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Entschiedene Abkehr von pädagogischer Musik

Untertitel
Bekannte und neue Modelle für das Ensemblespiel in der Schule
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Ortwin Nimczik, Wolfgang Rüdiger: Instrumentales Ensemblespiel. Übungen und Improvisationen – klassische und neue Modelle. Basisband 95 S. Materialband 103 S. Materialien zum Musikunterricht Band 2, hrsg.v. Siegmund Helms u. Reinhard Schneider, ConBrio Verlagsgesellschaft Regensburg 1997, Basisband und Materialband 59 Mark, Materialband einzeln 24, 80 Mark.Die musikalische Improvisation – das gleichzeitige Erfinden und Ausführen von Musik erfährt in den Musikkulturen der Welt eine höchst unterschiedliche Wertschätzung. In einer Musikkultur, die von der Komposition, vom Musikwerk geprägt ist, pendelt die Wertschätzung der Improvisation von höchster Bewunderung bis zu einem kühlen „das kann ja jeder“. Nein, das kann nicht jeder: Johann Sebastian Bach improvisiert im Mai des Jahres l747 das „Thema Regium“ am Hofe Friedrichs des Großen in Potsdam, das er später als Musikalisches Opfer schriftlich niederlegt: „Es geschahe dieses von gemeldetem Capellmeister so glücklich, daß nicht nur Se. Majest. Dero allergnädigstes Wohlgefallen darüber zu bezeigen beliebten, sondern auch die sämtlichen Anwesenden in Verwunderung gesetzt wurden“. Ein herausragender Moment der europäischen Musikgeschichte. Ja, das kann jeder: Klänge und Geräusche experimentell gestalten und im Prozeß der Erfindung und Gestaltung immer tiefer die Möglichkeiten, die Strukturen und das Ausdruckspotential der „Luftkunst“ Musik und damit auch sich selbst erfahren. Ein breiter und vielfältiger Strom gegenwärtiger Musikausübung. Improvisation in der Musikpädagogik heute ist eine Gratwanderung. Eine Gratwanderung zwischen Hinführung zu Materialerfahrung und -beherrschung mit dem Ziel zukünftiger Professionalität und einer Hinführung zu elementarer Gestaltung und Erfahrung ohne Vorbedingung. Diesen musikpädagogischen Spagat zu bewältigen, sind Ortwin Nimczik und Wolfgang Rüdiger angetreten. Der Materialband, gedacht für die Hand der Schülerinnen und Schüler, stellt Spielanleitungen vor. Die angebotenen Inhalte sind aufgrund ihrer Vielschichtigkeit in der Lage, den anspruchsvollen Intellekt ebenso wie das Musikerherz zufriedenzustellen. Der Weg führt von der Geschichte zur Gegenwart, von der Stille zum Klang, er führt durch Leichtes und Anstrengendes, Spielerisches und Konzentriertes, Wohlklang und Dissonanz. John Cage – natürlich – und Mozart, Violeta Dinescu und Scott Joplin liefern Originales oder von Autoren variiertes Material. Komponistinnen und Komponisten der Gegenwart sind mit professionellen und keineswegs pädagogisch reduzierten Ideen präsentiert: Eine entschiedene Abkehr von musikpädagogischer Musik. Körperbezogenes zum Umgang mit Stimme, Atem und körpereigenen Instrumenten ist ebenso angeboten wie die anspruchsvolle Intonationsübung. Das „musikalische Würfelspiel“ nach Mozart macht Harmonielehre spannend und amüsant. Mehr soll hier nicht verraten werden – ein Weiterschnuppern sei wärmstens empfohlen. Der Basisband, gedacht für die Hand der Pädagoginnen und Pädagogen, besteht aus Informationen zu den Spielanleitungen des Materialbandes und weiterführenden Anregungen. Eine angenehm knappe und wenig geschwätzige Literaturauswahl rundet jedes Kapitel ab. Die beiden Hochschullehrer beweisen in ihrer kenntnisreichen Materialsammlung, deren Einsatz in den höheren Klassen der Sekundarstufen der allgemeinbildenden Schule, in Musikschulen und bis hinein in die Musikhochschulen denkbar ist, den Praxisbezug, den sich Pädagoginnen und Pädagogen so oft wünschen. Wenn etwas kritisch anzumerken wäre, dann die Tatsache, daß Materialband und Basisband in Form zweier getrennter Bände vorliegen. Mag der Grund dafür auch verlegerische Scheu vor einem zweihundertseitigen Opus sein: Was so zusammengehört wie diese beiden Bände, sollten weder Autoren noch der Verlag trennen.

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