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Geliebte Häuser unter dem Seziermesser

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Die Bayerische Staatsoper, die Wiener Staatsoper und ihre Geschichte(n)
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„Es gibt ein Objekt, an dem kann man die intentionalistische Denkweise von Adolf Hitler durchgängig nachweisen: das ist die Bayerische Staatsoper. Die hat er 1912 dilettantisch genug als 23jähriger erstmals in Öl gemalt – und von da an war die Staatsoper das Institut, an dem er kulturelle Präsenz und Dominanz in Europa und auf der Welt durchziehen wollte – intentionalistisch: von Anfang an geplant und das hat er durchgezogen.“ So umreißt der federführende Theaterwissenschaftler Jürgen Schläder seine zentrale Erkenntnis aus der fast fünfjährigen Team-Arbeit an dem nun erschienenen Band.

Er ist das kritische Gegenstück zu „Das geliebte Haus“: dem Buch, mit dem sich der von 1952 bis 1967 nahezu uneingeschränkt anerkannte Regisseur und Intendant Rudolf Hartmann endgültig „reingewaschen“ hat – von seiner als „Alt-Parteigenosse“ gezielt vorangetriebenen NS-Karriere. Anhand einiger der 44 Inszenierungen aus Hartmanns Münchner Tätigkeit als NS-Operndirektor und erster Regisseur zwischen 1937 und 1945 wird ein weiterer Gewinn des Buches deutlich: wie Hartmann im „Triumvirat“ mit Generalmusikdirektor Clemens Krauss und Ausstatter Ludwig Sievert regime-konforme, mitunter „Reichtagsnahe“ bis hin zum „Deutschen Gruß“ auf der Bühne, ja sogar NS-Kernbegriffe verherrlichende Opernkultur praktizierte – alles auf hohem gesanglichen und musikalischen Niveau mit speziellen Finanzzuschüssen aus Berlin.

Das belegen speziell die Produktionen von „Aida“, „Arabella“, sogar „Fidelio“ und besonders raffiniert unterschwellig der „Friedenstag“ von Richard Strauss – ohne dass eine spezielle NS-Ästhetik entstand. Von vielen „Weggenossen“ der braunen Jahre in Gesellschaft und Politik mit „Persilscheinen“, sprich politischen Unbedenklichkeitsbekundungen versehen, gelang Hartman die höchst fragwürdige Rehabilitierung. Parallel zur Adenauerschen Restauration pflegte er dann ab 1952 „werktreu“ etikettierte Repräsentationsästhetik, abermals oft unterkomplex, in der sich das Münchner Hochkulturpublikum behaglich einrichten konnte – die eigene „veralltäglichte“ braune Gesinnung zudeckend.

Die dadurch verdrängten Leistungen und Modernisierungsimpulse des Nachkriegsintendanten und nicht verwandten Vorgängers Georg Hartmann in den enorm schwierigen und ästhetisch herausfordernden Jahren 1947 bis 1952 werden endlich gebührend gewürdigt. Kapitel zur Ballettgeschichte runden das Hausporträt. Dass Kunst eben nicht in politikfreier Reinheit stattfindet, sondern mit Ästhetik immer Politik betrieben wird, beweist der neue Band eindringlich – der Hauptgewinn der Lektüre.

Dem Anlass „Feier der Wiedereröffnung 1963“, womöglich auch der Idee, kein historisch chronologisches, sondern ein „künstlerisches“ Buch zu machen, entspricht der Aufbau: erst 100 Seiten zum neuen Haus, dann die NS-Zeit ab 1933, dazu die Akteure vor und nach 1945, schließlich die Ästhetik der Jahre bis 1963.

Damit beginnen auch die Schwächen des Buches. Den sieben Hauptautoren und den eingearbeiteten Gastbeiträgen fehlte ein kritischer Endlektor, der die vielen Überschneidungen und Wiederholungen verhindert hätte: bei NS-Akteuren, ihren Gesetzen und Maßnahmen wie etwa der schamlos rüden „Arisierung jüdischer Wohnungen“ für Staatsopernpersonal, bezüglich der spezifisch münchnerischen Mentalität in Gesellschaft, Stadt- und Ministerialverwaltung – oft bruchlos vor und nach 1945.

