Stefan Zednik: „Die Mörder sitzen in der Oper“. Erkundungen zu einer unzeitgemäßen Kunst, Kulturverlag Kadmos, Berlin 2022, 160 S., Abb., € 24,90, ISBN 978-3-86599-418-9
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Stefan Zednik: „Die Mörder sitzen in der Oper“. Erkundungen zu einer unzeitgemäßen Kunst, Kulturverlag Kadmos, Berlin 2022, 160 S., Abb., € 24,90
Die Schönheit des Widerspruchs
Der Titel des Buches ist einem Gedicht des expressionistischen Dichters Walter Hasenclever (1890–1940) entlehnt, welches dieser im Jahr 1917 angesichts der Kriegskatastrophe geschrieben hatte: „Der Zug entgleist. Zwanzig Kinder krepieren. / Die Fliegerbomben töten Mensch und Tier. / Darüber ist kein Wort zu verlieren. / Die Mörder sitzen im Rosenkavalier.“
Es ist der gewollt überspitzte Einstieg, den der 1959 geborene Stefan Zednik, Opernregisseur und Publizist, gewählt hat, um zu zeigen, dass es zwischen Oper und Gesellschaft immer einen Zusammenhang gegeben hat und weiter gibt. Das gelte gleichermaßen für geistesgeschichtliche wie auch für ganz unmittelbar politische Zeitumstände.
Zednik veranschaulicht das an sieben originellen Operndeutungen. Zu Beginn erinnert er an den umstrittenen Schah-Besuch im Frühjahr 1967 im Westen Berlins. Der Schah hatte den Wunsch geäußert, eine Mozart-Oper zu sehen, woraufhin die Zauberflöte ausgewählt wurde. Sarastro und der Schah, das sei keine zufällige Ähnlichkeit; beide sind für Zednik der Typ eines Aufklärers von oben, „denen es fernliegt, mit den initiierten Reformen auch die eigene Position infrage zu stellen“. In der rachsüchtigen Königin der Nacht sieht er „die erste Terroristin der Operngeschichte“.
Weniger dramatisch ist die Betrachtung zu Weber (Freischütz) und Lortzing (Wildschütz). In Berliner Operngeschichten wird immer wieder erzählt, wie Webers Oper mit seinem natur- und volksnahen Stoff fast zwangsläufig eine Art Nationaloper wurde und ebenso zwangsläufig zum Erfolg kam, weil das Publikum der vom Hof protegierten italienischen Oper längst überdrüssig war. Auch hier überdeutlich das Zeitkolorit: Die Schlussszene mit dem gemeinsamen Gesang von Fürst und Eremit symbolisiere das Bündnis von Thron und Altar im Vormärz, ebenso dass Lehrer Baculus im Wildschütz davon träumt, endlich ein „Kapitalist“ zu sein.
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Stefan Zednik: „Die Mörder sitzen in der Oper“. Erkundungen zu einer unzeitgemäßen Kunst, Kulturverlag Kadmos, Berlin 2022, 160 S., Abb., € 24,90
Ariadne auf Naxos ist für den Autor „die letzte bedeutende Oper der vordemokratischen Zeit“, wie überhaupt Richard Strauss in seiner Ablehnung der Moderne („Modernisierungsverweigerung“) sich als Vollender und Schlusspunkt der großen Geschichte der Oper sah. Aus dieser Endzeitmetaphorik könne man eine gewisse Gleichgültigkeit gegen die Welt und ihre Entwicklung folgern, eine Haltung, die Zednik noch viel stärker in der Wirkung von Richard Wagners Götterdämmerung auf die Kulturpolitik des NS-Regimes sieht. Es sind teilweise gespenstische Passagen, wenn Hitler in der Götterdämmerung die Vollendung sah, nach der nichts mehr komme, mithin ein Untergang folgerichtig und richtig sei. Zednik schreibt: „Reale und fiktive Untergangsphantasie mischen sich auf grausige Weise. Adolf Hitler wollte in den letzten Jahren vor allem die ‚Götterdämmerung‘ immer wieder hören. Für ihn war es die in Musik und Szene gesetzte Fantasie des eigenen Untergangs.“ Als Hitlers Tod gemeldet wurde, spielte man im Rundfunk aus eben dieser Oper Siegfrieds Trauermarsch.
Noch ein anderes Beispiel setzt Gesellschaft und Kunst in Beziehung. 1919 hatte Max Weber seinen berühmten Vortrag „Politik als Beruf“ gehalten und darin die vielzitierte Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik gebracht. Zednik sieht eine solche Unvereinbarkeit von Gesinnung und Verantwortung in Schönbergs Oper Moses und Aron – Moses, der reine Radikale in Befolgung der göttlichen Gebote, Aron als Zweifler und Verwässerer der göttlichen Idee. Dass Schönberg bis zu seinem Lebensende den vorgesehenen dritten Akt der Oper nicht schaffte, ist für Zednik bezeichnend; Schönberg konnte sich selbst nicht entscheiden, welche Haltung er am Ende bevorzugt.
Das letzte Kapitel soll zwar Aida thematisieren, handelt aber tatsächlich von der „Sackgasse des deutschen Regietheaters“ (eine ungenaue Kapitelüberschrift, was in dem Band häufiger der Fall ist). Heute, man weiß es aus zahllosen Aufführungen, ist alles erlaubt, Zeit- und Themenänderungen, frei erfundene Ergänzungen und und und. Der Druck, Neues zu schaffen, sei stärker denn je, dem Kulturbetrieb müsse die „Emotionskultur“ erhalten bleiben. So wundert es denn auch nicht, wenn der selbst oft genug als Regisseur aufgetretene Autor nicht den Stab bricht, biete die Oper doch in einer immer unübersichtlicher werdenden Welt einen Erlebnisraum für den unaufgelösten Gegensatz zwischen Gefühl und Rationalität, zwischen Verzweiflung und Hoffnung.
Zedniks Buch ist ein originelles Kompendium, das anregt, über die Voraussetzungen von Oper und ihren Spielstätten nachzudenken. Sie sind Kinder ihrer Zeit und weisen doch über sie hinaus, was große Regisseure übrigens immer gewusst haben, etwa Ruth Berghaus, die feststellte: „Ästhetik ist die Schönheit des Widerspruchs.“ Das muss die Kunstform Oper aushalten, das hält sie zugleich aber auch lebendig.
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