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Germanenkult mit fatalen und tragischen Folgen

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Eine neu erschienene Veröffentlichung richtet über Richard Wagner als Urheber des Holocaust
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Joachim Köhler:Wagners Hitler. Der Prophet und sein Vollstrecker. Karl Blessing Verlag München 1997, 512 S., 49,80 Mark (ISBN 3-89667-016-6) Hitler war nicht nur von Wagners Musik begeistert. Insbesondere hatten es ihm die the-matischen Inhalte von dessen Bühnenwerken angetan. Vom Vokabular des Volkstribunen Rienzi, in dem Hitler ein Vorbild sah und das er - wie schon John Deathridge aufgezeigt hat - in seinen Sprachwortschatz übernahm, bis zum Germanenkult und zum Gralsorden war hier vieles vorgezeichnet, was Hitler von der Bühne in die Wirklichkeit zu übertragen bemüht war. Die NS-Parteiveranstaltungen nicht nur in ihrer Begleitmusik, sondern in ihrem Fest- und Weihespielcharakter dem Vorbild von Wagners Bühne. Egomanische Vorhaben Die Pläne einer gigantischen Bayreuth-Architektur, in dem das Festspielhaus nur als Provisorium dokumentarisch erhalten bleiben sollte, gehen - vor der ausgiebigen Projektierung durch Hitler - tatsächlich noch auf Wagner selbst zurück. Insbesondere aber soll Hitler alle antisemitischen Äußerungen Wagners als Aufforderung, den Untergang der Juden zu betreiben, als persönliche Aufforderung in sich aufgesogen haben, die Arier vor der Umklammerung durch das Judentum zu retten. Auch die Nibelungen in Wagners „Ring“ will Köhler mit Hitler einzig als Zerrbild der Juden verstanden wissen, natürlich auch Beckmesser in den - von Hitler zur Nationaloper erklärten - „Meistersingern von Nürnberg“ als bösartige Karikatur eines Juden und schließlich „Parsifal“ als Mysterium des arischen Christus und der Reinerhaltung des arischen Blutes. Richard Wagners erst im Jahre 1982, im Rahmen der biennalen Wagner-Spectacula in Pegnitz uraufgeführte komische Oper „Männerlist größer als Frauenlist“ wird in Köhlers Deutung ebenfalls zu einem bösen antisemitischen Hetzstück, obgleich doch hier - mit der Wanderzirkus-Familie Julius und Richard Wander (alias Wagner) -eindeutig die autobiographische Struktur einer (bürgerlichen) Künstler-Familie gegenüber der von Wagner verpönten Adelsklasse die Handlungsachse bildet. Wagners revolutionäre Ak- tivitäten im Umfeld der Revolution von 1848, bislang als sein historisch wichtigstes Handeln betrachtet, deutet Köhler als blindwütige Agitation, deren Stoßrichtung damals bereits gegen das Judentum gerichtet gewesen sei. In dieser Interpretation bleiben zwangsläufig Schillers „Götterfunke“ und Albert Lortzings revolutionäre Gesinnung so wenig ungeschoren wie der Philosoph Arthur Schopenhauer. Und als übler Antisemit, der bereits für die Vernichtung der Juden votiert hat, wird auch Robert Schumann zitiert. Vor solchem Hintergrund erscheint Köhler bereits die Aufschrift auf dem Portal des Münchner Prinzregententheaters, „Der deutschen Kunst“, als „fatal“. Vergeblich habe Wagner versucht, bereits König Ludwig II. als Vollstrecker seines Plans der Juden-Vernichtung einzusetzen. Später wurde dann von Chamberlain Wilhelm II. hierfür auserkoren, der - unter Chamberlains Einfluß - tatsächlich mit der Idee des Giftmordes an den Juden gespielt hat, bis endlich Hitler von Chamberlain den Auftrag erhalten habe, Wagners Vernichtungspläne zum Wohle Deutschlands in die Tat umzusetzen. Die Fülle des Materials, der Aussagen Hitlers und seiner Zeitgenossen, die aufgeschrieben haben, was der Führer sprach, schrie oder ihnen heimlich anvertraute, ist im Sinne der Beweisführung Köhlers in der Tat nahezu erdrückend. Konsequent führt Köhlers Auswertung aller verfügbarer Quellen von Hitler-Äußerungen und der gesamten relevanten Hitler-Literatur zu radikaleren Thesen als sie bereits bei Hartmut Zelinsky - in der trefflichen Materialsammlung „Wagner - Ein deutsches Thema“ - und in Robert Gutmans Wagner-Biographie vorformuliert sind: Hitlers Vollstrecker? Hitler als der von Wagners Gedankengut und der Ideologie des Bayreuther Kreises geprägte und von Wagners Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain zum Vollstrecker erwählte Realisator von Wagners Plänen der