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Mitte der 20er Jahre, noch während des Studiums, erlebte er das singuläre Konzert, da Horowitz unter Furtwängler spielte. 1934, schon im Exil, saß er in jenem Tristan, den wiederum Furtwängler mit Solisten gab, die in Deutschland bereits unter Auftrittsverboten litten. 1950, eine Ära später, sprach er beim Leipziger Bach-Fest mit Schostakowitsch, Jahre danach, noch vor der Mauer, sah er Glenn Gould unter Karajan in Berlin/West.
Das Erlebnis Musik verbindet sich in Hans Mayers Erinnerungen mit dem Konzertsaal, und hier hat er im Laufe der letzten Jahrzehnte viele der Großen und Namhaften gesucht und gesehen. Zunächst in Köln, der Stadt, in der er aufwuchs. Der Kölner Gürzenich war der Ort erster interpretatorischer Eindrücke und musikalischer Phantasmagorien.
Hier erlebte er Klemperer, Abendroth, Bruno Walter, hier sah und hörte er Pfitzner, d’Albert, Schaljapin, Rachmaninow und Piatigorsky. Musik zu erleben, reduzierte sich dabei niemals allein auf den auditiven Bereich. Mayer erinnert und rekonstruiert Gesten, Gänge, Blicke und Physiognomien, und seine Beschreibung der beinahe ausschließlich männlichen Protagonisten birgt manch theatralisches Element.
Später in Zürich und Genf, in Leipzig, immer wieder auch in Berlin greift ein und dasselbe Muster: Aus dem persönlichen Erleben der Legendären wachsen Weltbild und Selbstwertgefühl, konstruiert sich der zweimal emigrierte deutsche Autor ein Stück Heimatersatz.
Vermittelt über Ernst Blochs berühmtes Mahagonny-Zitat merkt er an, daß dem Starbetrieb der elitären, gern apolitischen Musik „aber etwas fehlt!“ Im Kapitel „Musik im Exil“ beschreibt Mayer den Mangel als eine zunächst interpretatorische Routine und Gleichförmigkeit, die – nach 1945 auch in anderen Gesellschaftsbereichen registriert – handwerklich wie emotional die historischen Katastrophen der Deutschen – Holocaust, Krieg und NS-Zeit schlechthin – zu kompensieren versucht. Eine deutsche „Musik des Exils“ resümiert der Autor in diesem Kontext nicht bei Eisler und Schulhoff, nicht bei Korngold noch bei Weill. Lediglich dem Nichtemigranten Karl Amadeus Hartmann gesteht er zu, die „tiefe Fremdheit und Ungeborgenheit“ jener Zeit komponiert zu haben.
In einem historischen Text aus eigener Hand, den der Autor 1948 auf Schloß Kranichstein beim Internationalen Ferienkurs für Neue Musik vortrug, begegnet das Unbehagen erneut: anstelle eines Rückzugs auf rein kompositionstechnische Belange verlangt er von den Protagonisten der Neuen Musik in Beethovens Sinn eine Verkettung neuer musikalischer Form mit Fragen menschlicher Gesittung. Soziologisch schärfer, konträr gar zur eigenen Niederschrift musikalischer Legenden formuliert sich Hans Mayer in einem anderen historischen Text: 1938 in Paris verfaßte „Bemerkungen zu einer kritischen Musiktheorie“ belegen seine Auseinandersetzung mit Adornos nüchternem Blick auf „die Musik“ als einem rein kapitalistisch funktionierenden Warenbetrieb. Mayer polemisierte seinerzeit, mittels Marxscher Kategorien wie Tausch- und Gebrauchswert das sozial-utopische Potential von Musik, wie auch Bloch es verstand, nicht erfassen zu können. Adornos Wahrnehmung, das „quantitative Moment“, also der letztlich finanzielle Erfolg eines musikalischen Werks, substituiere dessen eigentlichen künstlerisch-moralischen Wert, konnte er bereits in den 30er Jahren nicht widersprechen.
Die historische These, die einer Widerlegung auch heute noch harrt, erfrischt und schafft rigoros Klarsicht auch auf heutige Betriebsmechanismen. Der Adorno-Disput aus der Jugend ist im Buch dramaturgisch präzise plaziert; dem Erinnern des 90jährigen verleiht er jene Spannung und Mehrschichtigkeit, die Hans Mayers vielleicht letzte Schrift zur Musik zumindest partiell sehr hilfreich sein läßt.