Eigentlich lässt sich Richard Strauss nicht packen. Zu viele Lebens- und Werk-Facetten gibt es, die alle unterschiedlich heftig rezipiert worden sind und uns alles Mögliche liefern, nur kein einheitliches Bild. Als Musiker war er reaktionär und fortschrittlich, als Persönlichkeit umstritten und über Jahrzehnte hinweg heftig diskutiert, als Mann mit öffentlichen Ämtern und als politisch Denkender war er ein Taktierer und sympathisierender Opportunist (siehe auch Seite 3 dieser Ausgabe).
„Manche, wie das Bild des eher dem schnöden Mammon als der hohen Kunst verpflichteten und am liebsten skatspielenden Bajuwaren sind zum Klischee geronnen. Ähnlich stabil hat sich […] das Bild des Verräters an der musikalischen Moderne gehalten, während das Bild des NS-Musikfunktionärs in den letzten Jahren zunehmend an Konturen gewonnen hat“, behauptet Walter Werbeck zu Beginn des neuen Strauss-Handbuchs. Eine Aussage, die belegt, dass es eigentlich unmöglich ist, dem Phänomen Strauss gebührend auf die Schliche zu kommen.
Also begibt man sich zunächst auf sicheres Terrain und sucht nach gelungenen Werkeinführungen: Mathias Hansens Buch über die „Sinfonischen Dichtungen“ ist mehr als ein Jahrzehnt alt, zu Strauss’ Opernschaffen hat Laurenz Lütteken nun eine kleine, konzise Einführung veröffentlicht, die sich in drei Zonen aufteilt: die Opern vor, mit und nach Hofmannsthal. Die einzelnen Werkbetrachtungen liefern Übersichten zu Personal und Besetzung, zu Entstehung und Inhalt sowie jeweils einige allgemein einordnende und erläuternde Abschnitte. Strauss-Opern für die Westentasche, ein praktikabler Begleiter, vor allem für Einsteiger.
Die Reihe „Opernführer kompakt“ verfolgt andere Ziele. Jeweils eine Oper wird ausführlich präsentiert und an ausgewählten Notenbeispielen erläutert, die Protagonisten werden steckbriefartig vorgestellt und abschließend steht die Rezeption im Vordergrund. Zu Strauss ist nun ein Band „Der Rosenkavalier“ erschienen, herausgegeben von Marianne Zelger-Vogt und Heinz Kern. Wie bei den anderen Bänden der Edition, steht auch hier Verständlichkeit an oberster Stelle.
Wer, von Werkeinführungen abweichend, Strauss biographisch erschließen möchte, kann sich abermals an den Zürcher Musikwissenschaftler Laurenz Lütteken wenden, der den Strauss-Kosmos auf wohltuend unideologische Weise durchforstet hat: Er weiß mit den Fehleinschätzungen, Paradoxa und Zwiespälten, mit den heterogenen Bewertungen und Quellen behutsam umzugehen und daraus ein umsichtiges, vielschichtiges Strauss-Porträt zu erstellen. Lütteken zeichnet den Weg vom Überwinder des 19. Jahrhunderts zum Komponisten der Moderne, wie Strauss sie definierte, stimmig nach. Sprachlich orientiert sich Lütteken an einem hohen Maß an Sachlichkeit, was dem Charakter des Buches sehr entgegenkommt.
Mit einem ähnlichen Anspruch hat der renommierte amerikanische Strauss-Forscher Bryan Gilliam eine Biographie geschrieben, die bereits 1999 in englischer und nun erstmals übersetzt in deutscher Sprache erschienen ist. Ein sehr kompaktes Buch, das auf rund 200 Seiten versucht, Leistung und Lebensweg des Richard Strauss nachzuzeichnen. Lesenswert und präzise, das Ganze, wenn nicht Gilliam an einigen Punkten das Weichspülprogramm eingeschaltet hätte. Dass Strauss seine neutönerisch komponierenden Zeitgenossen bitterböse abgestraft und im Umgang mit dem nationalsozialistischen System und dessen Funktionären eine zweifelhafte Rolle gespielt hat – all dies wird in Gilliams Darstellung eher milde denn grell beleuchtet.
Ebenfalls 1999 ist Christoph Wagner-Trenkwitz’ Buch „Durch die Hand der Schönheit“ über Strauss und Wien erschienen und nun bei einem anderen Verlag abermals in den Handel gelangt. Dieser Band hat deswegen nichts von seiner Gültigkeit verloren, weil er konzise aufarbeitet, wie Strauss in der österreichischen Hauptstadt um Erfolg rang, wo und wie es ihm gelang und auf welche Weise er Niederlagen erleiden musste. Da sind zunächst die „Eroberer“-Jahre bis 1919, dann folgen fünf Jahre als Künstlerischer Oberleiter der Oper, schließlich anderthalb Jahrzehnte mit dem Schwerpunkt: Strauss und das Wiener Konzertleben. So entsteht eine Biographie mit eingeschränktem, sehr speziellem Fokus.
