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Stephen Hinton: Kurt Weills Musiktheater. Vom Songspiel zur American Opera. Aus dem Englischen von Veit Friemert, Suhrkamp Verlag / Jüdischer Verlag

Stephen Hinton: Kurt Weills Musiktheater. Vom Songspiel zur American Opera. Aus dem Englischen von Veit Friemert, Suhrkamp Verlag / Jüdischer Verlag

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Der Musiktheaterkosmos des Kurt Weill

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Stephen Hintons Standardwerk liegt nun auch in deutscher Übersetzung vor
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Stephen Hinton: Kurt Weills Musiktheater. Vom Songspiel zur American Opera. Aus dem Englischen von Veit Friemert, Suhrkamp Verlag / Jüdischer Verlag, Berlin 2023, 830 S., Abb., Notenbsp., € 58,00, ISBN 978-3-633-54325-0

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Ballett mit Gesang, Einaktoper, Songspiel, Stück mit Musik, Epische Oper, Schuloper, Operette, Biblisches Drama, Musical Play, Folk Opera, American Opera… Das Werkverzeichnis in Stephen Hintons Buch über Kurt Weills Musiktheater listet beinahe so viele Gattungsbezeichnungen auf wie einzelne Stücke. Da diese Bezeichnungen auch mit Weills sehr spezifischen Vorstellungen von Oper und Musiktheater in verschiedenen Schaffensphasen korrespondieren, kann Hinton in seiner ursprünglich 2012 in englischer Sprache erschienenen Studie über weite Strecken eine chronologische und systematische Darstellung miteinander verbinden. 

Würde das Inhaltsverzeichnis neben den zwölf Hauptkapiteln auch die Unterabschnitte auflisten, die jeweils mit den Werktiteln überschrieben sind, dann könnte man auf die Idee kommen, dieses mit über 800 Seiten in jeder Hinsicht gewichtige Buch auch im Sinne eines Opernführers zur punktgenauen Orientierung über einzelne Werke benutzen zu wollen. Genau dies ist aber ganz offensichtlich nicht im Sinne des Autors, selbst wenn man im Laufe eines solchen werkbezogenen Unterkapitels meist einen groben Umriss der Handlung und einen Eindruck vom besonderen musiktheatralen Charakter des jeweiligen Stücks bekommt. Diese Basisinformationen sind jedoch so stark mit Diskussionen der Biografie, der Entstehungs- und Aufführungsgeschichte sowie der Gattungstheorie verwoben, dass sie nicht so einfach, etwa zur Vorbereitung auf einen Theaterbesuch, konsumierbar sind.

So verständlich Hintons Bestreben ist, komplexe Sachverhalte nicht um der bequemeren Lesbarkeit willen zu simplifizieren: Manchmal steht ihm und uns sein enormer Fundus an Hintergrundwissen, sein Hang zu permanenter Kontextualisierung dann doch ein wenig im Weg. So beginnt beispielsweise der Abschnitt zu „Royal Palace“ mit einem Seitenblick zur Kantate „Der neue Orpheus“, der wiederum von einem Einschub zu Lotte Lenya unterbrochen wird. Im Zusammenhang mit „Johnny Johnson“ landen wir über diverse Seitenpfade plötzlich bei der zweiten Symphonie.

Als letzter Kritikpunkt muss schließlich das Fehlen einer zumindest selektiven Bibliografie angemerkt werden. Die Ehrfurcht gebietende Fülle an Primär- und Sekundärliteratur, die Hinton souverän und kenntnisreich miteinbezieht, abwägt und diskutiert, ist nur im Rahmen des 100 Seiten umfassenden Anmerkungsapparats abgebildet und somit kaum sinnvoll zur gezielten weiterführenden Lektüre nutzbar.

Genug gemäkelt: Auch wenn Autor und Verlag es uns nicht ganz einfach machen, besteht kein Zweifel daran, dass es sich bei diesem Buch um das Standardwerk zum Thema handelt. Mit seinem differenzierten, die Werke von allen Seiten aus einkreisenden Blick, der immer wieder auch ins konkrete musikalische Detail geht (inklusive Notenbeispiele), gelingt es Stephen Hinton seine zentrale These überzeugend zu untermauern: Anstelle einer einfachen Unterteilung von Weills theatralem Schaffen in ein Vor und ein Nach dem Exil, zieht er weitreichende Verbindungslinien zwischen den Werken, ordnet diese in die jeweiligen ästhetischen Vorstellungen des Komponisten ein und setzt sie mit den zeitgenössischen Erwartungshaltungen und Produktionsbedingungen in Beziehung. Insbesondere die „amerikanischen“ Werke profitieren von dieser differenzierten Sichtweise und es ist zu hoffen, dass gerade in diesem Bereich die Lektüre dieses Buches die Beschäftigung mit Weills singulärem Korpus an Werken für das Musiktheater im deutschsprachigen Raum nachhaltig belebt.

Überzeugend ist auch die Entscheidung, für das gegen Ende platzierte Kapitel „Bühne versus Leinwand“ von der grob chronologischen Gliederung abzuweichen und diesen Komplex von Weills frühen medientheoretischen Texten aus als Ganzes auszurollen.

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