Barbara Stiller: Erlebnisraum Konzert. Prozesse der Musikvermittlung in Konzerten für Kinder, ConBrio, Regensburg 2008, 252 S., € 39,00, ISBN 978-3-932581-90-8
Konzerte für Kinder sind mittlerweile fester Bestandteil im Konzertangebot. Viele Veranstalter suchen nach Wegen und Konzepten, ein junges Publikum anzusprechen, zu begeistern und somit langfristig als Zielgruppe für den Konzertbetrieb zu binden. Nicht zufällig läuft gerade in Hamburg eine Workshopreihe zur Konzertpädagogik: die Fertigstellung der Elbphilharmonie – ehrgeizig als neues Hamburger Wahrzeichen geplant – rückt näher.
Barbara Stiller, Professorin für Elementare Musikpädagogik an der Hochschule für Künste Bremen, hat nun ihre Dissertation veröffentlicht, in der sie Prozessen konzertpädagogischer Musikvermittlung aus der Sicht der Musikpädagogin nachgeht. Ihr geht es nicht um die Verbreitung „marktkompatibler“ Handlungsanleitungen, sondern um ein tieferes Verständnis der Chancen, die Konzerte für Kinder als Erlebnisräume bieten. Konkret untersuchte sie dafür eine Reihe von Konzerten für Kinder im Alter von vier bis sechs Jahren, bei denen in einem „Splitscreen“-Verfahren gleichzeitig die Mitwirkenden und die Kinder im Publikum gefilmt wurden. Der Beschreibung und Auswertung dieser Konzerte ist ein theoretischer Teil vorangestellt, der sich mit dem Phänomen Vermittlung auseinandersetzt. Um diesen umgangssprachlich unproblematischen, fachlich jedoch verwirrend komplex belegten Begriff auszuleuchten, holt Barbara Stiller weit aus: Sprachwissenschaftliche Nachforschungen führen genau wie die Recherchen in der schulischen Musikdidaktik beziehungsweise der Musikwissenschaft zwar zu keiner klaren Definition, sie rücken jedoch die Bedingungen, die zum Gelingen von Vermittlung beitragen in den Blickpunkt. So wird das weite Feld der Kommunikation genauso ausführlich beschrieben wie Modelle zur formalen und methodisch-didaktischen Gestaltung verschiedener Phasen von Lernprozessen. Ziele, Inhalte, Methoden und Sozialformen müssen im Kontext von Unterricht genauso reflektiert werden wie in der Planung von Konzerten für Kinder. Als weiteren Baustein für die Planung gelungener Konzerte stellt Barbara Stiller die Berücksichtigung entwicklungspsychologischer Gegebenheiten hinsichtlich motorischer, kognitiver, sprachlicher und musikalischer Aspekte dar.
Im zweiten Teil werden die untersuchten Konzerte detailliert beschrieben und anschließend ihre Kommunikations- und Aktionsprozesse analysiert: wie viel wird gesprochen, wie groß ist der Anteil der szenischen Beiträge, wie abwechslungsreich gestalten sich die Aktionsformen, wo – und warum – zeigen die Kinder besonders gebannte Aufmerksamkeit. In den Kommentaren zu den Konzertsituationen und den entwickelten Leitgedanken ist ein großer Praxisbezug spürbar. Dennoch werden die Praktiker unter den Lesenden, denen es mehr um Handreichungen für die eigene Arbeit als um eine erste wissenschaftliche Annäherung an dieses – in musikpädagogischen Forschungszusammenhängen bislang wenig bearbeitetes – Thema geht, nach ausführlicheren Informationen suchen, denn die Anforderungen an ein Praxishandbuch erfüllt dieses Werk nur bedingt. Hier würden Abbildungen, Fotos oder mitgelieferte Filmausschnitte dem inhaltlichen Verständnis helfen. In den vergangenen Jahren wurde vielfach über den zu beobachtenden konzeptionellen „Wildwuchs“ in der konzertpädagogischen Arbeit mit Kindern geschrieben, dieses Buch liefert die dafür notwendigen Begründungen: Konzerte für Kinder sind hochkomplexe Situationen, deren Erfassung in Worten nur schwer die subjektiv gefühlte Realität abbilden kann. Da hilft nur eines: Arbeitsbündnisse im Sinne Barbara Stillers schließen und gelungene Konzerte für Kinder mitgestalten und miterleben.