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Ketil Bjørnstad: Mein Weg zu Mozart, aus dem Norwegischen von Lothar Schneider, Insel, Berlin 2016, 445 S., € 24,00, ISBN: 978-3-458-17681-7
Ketil Bjørnstad: Mein Weg zu Mozart, aus dem Norwegischen von Lothar Schneider, Insel, Berlin 2016, 445 S., € 24,00, ISBN: 978-3-458-17681-7
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Der Mensch hinter den Noten

Untertitel
John Eliot Gardiner und Ketil Bjørnstad nähern sich Bach und Mozart
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Es ist nicht die Regel, und doch kommt es immer wieder vor, dass sich Musiker als Autoren versuchen, um einen bestimmten Komponisten oder ein einzelnes Werk schreibend zu erkunden. Das war zuletzt mit Ian Bostrdige und seinem „Winterreise“-Buch der Fall, nun folgen ihm John Eliot Gardiner und Ketil Bjørnstad; ersterer mit einem prallen 750-Seiten-Koloss zu Johann Sebastian Bach, letzterer mit dem bereits im Titel ersichtlichen sehr persönlichen Ansatz: „Mein Weg zu Mozart“.

Gardiner beginnt seinen Weg zu Bach mit der bekannten Erkenntnis, dass man mangels (Selbst-)Zeugnissen kaum etwas über den Menschen Johann Sebastian wisse. Klar, auch Sir John, der amtierende Stiftungspräsident des Bach-Archivs Leipzig, kann sich keine neuen Quellen aus den Rippen schneiden, also bleibt auch ihm nur die Möglichkeit, über den Umweg Werk sich dem Menschen zu nähern. Dass der Dirigent Gardiner seinen Schwerpunkt nicht auf die Solo-Werke legen würde, war von vornherein zu erwarten; also stehen, fast schon übermächtig, die Kantaten, die Motetten, Passionen und Messen im Fokus – Werke, die Gardiner alle aus der musikalischen Praxis bestens kennt. Und hier schimmert schnell der Vorteil durch, wenn ein Praktiker zum Schreiber wird. Er bedient sich zwar sorgsamst der wissenschaftlichen Literatur, aber er verfällt nicht in einen gelehrig-belehrenden Ton. Gleichzeitig vermag er seine Begeisterung für Bachs Musik so zu kanalisieren, dass dabei keine emphatische Dauer-Verzückung herauskommt. Vielmehr legt Gardiner ein akribisches, für den Laien wie für den Spezialisten äußerst lesenswertes (zumal ansprechend übersetztes) Buch vor.

Gardiner zeigt Bach stets im Kontext seiner Zeit, in einem zerklüfteten Land, an der Schwelle zur Aufklärung. Der junge Bach erlebt Trauer und Tod von früh an – und zwar so intensiv, dass seine musikalisch eindringlichsten Momente später mit diesen Themen verbunden sind. Das erklärt vielleicht auch Bachs lebhafte Bockigkeit, selbst seinen Brotgebern gegenüber, und seine herrische Rechthaberei. Gleichzeitig zeigt Gardiner uns Bach als einen tief von den lutherischen Gedanken beeinflussten Mann, als jemanden, der sich ständig an inneren und äußeren Widerständen abarbeitet, ein Mann zwischen Zwängen und Freiheitsverlangen, zwischen Irdischem und Göttlichem – und schließlich zeigt er uns Bach als einen sehr ehrgeizigen Mann, der sich in seinem Ringen mit dem Glauben ständig selbst übertreffen möchte und dabei wusste, dass er seine Musik größtenteils für Menschen schrieb, die damit nur wenig bis gar nichts anfangen konnten. Dass gerade unter diesem Aspekt Bachs rätselvolles Spätwerk in Gardiners Ausführungen etwas zu kurz kommt, ist zu bedauern. Gardiners Ziel hingegen ist klar: Er möchte uns diesen unfassbaren Bach in seiner ganzen unfassbaren Größe zeigen, doch nicht als abstraktes Genie: „Indem wir uns die menschliche Seite Bachs vor Augen führen, machen wir uns bewusst, wie ähnlich er uns war.“ Das ist Gardiners Credo, und dieser Maxime folgt er in seinem fulminanten, erhellenden Buch konsequent – in einem Buch, nach dessen Lektüre wir Bach vielleicht nicht komplett neu hören, ihn aber konturenschärfer hinter seinen Werken hervorlugen sehen.

