Peter Wegele: Der Filmkomponist Max Steiner (1888–1971), Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar 2012, 300 S., Abb., € 39,00, ISBN 978-3-205-78801-0
Immer häufiger treten Filmkomponisten heute aus dem Schatten heraus, der sie als bloße Lieferanten für das künstlerische Gesamtprodukt Film lange umgeben hat. Soundtracks sind mittlerweile fester Bestandteil des Marketings von Filmproduktionen, erfolgreiche Komponisten wie Hans Zimmer oder Ennio Morricone werden als Individuen wahrgenommen, die großen Anteil haben am Gelingen oder Scheitern von Filmprojekten. Peter Wegeles Buch über einen der produktivsten Filmkomponisten der großen „Studio Era“ erlaubt dem Leser einen Rückblick auf die Zeit, als Hollywood erst lernen musste, was Musik im Film zu leisten vermag.
Vorweg sei gesagt: Wer ein überwiegend biographisches Buch erwartet, wird enttäuscht sein. Über den Menschen Max Steiner hat man nach der Lektüre kaum etwas erfahren. Der „Filmkomponist“ Max Steiner ist es, der Titel und Inhalt bestimmt. Darüber, wie es einem ergeht, der aus dem extrem traditionsbewussten Wien der k.u.k-Zeit in die pulsierende moderne Filmstadt Hollywood in deren Blütezeit kommt, hätte man natürlich gerne mehr erfahren. Spannungen Steiners mit dessen Vater, immerhin vier Ehen und der Selbstmord des einzigen Sohnes werden als private Details zumindest angerissen und werfen Fragen auf. Doch Wegele konzentriert sich thematisch vor allem auf Steiners Kompositionsstil, dessen musikwissenschaftliche Analyse und hat hier insbesondere Steiners Score zu „Casablanca“ (1942) als Studienobjekt gewählt.
Akribisch zerpflückt Wegele auf über 100 Seiten Steiners „Casablanca“-Themen, veranschaulicht durch zahlreiche Partiturabschnitte, Particelle und Klavierauszüge. Steiners Kompositionstechniken werden – immer vor dem Hintergrund der entsprechenden Filmszene dargestellt – sachkundig auf ihre psychologische Wirkung hin untersucht, wobei auch Querverweise auf Steiners Inspirationsquellen gegeben werden. Besonders deutlich wird dabei, mit welcher Zielgenauigkeit Steiners musikalische Ideen die szenischen Anforderungen treffen, ebenso die enorme Vielseitigkeit seines kompositorischen Potentials, die ihm quasi jede beliebige musikalische Wendung ermöglicht.
Die Konzentration ausschließlich auf das „Casablanca“-Material begründet der Autor mit der vergleichsweise handwerklichen Herangehensweise Steiners an diesen Score, anhand dessen sich sein Stil besonders anschaulich darstellen lässt. Dennoch wäre ein vergleichender Blick auf einen der anderen großen Scores Steiners, wie den wegweisenden „King Kong“, den unumgänglichen „Gone with the Wind“– oder den preisgekrönten „Informer“-Score interessant gewesen.
Neben dieser detaillierten Analyse wird der Leser aber auch über Trivialeres informiert, zum Beispiel über Steiners Abneigung gegen den berühmten Casablanca-Filmsong „As Time Goes By“, der gar nicht von ihm selbst stammte und ihm die Arbeit an der Filmmusik gehörig vermieste, oder über Steiners leidenschaftlichen Kampf für das Projekt „Gone with the Wind“ (1939), das er um jeden Preis vertonen wollte, dies am Ende auch tun durfte, dabei dann aber so unter Zeitdruck stand, dass er die Arbeit nur noch mit Medikamenten durchhielt. Dieser Hauch von „Making of“-Feeling tut dem Buch sehr gut, überhaupt sind die begleitenden Informationen, die Wegele über die damaligen Zustände und Gepflogenheiten der noch im Entstehen begriffenen Filmindustrie Hollywoods einstreut, sehr aufschlussreich und spannend zu lesen. Die Funktionsweise der Musicdepartments, in denen Komponisten als feste Angestellte der Studios Dienst taten, die seltsamen Vergaberegelungen der frühen Oscar-Jahre oder die Bedeutung der Produzenten im Hollywood der Studio-Ära werden anhand von Auszügen aus Memos und Briefen verschiedener Protagonisten anschaulich. Haarsträubend ist auch zu lesen, wie perfide der Produzent von „Gone with the Wind“, David O. Selznick, Druck auf Steiner ausübte, indem er einen zweiten Komponisten beauftragte, Steiner dies wissen ließ und ihn so zur Höchstleistung und eben auch an dessen gesundheitliche Grenzen trieb.
Zum Abschluss zieht Wegele einen kurzen Vergleich zu vier von Steiners wichtigsten Kollegen der „Orchester-Ära“ (Korngold, Alfred Newman, Waxman, Friedhofer). Hier wird deutlich, dass zumindest Korngold als weiterer österreichischer Auswanderer sich nie ganz mit dem Status als Hollywoodkomponist anfreunden wollte – ganz im Gegensatz zu Steiner.
Bei der Lektüre des Buches wird klar, von welcher Nachhaltigkeit Steiners Pionierleistungen sind. Neben der Etablierung des „underscorings“, also der dramatischen Musik im Film, reichen sie von der heute noch üblichen Verwendung von Click-Tracks oder der generalstabsmäßigen Arbeitsteilung im Produktionsprozess bis zur Etablierung von Leitmotiven nach dem Vorbild Wagners. Steiners Arbeit integrierte bereits früh Bausteine, die auch aktuelle Scoreproduktionen noch bestimmen. Wegeles Einblicke in wichtige Grundbegriffe des Filmscorings, die Nachzeichnung von Steiners Karriere sowie kurze Blicke hinter die Kulissen des frühen Hollywood dürften für alle Film- und Filmmusikfans interessant sein. Wegeles musikwissenschaftliche Analyse von Steiners „Casablanca“-Score bedarf allerdings solider fachlicher Kenntnisse.