Sechs Zentner Übergewicht bei der Ausführung einer Beethoven-Sonate? 60 Meter überflüssige Wegstrecke beim Spiel von Chopins Etüde op. 25/2? Diese Übel einer unökonomischen Klaviertechnik wusste O.V. Maeckel mit seiner Methode zu vermeiden, die er in seinem Buch „Das organische Klavierspiel“ (erschienen 1938 und nun als Reprint neu veröffentlicht) schriftlich fixierte. Der vollkommen in Vergessenheit geratene Musikpädagoge, der sich das Spiel seines Lehrers Raoul Pugno (1852–1913) zum Vorbild machte, suchte mehr als drei Jahrzehnte nach „der“ Methode – auf Basis von Analysen, eigenem Erproben und Exkursen in die Naturwissenschaft. Schließlich präsentierte er seine Erkenntnisse auf vierwöchigen Kursen, an deren Ende, so sein eher marktschreierisches Versprechen, der Teilnehmer „technisch durchaus auf eigenen Füßen steht, derart, dass er in Zukunft nie mehr technischer Ratschläge bezüglich der Ausführung selbst technisch noch so schwerer Stücke bedarf“.
Die drei Spielarten, die die Basis seiner Methode bilden, stellt Maeckel im ersten Kapitel seines Buchs vor: 1. den „Normalton“ (unter Voraussetzung eines „federleichten“ Armes und absoluter Muskelentspannung in Abkehr vom aktiven Fingerspiel), 2. das Spiel mit der kleinen Fingerbewegung, 3. den „singenden Ton“ unter der Ausnutzung der frühzeitigen Hebung des Dämpfers und Freisetzung von Obertönen. Diese drei Anschlagsarten, von denen die beiden ersten an die Fingertechnik eines Cembalisten erinnern, bilden die Basis des einstimmigen Spiels, das sich ohne Weiteres auf weitere pianistische Aspekte übertragen lässt.
Daher sind die folgenden Kapitel – unter anderem zu Trillern, Sprüngen, polyphonem und virtuosem Spiel – von Wiederholungen durchtränkt. Gleichwohl stolpert man immer mal wieder über den einen oder anderen erhellenden Hinweis, der zum Handwerkszeug der Maeckel’schen Methode zählt, etwa den Nutzen der Oktavspannung bei Sprüngen. Der Ansatz Maeckels reiht sich vordergründig in rationale Anschauungen ein, steht doch bei ihm die Ökonomie des Kraftaufwands im Vordergrund. Gregor Weichert hat der Ausgabe kritische, teilweise auch augenzwinkernde Anmerkungen hinzugefügt. Gleichwohl ist der Herausgeber, der die Methode selbst über Jahre erprobt hat, ein Verfechter des Maeckel’schen Ökonomieprinzips. Wie er in seinem Vorwort betont, habe Maeckel seine Methode nur auf Drängen seiner Schüler und seines späteren Verlegers Franz Hanemann in Schriftform übertragen: „Seine Darstellungen sind also aus dem lebendigen Unterricht heraus entstanden.“ Tatsächlich vermag man das Buch kaum zu studieren, ohne unwillkürlich die Übungen, und sei es nur trocken auf der Tischplatte, auszuprobieren. Dies offenbart einerseits die plastische Schreibweise Maeckels und kommt andererseits der durch Hanemann vorangestellten Prämisse entgegen: „Nur wer die Methode O.V. Maeckel beherrscht, das heißt, ihre überraschend großen Vorzüge mit eigenen Fingern erprobt hat, ist in der Lage, sie nach ihrem ganzen Wert einzuschätzen.“
Es ist bedauerlich, dass Maeckel sich eingliedert in die Reihe derer, die eine vorherrschende Tendenz etablieren wollten. Maeckel wirft mit Superlativen um sich und grenzt sich deutlich von führenden Methodikern seiner Zeit ab. Der Autor selbst prophezeite, dass die „Methode zunächst keinen leichten Stand haben wird; es wird ihr gehen wie allen Erfindungen und Entdeckungen; zunächst werden alle diejenigen sie zu bekämpfen und zu verkleinern trachten, die zu bequem sind und auch viel zu viel am Alten hängen, um sich damit vertraut zu machen, oder auch nur dieses Buch aufmerksam durchzulesen.“ Angesichts des heute gen Null gehenden Bekanntheitsgrades Maeckels ist die „Ausgrabung“ seines Buchs umso verdienstvoller. Misstrauische Voreingenommenheit überwindend, mit der Zentrifuge lesend und die Übungen ausdauernd erprobend, ergibt sich für den Pädagogen ebenso wie für den Pianisten eine große Bereicherung. Zahlreiche Aha-Effekte tun sich auf, unbewusste Vorgänge werden in die Bewusstseinsebene gerückt. Daher sollte „Das organische Klavierspiel“, wenn auch mit Verspätung, heute unbedingt einen besonderen Platz in der Reihe viel diskutierter Methodiker einnehmen.
Otto Viktor Maeckel: Das organische Klavierspiel. Reprint der Erstausgabe von 1938, mit einem Vorwort und Anmerkungen von Gregor Weichert, Staccato Verlag, Düsseldorf 2015, 160 S., € 18,50, ISBN 978-3-932976-61-2