefenpsychologischen Theorie der Rezeption oder Deutung von Musik als auch einer entwickelten Methodik zur Musikanalyse entwickelt Oberhoff hier erste Ansätze, diese Defizite aufzuarbeiten und im Weiteren praktisch anzuwenden.
Leikerts Beitrag beschäftigt sich mit der Musik in der Persönlichkeits- und der Abwehrorganisation eines frühgestörten Patienten. Ansatzpunkt für diese Falldarstellung ist die Bedeutung der Musik in der pränatalen Entwicklung, aus der heraus sich auch ihre postnatale kathartische Wirkung ableiten lässt.
Ziel des Beitrags von Tüpker „Wo ist die Musik, wenn wir sie nicht hören?“ ist es vorrangig, „Prozesse des Nachdenkens und des Austausches über Erfahrungen mit der Musik in Gang zu setzen“ und „Vorstellungen und Bilder zu entwickeln, was Musik – psychologisch betrachtet – ist“ (S. 75). Schwierigkeiten bei der Beantwortung der Frage, was Musik ist, nähert sie sich in verschiedenen Etappen ohne letztlich das Phänomen Musik gänzlich fassen zu können. Sie gestaltet einen Beziehungsraum, schafft „Übergänge und Verbindungen [...] zwischen Unbewusstem und Bewusstsein, Körperlichem und Seelischem“ (ebda.).
In einem letzten Beitrag widmet sich Oberhoff der Frage, ob „Die doppelchörige Motette ,Da pacem, Domine’ von Heinrich Schütz eine politische oder eine psychologische Musik“ ist? Es handelt sich hier um Ergebnisse eines Gruppenassoziationsexperiments, an dem sich insgesamt 47 Personen beteiligten. Oberhoffs Verdienst besteht darin, dem Verhältnis von Psychoanalyse und Musik neue Aktualität verliehen zu haben. Er und seine Mitstreiter begnügen sich nicht damit, historisch bedeutsamen Wurzeln dieses Verhältnisses nachzuspüren und diese aufzuzeigen; vielmehr gelingt es ihnen, psychoanalytischem Denken in aktuellen Bezügen Bedeutung zu verleihen. Dem „3. Coesfelder Symposium Musik und Psyche“, das am 13. und 14. September stattfinden wird, kann man mit Spannung entgegen sehen.