Einen ebenfalls sehr zentrierten Ansatz verfolgt Daniel Ender, der für sein Buch den beredten Titel „Meister der Inszenierung“ wählt: Einerseits spielt er mit dem Begriff „Meister“ subtil auf Wagner und dessen Erbe an, andererseits suggeriert er mit „Inszenierung“, dass Strauss sehr aktiv am Bild seiner öffentlichen Wahrnehmung mitgewirkt hat. Ender weist auf beeindruckende Weise nach, wie sehr die Strauss’sche Selbstinszenierung mit der Entwicklung der Medien und den gesellschaftlichen Verhältnissen der damaligen Zeit einherging. Vor allem in den frühen und mittleren Jahren gelingt es Strauss immer wieder, sich in den Fokus der medialen Öffentlichkeit zu bringen: durch seine Werke – natürlich! –, durch ungewöhnliche Projekte (wie beim „Rosenkavalier“-Film), durch Buch-Veröffentlichungen (Briefe), durch ausgeplauderte Interna und gestreute Gerüchte. Ender verliert seine eigentliche Zielsetzung nie aus dem Blick. Mit einer Fülle von Quellen und Argumenten zeichnet er ein in dieser Form neuartiges Bild: Strauss, der seismographisch auf die neuartigen Möglichkeiten der Medien reagiert; Strauss, der es durch immer neue Wandlungen versteht, das Interesse an seiner Person und an seinem Werk hochzuhalten; Strauss, der Netzwerker, der eine Reihe von Vertrauensleuten für seine Zwecke funktionalisiert – und Strauss, der in der zweiten Hälfte seines Lebens, als selbst ihm die mediale Präsenz zu viel wird, zurückrudern muss.
Das sicher umfassendste Buch-Projekt ist das von Walter Werbeck edierte „Richard Strauss Handbuch“. Wie die anderen Bände der bisher erschienenen Komponisten-Handbücher, folgt auch Werbeck dem vertrauten Muster: Artikel zur Biographie, einzelne Themen-Essays, außerdem Kapitel zur Rezeption und im Mittelpunkt: ausführliche Werkbetrachtungen. Ausgehend von teils sehr heterogenen „Strauss-Bildern“ beleuchten die ersten sechs Kapitel dieses Handbuches die unterschiedlichen Aufgaben und Ämter, „Strauss und die Genossenschaft Deutscher Tonsetzer“, „Strauss als Präsident der Reichsmusikkammer“ etc. Das alles ist sehr detailliert, letztlich bleibt es eine Frage der Gewichtung. So hätte man in einem der aufschlussreichsten Kapitel gerne noch mehr über Richard Strauss als Interpreten erfahren, um, daraus abgeleitet, Rückschlüsse auf sein Werk zu ziehen. Immer wieder ergeben sich für den Leser aufschlussreiche Verzahnungen, etwa im Kapitel „Strauss und Wagner“, in dem Richard Strauss explizit als Wagner-Interpret beschrieben wird. Auch die Vorbild-Funktion Mozarts wird eingehend beleuchtet.
In allen 26 Kapiteln, geschrieben von ebenso vielen Autoren, dominiert eine Mischung aus Problembewusstsein und Anschaulichkeit. Die Werkbetrachtungen der Opern, der Orchesterwerke und insbesondere der rund 200 Lieder, die Strauss hinterlassen hat, erfüllen hohe, teils höchste Ansprüche. Entstehung, Analyse, Bedeutung – alle zentralen Aspekte werden exemplarisch berücksichtigt. Natürlich ließe sich einwenden, dass einzelne Themen nur gestreift wurden und durchaus ein eigenes Kapitel verdient gehabt hätten – aber das ist eben bezeichnend für das Phänomen Strauss: Man kann ihm einfach nicht wirklich beikommen!
- Daniel Ender: Richard Strauss. Meister der Inszenierung. Böhlau, Wien/Köln/Weimar 2014, 320 S., Abb., € 24,90, ISBN 978-3-205-79550-6
- Bryan Gilliam: Richard Strauss. Magier der Töne. Eine Biographie, aus d. Engl. v. Ulla Höber, C.H. Beck, München 2014, 234 S., Abb., € 19,95, ISBN 978-3-406-66246-1
- Laurenz Lütteken: Richard Strauss: Die Opern. Ein musikalischer Werkführer. C.H. Beck, München 2013 (Beck’sche Reihe, Bd. 2222), 128 S., € 8,95, ISBN 978-3-406-65486-2
- Laurenz Lütteken: Richard Strauss. Musik der Moderne. Reclam, Stuttgart 2014, 319 S., € 29,95, ISBN 978-3-15-010973-1
- Christoph Wagner-Trenkwitz: Durch die Hand der Schönheit. Richard Strauss und Wien. Kremayr & Scheriau, Wien 2014, 320 S., Abb., € 24,00, ISBN 978-3-218-00911-9
- Walter Werbeck (Hg.): Richard Strauss Handbuch. Metzler/Bärenreiter, Stuttgart/Weimar/Kassel u.a. 2014, 616 S., Notenbsp., € 79,95, ISBN 978-3-476-02344-5
- Marianne Zelger-Vogt/Heinz Kern: Strauss. Der Rosenkavalier (Opernführer kompakt). Bärenreiter/Henschel, Kassel/Leipzig 2014, 136 S., Abb., Notenbsp., € 14,95, ISBN 978-3-89487-919-8