Gottfried Wagner ist viel gefragt in diesen Tagen. Seitdem sein jüngstes Wagner-Buch auf dem Markt ist, seitdem es verlagsseitig als „Abrechnung des Urenkels“ beworben wird, werden ihm die Mikrophone hingehalten, richten sich die Kameraobjektive auf ihn.
Ein Interesse, nach dessen Grund man nicht lang zu suchen braucht. Nicht der Musikwissenschaftler, nicht der Theaterregisseur und auch nicht der Dramaturg Gottfried Wagner ist es, der hier im Focus steht. Es geht um mehr und anderes als um die Verortung eines weiteren, wenn auch extrem gepfefferten Wagner-Buchs im gemischten Chor der gerade im Wagner-Jubiläumsjahr noch einmal anschwellenden Wagner-Literatur. Im Focus steht ein Wagnerianer von Geburt, auch (oder gerade) wenn sich dieser mittlerweile zum bekennenden Anti-Wagnerianer gemausert und diese Distanz öffentlich gemacht hat. Das Private ist politisch ohnehin. In diesem Fall freilich besonders. Denn mit dem Zeitpunkt, da die Familie der Bayreuther Wagnererben Teil einer nationalen Kulturgeschichte und darüber hinaus Teil der kulturellen Selbstdarstellung der Nation geworden ist, sei es als Verstrickungs- und Verdrängungsgeschichte im NS, sei es als scheinbar unpolitischer Laufsteg für die Großen und Mächtigen erst der Bonner, dann der Berliner Republik – spätestens seit diesem Zeitpunkt ist/sind die Fami-liengeschichte(n) der Wagners kein(e) Interna mehr und wird/werden von den Beteiligten auch nicht mehr als solche verstanden.
Nicht mit den Wölfen
Auch Gottfried Wagner, geboren 1947 als zweites Kind aus der Ehe von Eva Drexel und Wolfgang Wagner, folgt dieser Linie. Bereits seine 1997 erschienene Autobiographie „Wer nicht mit den Wölfen heult“ hatte die Verbindungen zwischen Innen und Außen betont, hatte Persönlich-Familiäres im Kontext von Politik und Weltgeschehen verhandelt – mit dem Unterschied, dass ihr Autor sich zu diesem Zeitpunkt noch um ein „differenzierteres Wagner-Bild“ bemüht hat. Der „revolutionäre Richard Wagner und seine avantgardistischen Ideen zum Musiktheater“ galten Gottfried Wagner insbesondere während seiner Dramaturgen-Tätigkeit am Stadttheater Bonn als Anknüpfungspunkt. Und noch in Interviews nach der Wende tritt er dafür ein, „Musik, Drama und Poesie“ der Wagner-Opern gegen ihre „politische und kommerzielle“ Instrumentalisierung hoch zu halten, wobei seine Sympathie für die Regiearbeiten Wieland Wagners ihn bei Vater Wolfgang endgültig in Misskredit bringt. Der Kampf um Anerkennung, um Integration eines (selbst)kritischen Wagnerbildes in die Wagnerdarstellung stellt sich bald als vergebliche Liebesmühe heraus. Die Folge: Ein Ende in Unfrieden. Ausscheren und Ausbürgern gehen Hand in Hand. 1983 schließlich verlegt Gottfried Wagner seinen Lebensmittelpunkt nach Italien.
Den Giftschrank entsorgen
Im gleichen Maß radikalisiert er seine Haltung, rückt er ab von einer Position, die den Diskurs auch im Ein- und Widerspruch offen hält. Das Dokument dieser Radikalisierung ist Gottfried Wagners jüngstes Wagner-Buch, mit dem der Autor sich daran macht, ein „Minenfeld“ zu räumen. Konsequent lesen sich die Kapitelüberschriften, zumal im Richard W. gewidmeten Hauptteil, wie die Suchmasken eines Steckbriefs. Vom „Vater- und Schrankenlosen“, über den „Dilettanten und Scharlatan“, „Zocker und Schnorrer“, „Karrieristen und Intriganten“, „Frauenverächter“, „Nekrophilen“, „Rassenantisemiten“ und „Selbstvergötterer“ ist so ziemlich alles dabei, was man dieser historischen Figur (ob berechtigt oder nicht) anhängen kann. Der Empörungsblick zurück gilt dann insbesondere der fatalen Rezeption nach dem Tod des „Musikmagiers und Überwältigers“. Das gut dokumentierte Wirken erst von Cosima, dann von Winifred und derem treudeutschen Anhimmeln von „Onkel Wolf“ ist Gottfried Wagner Stoff einer (familiären) chronique scandaleuse. Bereits in der Autobiographie ist das Erschrecken darüber groß und wirkt als Stachel und Triebfeder bis in die jüngste „Abrechnung“ hinein. Weswegen beide Schlusskapitel eine starke Tendenz ins Destruktive haben, man kann auch sagen ins Derb-Journalistische, wenn der Autor einen schicksalhaften Weg „von der Erlösungs-GmbH zum Endlösungs-Tempel“ konstatiert. Letzteres begründet u.a. mit einer „Tätigkeit“ Wielands Wagner „für das so genannte ‚Institut für physikalische Forschung‘ […] einem Außenlager des KZ Flossenbürg“. Und was schließlich Bayreuth heute, was die gegenwärtige RW-Rezeption angeht, formuliert der Urenkel seinen Widerspruch nicht weniger schroff. Da sei ein „Neu-Bayreuther Etikettenschwindel“ am Werk, der „Richard Wagner endlich in den Rang eines Klassikers“ heben möchte. „Aber ist er wirklich würdig, mit Beethoven und Goethe in eine Reihe gestellt zu werden?“ Die Antwort darauf hat der Autor dieses in Buchform dargereichten Brandbriefs schon im Vorwort vorweggenommen. Richard Wagner? „Ein strahlender Giftschrank, den es verantwortlich zu entsorgen gilt.“
Es bleibt offen, was damit genau gemeint ist. Die Dialektik dabei: das Nach-Fragen in Sachen Richard W., das der Autor für beendet zu erklären scheint, beginnt damit von neuem. Inwiefern etwa, möchte man beispielsweise wissen, erfasst die empfohlene „Entsorgung“ auch die Musik? Sollen wir uns wirklich wagnerfreie Opernspielpläne wünschen? Die Folge, so steht zu vermuten, wäre Tugendtheater. Da möchte man dann doch lieber mit den (Regie)Skandalen, mit den Inszenierungsschlachten, kurz: mit dem ganzen „Minenfeld“ leben. Wenn wir uns denn in diesem Punkt einig sind: die Diskussion geht weiter. Was auch sonst.
Gottfried Wagner: Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Richard Wagner – Ein Minenfeld, Propyläen Verlag, 2013, 304 Seiten, EUR 19,99, ISBN 978-3-549-07441-1