Linda Maria Koldau: Frauen – Musik – Kultur. Ein Handbuch zum deutschen Sprachgebiet der Frühen Neuzeit, Böhlau Verlag, Köln/Weimar 2005, XII, 1189 S., Abb., € 89,90 (bis 28.2.2006), € 110,00 (danach), ISBN 3-412-24505-4
„Schade, dass sie kein Mann ist, sie wird es sehr schwer haben!“ Die ungünstige Prognose stammt von Franz Schreker. Gemeint hatte der Komponist seine hochbegabte Schülerin Grete von Zieritz. In entwaffnender Ehrlichkeit plaudert das Bonmot den Bann aus, den eine männlich dominierte Musik-Welt über das andere Geschlecht verhängt hat. Seit Jahrhunderten in Kraft, dominierte es auch die Geschichtsschreibung. Als sich die universitäre Musikwissenschaft Ende des 19. Jahrhunderts etablierte, galt ihr das altbekannte „Männer machen (Musik)Geschichte“ mit großer Selbstverständlichkeit als Voraussetzung ihres Tuns und Treibens: Frauen und Musik? Unbekannt! Nicht existent! So oder ähnlich der Bescheid. Erst eine außerhalb des akademischen Milieus entstandene Forschung zur Frauengeschichte hat das Schweigen brechen können. Seitdem erfahren wir von musizierenden, komponierenden, konzertierenden Frauen – allerdings vornehmlich mit Blick auf das 18. bis 20. Jahrhundert. Was davor liegt, ruht mangels tiefschürfender Quellenarbeit im sprichwörtlichen Nebel der Geschichte. Und doch hat es musizierende, der Musik in vielerlei Weise verbundene Frauen gegeben, die Zeitgenossen von Luther, von Schütz, von Bach waren – nur dass sie bis dato, von Ausnahmen wie Barbara Strozzi abgesehen, verborgen geblieben sind.
Ein imposantes Handbuch hat diese weiblich inspirierte Musik-Kultur der Frühen Neuzeit für den deutschsprachigen Raum nun zum ersten Mal aufgedeckt. Dabei war der Anfang keineswegs vielversprechend, wie Linda Maria Koldau, Privatdozentin für Musikwissenschaft an der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe Universität, erfahren musste. Auf ihrer Suche nach einschlägigen Belegen hatte sie die Bestände der Württembergischen Landesbibliothek zunächst vergeblich durchforstet. Die musikologischen Quellen schwiegen beharrlich, erwähnten einmal irgendeine „Spielmaid“, ein anderes Mal eine Prinzessin, die sich Musik zu ihrer Hochzeit bestellt, ohne doch selbst zu musizieren. Sollte sich am Ende doch das Vorurteil der Musikgeschichtsschreibung bestätigen?
„Geändert hat sich das Bild erst“, so die Autorin im Rückblick, „als ich angefangen hatte, kulturgeschichtlich zu arbeiten, sprich, den Blick weg von der musikwissenschaftlichen Forschung hin zu anderen Disziplinen richtete.“ Zwar hat die akademische Welt dafür längst das schöne Wort „Interdisziplinarität“ ausgebildet, andererseits: Usus geworden ist solch methodische Offenheit im Wissenschaftsbetrieb eben keineswegs. Und doch liegt genau darin der Schlüssel für eine wissenschaftliche Pioniertat.
Eines der wichtigsten Ergebnisse dieses im Alleingang einer innovativen Frankfurter Musikwissenschaftlerin durchgeführten Forschungsprojektes, ist zunächst mit einem Perspektivwechsel verbunden. Überzeugend kann Koldau nachweisen, dass die Fixierung auf den Typus der „komponierenden Frau“ für die Frühe Neuzeit einer Verengung gleichkommt, war die offizielle Musikkultur doch fest in Männerhand. In den Komponisten-Ausbildungsstätten, den Hofkapellen, Stadtpfeifereien und Kirchenchören traten Frauen nicht in Erscheinung. Die Welt der Hochkultur, die die Musikgeschichtschreibung lange Zeit als alleinigen Stoff für ihre Kompendien konsultiert hat, war Frauen verschlossen. Mehr oder weniger klaglos haben sie sich in ihr Los gefügt, aber freilich nicht darauf verzichtet, nach Alternativen zu suchen. In den kulturellen Nischen des Adels, der Orden und Klöster haben sie sie gefunden. Sei es, dass Adelsdamen und Fürstenfrauen kulturelle Netzwerke knüpften, um Instrumentalisten und Komponisten an ihre Höfe zu binden, sei es, dass sie das Musikleben in Frauenorden und Frauenklöstern selbst in die Hand nahmen, wofür das zwar längst bekannte, aber bis dato kaum gewürdigte „Liederbuch der Anna von Köln“, jüngst von der Kölner Frauenschola unter Maria Jonas auch fürs Konzertpublikum wiederentdeckt, ein instruktives Beispiel ist.
In Koldaus Handbuch, das die Autorin durchaus nicht als Abschluss, vielmehr als Anfang weiterer Forschung betrachtet, wechseln Überblicksdarstellungen mit biographischen Skizzen, die die Spuren und Wirksamkeit der im Musikleben engagierten Frauen zwischen 1500 und 1700 ausleuchten. Dass die Autorin eine musikjournalistische Vergangenheit hat, kommt der Lesbarkeit ihrer Wissenschaftsprosa insgesamt zugute. Verankert ist das Mammutunternehmen in einem extensiven wissenschaftlichen Literatur- und Anmerkungsapparat, wozu auch ein 50-seitiges Personenregister sowie – Reverenz an die weitgehende Anonymität des Untersuchungsgegenstandes – ein Verzeichnis der unbekannten Familiennamen gehört. Kurz: Eine Wissenschaftstat allerersten Ranges und ein Dokument dafür, dass die Musikwissenschaft den Anschluss an die historische Frauenforschung gefunden hat – allen „schrek(er)lichen“ Bonmots zum Trotz.