Joh. Gottfried Walther: „Musicalisches Lexicon oder Musicalische Bibliothek“, 1732; Bärenreiter 2001, Studienausgabe, 611 Seiten, 48 Mark
Johann Mattheson: „Der vollkommene Capellmeister“, 1739; Bärenreiter 1999, Studienausgabe, 676 Seiten, 39,80 Mark
Heinrich Christoph Koch: „Musikalisches Lexicon“, 1802; Bärenreiter 2001, TB Faksimile Reprint, 936 Seiten, 78 Mark
Joh. Gottfried Walthers „Musicalisches Lexicon“ von 1732, herausgegeben von Friederike Ramm, wurde sinnvoller Weise in moderner Schrift und den heute üblichen Notenschlüsseln gedruckt, was die schnellere Lesbarkeit merklich fördert. Was zeigt sich hier beim Lesen und Stöbern (denn durchlesen wird man ein Lexikon schließlich nicht)?
Der Leser findet, wie in modernen Lexika, alphabetisch geordnet sowohl Fachbegriffe als auch Namen der seinerzeit als wichtig erachteten Personen. Beide Kategorien sind, wenn auch oft erst auf den zweiten Blick, aufschlussreich, erhält man doch Einblick in die Begrifflichkeit einer Zeit und die – heute oft anders gewertete Auswahl – der damals als wichtig erachteten Persönlichkeiten.
Regungen fühlen
Sieht man nach unter „Bach“, findet man Johann Bernhard, Joh. Christoph, (geb.1669) und Joh. Sebastian, von dessen Kompositionen seinerzeit lediglich „die“ Clavier-Übung (Partiten) erwähnt ist und auf deren schon damalige Hochschätzung hingewiesen wird. Das Wohltemperierte Klavier Bd. 1 von 1722 findet dagegen noch keine Erwähnung. Vielleicht sucht man den Begriff „Agogik“, bevor man sich besinnt, dass dieser erst 1884 durch Riemann eingeführt wurde, forscht dann aber danach, ob sinngemäß das Phänomen schon bekannt war, wird aber erst bei Mattheson 1739 fündig, der zwar nicht expressis verbis, aber doch – fast verschämt – deren Existenz etwa folgendermaßen andeutet: man müsse ein Stück nicht nur wohl nach seinen vorgeschriebenen Zeichen schlagen und halten, sondern auch die verschiedenen Regungen fühlen, die das Stück ausgedrückt wissen will.
Überhaupt stellt es einen besonderen Reiz der Lektüre dar, bestimmte Begriffe vergleichend aus den drei Werken aufzusuchen. Man erhält wichtigste Informationen nicht nur aus der Zeit, besser: aus den Zeiten, sondern äußerst hilfreiche Aufschlüsse über die Veränderungen zwischen 1732 und 1802, also Bachs und Beethovens Lebzeiten.
Mitunter vor Rätsel gestellt wird man von im Text original belassenen griechischen Wörter ohne deren Übertragung in deutsche Schrift. Hier könnte eine Neuauflage sicher eine Verbesserung bringen, da ohne Kenntnis der griechischen Schrift der betreffende Artikel nicht nutzbar ist.
Dem Namen nach am bekanntesten dürfte Johann Matthesons „Vollkommener Capellmeister“ (1739) sein. Ebenfalls in Neusatz von Text und Noten von Friederike Ramm herausgegeben ist dieses Werk nicht Lexikon sondern klar gegliedertes Lehrwerk mit den drei Hauptteilen:
1. „Von der wissenschaftlichen Betrachtung der zur völligen Ton-Lehre nöthigen Dinge“, 2. „Von der wircklichen Verfertigung einer Melodie...“ 3. „Von der Zusammensetzung verschiedener Melodien, oder von der vollstimmigen Setz-Kunst...“
Neben einer Fülle wissenswerter Grundlagen wie Intervalle, Stimmpflege, Klang-Füße, „Zeit-Maasse“ oder Verzierungspraxis erweisen sich kleine Polemiken bei Mattheson als durchaus informativ. Hier ein Exempel: Las man bei Ph.E. Bach, dass man die Gefühle des Klavierspielers hören und sehen können solle, liest man schmunzelnd bei Mattheson: „Wenn ein Clavierspieler das Maul krümmet, die Stirne auf und nieder ziehet, und sein Antlitz dermaassen verstellet, dass man die Kinder damit erschrecken mögte“, könne man keinen Zuhörer vergnügen (S. 94). Ob im ersten Teil das Wesen der Melodien, im zweiten das „zierliche Singen und Spielen“, im dritten Tonsatzfragen abgehandelt werden, überall stecken kleine bedeutende Informationen über das seinerzeit Gemeinte und Erstrebte.
Heinrich Christoph Kochs „Musikalisches Lexikon“ von 1802 wurde im Reprint als Taschenbuch herausgegeben von Nicole Schwindt. Da Koch schon die heutigen Schlüssel verwendete, können die Notenbeispiele trotzdem gut gelesen werden. Das Auge gewöhnt sich relativ schnell an die alte Schrift, so dass auch dieses Werk sofort nutzbar wird. Im Gegensatz zu Walther bringt Koch keine Personendaten. Nehmen wir in Fortsetzung unserer Suche nach „Agogik“ den Begriff „Ritardando“, stoßen wir sofort auf eine der heutigen Ausführung widersprechende Ausführung: „... ist eine Art der Verzierung des Gesanges, wobey die vorhergehenden melodischen Hauptnoten bis zum Anschlage der Harmonie der nachfolgenden zurückgehalten werden, wodurch der Anschlag dieser Hauptnoten gegen die dabei zum Grunde liegende Harmonie verrückt wird“. Selbst die Definition von „Tempo“ noch im Jahre 1802 überrascht: „die Taktbewegung oder das Zeitmaß“. Spezieller das „Tempo giusto“, zum Beispiel bei Clementi fast zeitgleich (1801 in seiner Klavierschule) genau in der Mitte seiner Temposkala zwischen Adagio und Prestissimo als konkrete Tempoangabe verstanden, lautet anders: „die rechte Bewegung, oder das rechte Zeitmaaß. Diese Überschrift zeigt an, dass der Tonsetzer es dem Ausführer überlässt, das richtige Zeitmaaß des Tonstückes nach seinem eigenen Gefühl zu bestimmen“.
Appetitmacher
Die aufschlussreichen Zitate aus allen drei Werken könnten unendlich fortgesetzt werden. Vielleicht mag diese kurze Beschreibung Appetit machen, sich mit jenen auseinander zu setzen. Persönlich darf ich anmerken, dass mein eigener Nutzen und auch der Genuss deutlich sich vergrößerten, als ich nicht nur ein Werk durchstöberte, sondern die genannten drei Werke vergleichend (auch mit zum Beispiel den bekannten Instrumentalschulen von Ph.E. Bach, L. Mozart, Türk etc.) betrachtete. Eine dankenswerte Edition des Bärenreiter-Verlages, welcher viele Leser – insbesondere auch Musiklehrer und -studenten – zu wünschen sind!