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Ein Leben wie ein Roman

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Brendan G. Carrolls grundlegende Korngold-Biografie in deutscher Übersetzung
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Brendan G. Carroll: Erich Wolfgang Korngold. Das letzte Wunderkind (exil.arte-Schriften, Bd. 1), Böhlau, Wien/Köln/Weimar 2012, 480 S., Abb., € 39,00, ISBN 978-3-205-77716-8

Die erste Biographie erschien 1922. Da war der Biographierte gerade einmal 25 Jahre jung. Eine schlüssige, umfassende Darstellung des Lebens von Erich Wolfgang Korngold ließ jedoch lange auf sich warten. 1997 erschien sie in englischer Sprache, verfasst vom Mitbegründer der Korngold-Society und ihrem Präsidenten, Brendan G. Carroll (dessen derzeitige Haftstrafe in Liverpool wegen Kinderpornografie nicht verschwiegen sein soll). Anderthalb Jahrzehnte hat es gedauert, bis dieser Band endlich auch in deutscher Sprache zugänglich gemacht werden konnte, übersetzt von dem Wiener Universitätsprofessor Gerold Gruber.

Carroll legt bereits in der Einleitung Wert darauf, dass seine Recherchen nicht allein auf schriftlichen Dokumenten basieren, sondern dass er in den mehr als drei Jahrzehnten seiner Auseinandersetzung mit Korngold auch nach Zeitzeugen gesucht habe. So hat er unter anderem Korngolds Englisch- und Französischlehrerin kennengelernt und sie zweimal interviewt – als 97- und als 105-Jährige!

Das verarbeitete Material fügt sich zu einem Buch, das für jedermann gut lesbar ist und sich nicht allein an den Forscher im Wissenschaftsturm richtet. Es ist eine beeindruckende Studie über Leben und Werk eines Mannes, dessen Begabung so groß wie sein Leben bunt war.

Das Wunderkind (für Carroll das letzte seiner Art), Sohn eines berühmten Musikkritikers, protegiert von Gustav Mahler, ausgebildet von Robert Fuchs und Alexander Zemlinsky, feiert in Wien frühe Triumphe, vor allem mit seiner Oper „Die tote Stadt“ nach Georges Rodenbachs kleinem symbolistischen Roman. Später geht Korngold nach Hollywood, wo er zwischen 1935 und 1946 insgesamt 19 Filmmusiken komponiert. In der Nachkriegszeit widmet er sich wieder vermehrt dem klassischen Genre; er schreibt unter anderem sein Violinkonzert und kehrt zwischenzeitlich nach Wien zurück, wo er nicht wieder auf jene Anerkennung stößt, die ihm aus Jugendjahren vertraut war.

Ein Leben wie ein Roman. Carroll hat es mit einer imposanten Detailfülle erschlossen. Er liefert uns, vor allem dank einer subtilen Verzahnung von Vita und Werk, die stichhaltige Widerlegung eines lange Zeit gültigen, vorschnellen Urteils: Auf die rasante Frühkarriere sei ein langsames Scheitern gefolgt.

Doch Carroll fügt sich in eine Entwicklung ein, die bereits Ende der 80er- und vor allem in den 90er-Jahren begonnen hat: die Wiederentdeckung von Komponisten, die von den Nazis als „verboten“ erklärt worden waren und deren Tabuisierung sich auch auf die Nachkriegsjahrzehnte erstreckte. So würdigt diese Biographie erstmals umfassend Korngolds Bedeutung für die Filmmusik: „ein wahrer Pionier dieser neuen Kunstform.“

Carroll zeigt, dass diese für Hollywood entstandenen Werke von hoher „symphonischer Komplexität“ geprägt sind und weit mehr darstellen als die klingende Kulisse für eine Handlung auf der Leinwand. Auch kann er nachweisen, dass Korngold sich den Zugang zu diesem Genre allein erschlossen und sich in kürzester Zeit auch mit den technischen Problemen dieser neuen Aufgaben vertraut gemacht hat.

Der Anhang umfasst neben Register und Literaturhinweisen auch ein ausführliches Werkverzeichnis und eine (leider 2008 endende) Diskografie. Einzig die zahlreichen, teils längeren englischsprachigen Zitate im zweiten Teil des Buches hätte man sich ebenfalls in einer deutschen Übersetzung gewünscht.

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