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Fremd bin ich eingezogen …

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Albrecht Dümlings Standardwerk über jüdische Musiker in Australien
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Seltsam ist das, wenn in einem Buch eine Adresse auftaucht, die einem bekannt vorkommt, Von-der-Tann-Straße 31. Ein paar Häuser weiter war jahrzehntelang die Redaktion der neuen musikzeitung gewesen. Dort hatte bis April 1933 der damalige zweite Kapellmeister des Regensburger Stadttheaters, Adolf Brenner, ein Untermietzimmer gehabt. Weil er „nichtarisch“ war, fiel er unter das Berufsverbot der Nazis.

Und so sollten ihn die „Zeitläufte“ über Wien, das KZ Dachau und England nach Australien führen, wo er 1996 starb. Ein Schicksal von vielen, das Albrecht Dümling genau nachzeichnet in seinem Buch „Die verschwundenen Musiker“ über die „jüdischen Flüchtlinge in Australien“. Ein Jahrzehnt lang hat Dümling in dem Land geforscht, das für ihn bis dahin nur die „exotische Heimat der Antipoden“ war, wie er im Vorwort schreibt. Erst vor zwanzig Jahren hatten die Musikwissenschaftler „Oz“ zum ersten Mal als Zufluchtsort vieler Musiker aus Deutschland und Österreich wahrgenommen gehabt. 

Und daran war Dümling nicht ganz unschuldig, denn er hatte 1988 das große Thema „Entartete Musik“ zum ersten Mal auf die „Agenda“ gesetzt, als er zusammen mit Peter Girth die berühmt-berüchtigte Düsseldorfer Ausstellung von 1938 rekonstruierte und damit anschloss an die epochalen Arbeiten des „Außenseiters“ Joseph Wulf und Fred K. Priebergs „Musik im NS-Staat“. Weil viele Musikwissenschaftler direkt und indirekt in die Verbrechen der Nazis verwickelt waren, so wie auch Juristen und Ärzte, hatte sich die „Aufarbeitung“ dieses dunklen, von Dünkeln geprägten Kapitels deutscher Kulturgeschichte um vier Jahrzehnte verzögert. 

Aber mit dieser Ausstellung, die noch heute unter dem schönen Titel „Das verdächtige Saxofon“ um die Welt wandert, begann eine neue Ära und „Entartete Musik“ wurde sogar zum Label einer CD-Reihe von Decca Records, die Michael Haas betreute, bis die gesichts- und geschichtslose Universal Music sie einstellte. Aber die wieder entdeckten Kompositionen von Viktor Ullmann, Berthold Goldschmidt oder Erwin Schulhoff sind Repertoire geworden. Und selbst die Namen jüdischer Unterhaltungskomponisten wie Paul Abraham, Friedrich Hollaender oder Werner Richard Heymann sind heute wieder geläufig.

Sehr kompakt schildert Dümling in den ersten Kapiteln des neuen Buches die „Säuberung“ des deutschen Kulturlebens, die der „Kampfbund für deutsche Kultur“ schon in der späten Weimarer Republik gefordert hatte. Vor allen Dingen die „Juden“, der „Jazz“ (etwa von Gruppen wie den „Weintraubs Syncopators“, deren „Schicksal“ das Herz des Buches bildet!) und die „Kulturbolschewisten“ sollten nach dem Machtantritt „ausgemerzt“ werden. 

Damit Platz geschaffen werden konnte für eine neue Generation von oft sehr mittelmäßigen „arischen“ Musikern und servilen Musikwissenschaftlern, die bis lange nach dem Krieg der Forschung ihren „Stempel“ aufdrücken sollten. Das alles sollte man im Hinterkopf behalten bei diesem sehr komplexen Thema, bei dem es wimmelt von hirnrissigen Begriffen aus der Vergangenheit wie „Nichtarier“ oder musikalischer „Rassenschande“. Und selbst Australien ist für viele noch heute „terra incognita“ geblieben. 

Besonders die auch von Antisemitismus geprägte Rolle des Landes „down under“ während des II. Weltkriegs ist hierzulande fast unbekannt. So ist das Buch weit mehr als nur eine verdienstvolle Ansammlung von „Einzelschicksalen“ entwurzelter Künstler. 

Albrecht Dümling zeichnet ein Panorama jener Jahre, das weit hinausgeht über die Musik. Dadurch leistet er auch einen großen Beitrag zur Exilforschung.

Albrecht Dümling: Die verschwundenen Musiker. Jüdische Flüchtlinge in Australien, Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar 2011, 444 S., Abb., € 49,90, ISBN 978-3-412-20666-6

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