Schwerer wiegt, dass nur die Hauptakteure und künstlerischen Solisten analytisch beleuchtet werden. Das führt zu erfreulich kritischen Blicken auf die Herren Strauss, Krauss, Sievert, Orff und Egk, zu wenig bei Hans Knappertsbusch, den Rudolf Vaget in seinem Buch „Wehvolles Erbe“ minutiös entlarvt.

Doch viele Sängerbiografien bleiben hinter vorhandenen Fachbüchern zurück. Zwar wird kurz auf ukrainische und französische Fremdarbeiter in der Oper während der Kriegsjahre verwiesen, doch zu den mehreren hundert Mitarbeitern in Chor, Orchester, Werkstätten, Technik und Verwaltung des Unternehmens Staatsoper fehlt bis auf wenige Sätze alles. Auf eine mögliche Rolle der „NSBO – Nationalsozialistischen Betriebszellen-Organisation“ wird mit keinem Wort eingegangen. Mag in den angeführten Archiven die Aktenlage zu liberalen, „linken“ bis kommunistisch gesinnten Mitarbeitern dünn sein: Wenn der von Hannes Heer manifestierte Begriff „Verstummte Stimmen“ schon einmal genannt wird (ohne dass Heer im Literaturverzeichnis auftaucht), hätte sich vielleicht bei ihm oder einem NS-Kenner wie Götz Aly, in Partei- und Gewerkschaftsarchiven und Nachkommen von Opernmitarbeitern die Nachfrage gelohnt. Zu vielen NS-Opfern finden sich Akten oder Materialien in ehemaligen DDR-Beständen und oft auch in Moskau. Auf die Möglichkeit, dass derartige Akten nicht nur im Krieg verloren, sondern sogar gezielt vernichtet wurden, wird verwiesen, aber nicht näher eingegangen.

Die in München leider wiederholt anzutreffende „Nicht-Zusammenarbeit“ von Fachinstitutionen – hier mit dem NS-Dokumentationszentrum unter dem Kenner Winfried Nerdinger und dem Institut für Zeitgeschichte mit dortigen NS-Spezialisten – macht das Manko einer Opfer-Geschichte der „kleinen Mitarbeiter“ noch weniger akzeptabel. Aus dem Münchner Gärtnerplatztheater, das Hitler zur „Staatsoperette“ aufwerten wollte, vermeldeten die Direktoren schon 1932 stolz, dass das Theater „judenfrei“ geführt werde. Könnte dergleichen in der Staatsoper nicht vor 1933 längst schleichend stattgefunden haben?

Manfred Stoys weniger opulent ausgestatteter und etwas mühsam zu lesender Band zur „Wiener Staatsoper 1938–1945“ belegt da minutiös Bestürzendes. Die Aktenlage scheint in Österreich exzellent zu sein. Doch auch die deutschen Opernhäuser Frankfurt, Hamburg seit Jahren und jüngst Stuttgart würdigen ihre durch die braunen Kulturbarbaren zum Verstummen gebrachten Künstler mit Gedenktafeln, in Dresdner und Darmstädter Theatern haben sich NS-Opfer im zweistelligen Bereich finden lassen – ausgerechnet in der Vorzeige-Oper der NS-Hauptstadt der Kultur sollte es nur einen jüdischen Solisten als Auschwitz-Opfer gegeben haben?

Das Münchner Autorenteam beruft sich auf große Fehlbestände – doch genau das Warum und Wieso hätte ein analytisch präzises Kapitel verdient – womöglich als entlarvender Beleg, wie sich die „Hauptstadt der Bewegung“ zur „Weltstadt mit Herz“ mit einer „Oper von Weltgeltung“ gesäubert hat und so – Titel-nahe – wurde, was sie ist.

  • Wie man wird, was man ist. Die Bayerische Staatsoper vor und nach 1945, hrsg. v. Jürgen Schläder, Henschel Verlag, Berlin 2017, 456 S., Abb., e 29,95, ISBN 978-3-89487-796-5

Manfred Stoy: Die Wiener Staatsoper 1938–1945, Bd. 1, Verlag der Apfel, Wien 2017, 412 S., Abb., € 49,90, ISBN 978-3-85450-351-4

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