Ganz anders die Herangehensweise des Komponisten, Pianisten und Romanciers Ketil Bjørnstad, der in seinem vergleichsweise schmalen, mit knapp 250 Seiten immer noch gut bestückten Buch nachzeichnet, wie er sich, Schrittchen für Schrittchen, dem Phänomen Mozart genähert hat, schon als Kind. Insofern wandern durch diesen Band zwei Protagonisten: Mozart und Bjørnstad, das Wunderkind aus Salzburg und der Mann aus dem Norden, aus Norwegen, dessen Weg zur Musik eher schleppend verläuft. Und damit ist der Leser mitten drin in dieser ineinander gewobenen Doppel-Biographie: Während Mozart als junges Genie vor Königen und Fürsten aufspielt, hadert der junge Bjørnstad mit sich und seinen ersten ungelenken Versuchen am Klavier. Während Mozart Musik mit jeder Faser seines Körpers aufsaugt, ist Bjørnstad anfangs ein Skeptiker, dem sich der Zauber von Musik allenfalls mühsam erschließt. Auf dem Weg zum Berufsmusiker wird ihm Mozart immer wieder zum Dreh- und Angelpunkt. Er wird ihm zum Bruder im Geiste und zum Verbündeten, bis heute: „Ein so unvorbereitetes Erleben von Mozart macht etwas mit mir. Das Bruchstück einer Melodie bringt mich zurück zu den großen Gefühlen der Kindheit.“

Hier wie dort macht Bjørnstad prominente Mozartianer zu seinen Weggefährten, etwa den Pianisten Glenn Gould mit seiner ganzen Mozart-Phobie. Gould spielt in diesem Buch die Rolle des Stänkerers, der Mozarts Bedeutung herabwürdigen will. Dem gegenüber steht der dänische Komponist Carl Nielsen, ein leidenschaftlicher Mozart-Bewunderer, der für Bjørnstad „zum intellektuellen Gegenpol zu Glenn Gould“ wird.

Ketil Bjørnstad ist nach Hanns-Josef Ortheil und Maarten ’t Hart bereits der dritte Autor der Gegenwartsliteratur, der sich mit Mozart schreibend auseinandersetzt. Jeder von ihnen wählt einen eigenen Weg. Einige Längen mag man dem neuen Buch wohl unterstellen, etwa wenn Bjørnstad seitenlang Mozarts Briefe zitiert; doch gelingt es Bjørnstad, Mozart zu ent-mythisieren und ihn gleichzeitig als Menschen darzustellen, in den Zwängen seiner Zeit und in seinen Möglichkeiten als Hochbegabter. Insofern hat es Bjørnstad natürlich leichter mit Mozart als Gardiner mit dem sperrigen Bach. Kein Wunder, dass beide Autoren unterschiedliche Wege wählen müssen, um ihrem gemeinschaftlichen Ziel näher zu kommen: Große Komponisten als Menschen abzubilden.

  • John Eliot Gardiner: Bach. Musik für die Himmelsburg, aus dem Englischen von Richard Barth, Carl Hanser Verlag, München 2016, 752 S., € 34,00, ISBN 978-3-446-24619-5
  • Ketil Bjørnstad: Mein Weg zu Mozart, aus dem Norwegischen von Lothar Schneider, Insel, Berlin 2016, 445 S., € 24,00, ISBN: 978-3-458-17681-7

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