Body
Jürg Stenzl: Luigi Nono. Monographie (Rowohlt, Reinbek 1998, 160 S., Abb., 12,90 Mark).
Selten ist es geworden, daß die ganz großen Publikumsverlage – zu denen gehört der Reinbeker Rowohlt-Verlag zweifellos – sich den publizistischen Notwendigkeiten der zeitgenössischen Musik stellen. Ein Blick in die Verlagsprogramme der sechziger und siebziger Jahre zeigt hier noch ein anderes Engagement, obgleich dies nie sonderlich exzeptionell gewesen ist. Immerhin aber publizierte Rowohlt in seiner Taschenbuchreihe „rororo“ 1977 den Titel „Moderne Musik“ von Montserrat Albet – eine Übersetzung aus dem Spanischen. Seitdem ist es still um die Musik nach 1950 im Reinbeker Verlagshaus geworden. Um so mehr ist die ins Programm genommene Darstellung Luigi Nonos in die rühmliche Reihe „rororo-Monographien“ durch Jürg Stenzl zu begrüßen – soweit in die musikalische Gegenwart hat sich die Reihe bislang nicht vorgewagt. Daß nun Nono dieser erste Platz gebührt, ist ebenfalls ein Plus, hat doch kaum ein anderer „ernster“ Komponist – vielleicht noch Giacinto Scelsi und Morton Feldman – im letzten Jahrzehnt ein so sehr neues Publikum in seine Konzerte gebannt wie er. Peter Niklas Wilson sprach vor Jahren nicht ganz unrichtig sogar vom Nono-Scelsi-Feldman-Kult. Zu diesen Positiva gehört auch die Autorenwahl Jürg Stenzls, der aufs beste mit Nonos Werk vertraut ist. Und doch ist es auch diese Autorenschaft, die die Nono-Darstellung letztlich als vertane Chance erscheinen läßt. Dabei ist nicht die fundierte und detailreiche Vorstellung Nonoschen Komponierens durch Stenzl gemeint; hier gibt es kaum etwas auszusetzen. Die Kritik bezieht sich auf die vom Autor anvisierte Leserschaft. Ein musikalischer Laie hat dem Autor jedenfalls nicht vorgeschwebt; dazu ist der Text samt seinen Analysen zu komplex. Ein interessierter Kunsthistoriker etwa ohne detaillierte musikalische Sachkenntnis wird alleingelassen. Stenzl hilft solchen fachfremden Lesern nicht – und aus diesen setzt sich die „rororo-Monographie“-Gemeinde ja zusammen, für sie ist die Reihe ja auch gedacht. Ein lebhafterer und erzählenderer Duktus hätte Neue-Musik-Interessierten, gleichwohl Sachfremden, manches zugänglicher gemacht. Das war – so bekundet es die Lektüre – nicht der Anspruch Stenzls. Vor Augen muß der Verfasser eher ein künftiges professionelles Musik(wissenschafts-) publikum gehabt haben, und für diese Klientel liegt hier die zentrale Basisliteratur in Sachen Nono vor – jedenfalls für lange Zeit. Die Nur-Interessenten werden aber auf andere gestaltete Erläuterungen warten müssen. Beiden Lesergruppen aber helfen nicht die Passagen, in denen sich der Musikforscher als biographischer Literat erprobt. Abgesehen von der Darstellung des Vaters, der – wie in unendlich vielen Biographien – bei Stenzl „ein autoritärer Patriach, auf Pünktlichkeit bedacht, ein liebender Vater“ war, der aber auch – man staune wegen der Originalität – „seine Sensibilität hinter einem strengen Äußeren zu verbergen suchte“ (S. 10). Wie sooft erfährt der Leser nichts über die Eltern, und wie im Gegensatz zum Vater die Mutter gewesen ist, kann sich wohl jeder denken: liebevoll natürlich, voller „Warmherzigkeit“. Hübscher, bei der Auflösung der Metaphern nahezu obszön, ist die Passage, die Nono als „Frauenhelden“ kennzeichnet, von dem sich Frauen – wie sollte es beim Künstler auch anders sein – magisch angezogen fühlten. Egal ob dieser altbackene Topos nun stimmt oder nicht, auf Nonos Schaffen wirkte sich solches in der Beschreibung Stenzls dergestalt aus: Nono „pflegte zu nehmen, was sich ihm zuneigte, und er eroberte, was ihn erregte – um sich sogleich wieder seiner Arbeit zuzuwenden. Dort transfomierte er das sinnliche Vibrieren des eigenen Körpers in das frei sich Aussingende seiner Sopranlineaturen.“ (S. 84).