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Kolja Lessing: Ignace Strasfogel. Leben und Werk (Verdrängte Musik, Bd. 24), von Bockel Verlag, Neumünster 2023

Kolja Lessing: Ignace Strasfogel. Leben und Werk (Verdrängte Musik, Bd. 24), von Bockel Verlag, Neumünster 2023

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In der Musik gab er sich preis

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Die Biografie des Komponisten Ignace Strasfogel von Kolja Lessing
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Kolja Lessing: Ignace Strasfogel. Leben und Werk (Verdrängte Musik, Bd. 24), von Bockel Verlag, Neumünster 2023, 303 S., Abb., Notenbsp., € 25,00, ISBN 978-3-95675-037-3

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Hat die Exilforschung bisher eine stattliche Zahl von Künstlerinnen und Künstlern neu entdeckt, „wiederbelebt“ und rehabilitiert, so forscht Kolja Lessing in den Nischen der Nischen unermüdlich weiter: Als Geiger, Pianist und Musikwissenschaftler setzt er sich für Vergessenes und Unterschätztes in Theorie und Praxis ein. Sein besonderes Interesse gilt dabei den Meis­terklassen Franz Schrekers in Wien und Berlin. Nun hat er die erste Biografie des Schreker-Schülers Ignace Strasfogel vorgelegt. 

Wie detailliert Lessing die Lebensgeschichte des jüdischen Komponisten, Pianisten und Dirigenten entfaltet, ist bewundernswert angesichts einer Quellenlage, die der Autor in seiner Einführung als mehr als schwierig beschreibt. Dies ist nicht nur der Flucht des 24-Jährigen aus Nazideutschland geschuldet, dessen musikalische Karriere sich zu diesem Zeitpunkt gerade erst richtig zu entwickeln begann. Auch im US-amerikanischen Exil sind Strasfogels Tätigkeiten aufgrund seiner überaus großen persönlichen Bescheidenheit kaum dokumentiert. Seinen Lebensunterhalt sicherte er als „associate conductor“ an der Metropolitan Opera New York, später als Erster Gastdirigent der Opera du Rhin in Strasbourg. Auch mit Gesangs-Meisterkursen, Vortragsreihen zur Operngeschichte und für kurze Zeit als Leiter der Opernabteilung am Curtis Institute Philadelphia führte er ein künstlerisch reiches, jedoch nicht von Enttäuschungen und Rückschlägen freies Leben. Als Komponist allerdings, der in Berlin 1926 für seine zweite Klaviersonate immerhin den Mendelssohn-Preis erhalten hatte, wurde er in den USA und auch später in Europa nicht wahrgenommen. Erst die Begegnung mit dem Autor in Graz im Jahr 1990 leitete eine (Wieder-)Entdeckung seines Œuvres ein, der auch eine Reihe von CD-Einspielungen und Rundfunkaufnahmen folgten. Die Darstellung der Lebensgeschichte entstand auf Grundlage von Gesprächen, Interviews und einigen schriftlichen Äußerungen in engem Kontakt mit Strasfogel. Sehr genau beschreibt Lessing, wie sich nach überaus erfolgreichen Anfängen im Berlin der 1920er Jahre ein großes kompositorisches Talent durch Vertreibung und Verunsicherung in einem kulturell fremden Umfeld nur noch sporadisch entwickeln konnte.

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Kolja Lessing: Ignace Strasfogel. Leben und Werk (Verdrängte Musik, Bd. 24), von Bockel Verlag, Neumünster 2023

Kolja Lessing: Ignace Strasfogel. Leben und Werk (Verdrängte Musik, Bd. 24), von Bockel Verlag, Neumünster 2023

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Noch deutlicher wird dies durch die umfangreichen Werkanalysen. Das Schaffen Strasfogels lässt sich sinnvoll in drei Phasen aufteilen: Die Berliner Phase bis 1933, ein kurzes künstlerisches Aufflackern in den Jahren 1946–48 sowie eine späte dezidierte Rückkehr zur Komposition in den letzten Lebensjahren (1983–93). Für die dazwischenliegenden, bis zum völligen Verstummen führenden Pausen liefert Lessing differenzierte Erklärungen, die betroffen machen. Sie machen deutlich, dass Strasfogel bei aller wertgeschätzten Funktionalität seiner Arbeit letztlich ein Außenseiter, ein Heimatloser blieb und die Kränkung der Vertreibung und der späteren, teils anfeindender Nicht-Beachtung nicht zu verwinden vermochte. Dies trifft umso mehr, als aus den Analysen der frühen Klavierwerke die hohe Qualität und Komplexität eines die Stilvielfalt der Zeit spiegelnden Schaffens ersichtlich ist, das sich in der kurzen Zwischenphase zu größerer, nicht weniger kunstfertig gehandhabter Verständlichkeit klärt und am Ende Vergangenes und Gegenwärtiges beziehungs- und anspielungsreich verschränkt. Diese Mannigfaltigkeit entspricht der sich nur in der Musik preisgebenden Persönlichkeit Strasfogels zutiefst. Lessings Buch macht Lust darauf, sich ihr anzunähern und sie musikalisch zu ergründen.

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