Judenvernichtung. Das deutsche Volk jedoch exculpiert Köhler in der Frage des Holocaust, da dem Volk die konsequente Ausrottung der Juden von Hitler bewußt verschwiegen worden sei. Polen- und Rußlandfeldzug, so Köhler, dienten Hitler ohnehin nur als Vorwand für seine eigentliche Aufgabe, die Vernichtung des Judentums in Europa, im Sinne der von Richard Wagner heraufbeschworenen „Endlösung“, deren „Untergang“. Zwingend vermag der Autor aufzuzeigen, daß Hitlers Wirken - im Sinne einer Wagner-Inszenierung - mehr von theatraler Wirkung und Überwirklichkeit bestimmt war als von politischer Realität. Hitler barg sich hinter vielen Masken, weiß Köhler treffend zu analysieren und spannt damit auch wieder den Bogen zu dessen Vorbild Richard Wagner, dessen stete Vieldeutigkeit schon Nietzsche in das Bild des vieldeutigen Zauberers gefaßt hat. Daß Hitler für seine Auftritte auch wirklich Maske angelegt und seinen Augen durch Schminke Nachdruck verliehen hat, steht zwar nicht bei Köhler zu lesen, aber dies hat der Filmregisseur Maxim Osward aus eigener Anschauung überliefert. Insgesamt fällt bei „Wagners Hitler“ - wie schon bei Köhlers Nietzsche-Buch - die Tendenz auf, das Material zugunsten der behaupteten These über einen Kamm zu scheren. Manches, was von Altnazis und auch von Wagners Schwiegertochter Winifred im Nachhinein behauptet wurde, nimmt Köhler allzu schnell als bare Münze. Klar, daß die nationalsozialistischen Bayreuther Kreise die erklärt prosemitische Haltung Siegfried Wagners ein Dorn im Auge war und daß sie später entschuldigend Gründe suchten, warum er sich „etwas reserviert“ verhalten habe (Hans Severus Ziegler). Jenseits angeblicher, nur in dubiosen Abschriften erhaltener Äußerungen Siegfried Wagners aus den frühen zwanziger Jahren pro Hitler stehen nicht nur eine Reihe gegenteiliger, im Original vorhandener Briefe entgegen, sondern insbesondere seine letzte Oper, in der Wagner junior Hitler als brutal-sadistischen Räuberhauptmann dekuvriert und deren Libretto der Komponist 1929 in einem Akt enormer Zivilcourage breiten Kreisen zugänglich gemacht hat. Dies und manch andere Details, beispielsweise überliefert in Friedelind Wagners Memoiren „Nacht über Bayreuth“, auf die sich Köhler sonst gerne stützt, übergeht der Autor also wohl wissend aber stillschweigend. Verfälschung der Geschichte Die uneingeschränkte Rolle der Wagner-Erben pro Hitler, wie sie Köhler zeichnet, erweist sich da durchaus als Geschichtsklitterung. Denkt man Köhlers Hitler konsequent weiter, so hätte auch der „Fliegende Holländer“ im Dritten Reich auf dem Index stehen müssen, denn die Vereinigung der nordischblonden Senta mit dem „ewigen Juden“ ist in der Terminologie des Dritten Reichs ein Akt der „Rassenschande“; gleichwohl stand selbst der späte Wagner zu dieser glücklichen Vereinigung, denn für seine Münchner Bearbeitung der „Holländer“-Partitur - nach der Vollendung von „Tristan und Isolde“ - hat der Komponist sogar einen noch erweiterten Erlösungsschluß angefügt, zu dem die Gestalten Holländer und Senta verklärt gen Himmel schweben sollen. Offenbar ist doch nicht immer alles so einschichtig deutbar. Und daß der „Antichrist“ nicht zwangsläufig mit dem Juden gleichzusetzen ist, beweist etwa das 1935 vollendete „Bühnenweihefestspiel“ des 1944 in Auschwitz ermordeten, von Wagner beeinflußten Komponisten Viktor Ullmann, „Der Sturz des Antichrist“. Bezugnehmend auf Marc A. Weiner (Richard Wagner and the Anti-Semitic Imagination, Lincoln 1995) führt Köhler an, Wagner habe Klingsor, den Juden im „Parsifal“ nicht nur im maurischen Ambiente, sondern konkret als Rabbi darstellen wollen. Das denkbare Gegenargument gegen die Deutung Kundrys als Jüdin, Kundry sei in einem ihrer Vorleben nicht nur Herodias sondern auch Gundryggia, ein nordische Walküre (also wohl schwerlich eine Jüdin!) gewesen, will Köhler mit dem Attribut „kriegerisch“ entgegensteuern. Löcher im Zaun Als Lücke empfindet der Leser die sehr sporadische Auswahl der Zitate, da nur das zitiert wird, was Köhlers Thesen zu stützen scheint. Schwer fällt aber auch die fehlende Ausein-andersetzung mit den Arbeiten von Walter Keller („Parsifal-Variationen“, Schneider/Tutzing 1979) ins Gewicht, gerade was die hermeneutisch-musikdramatische Verarbeitung der Meyerbeer-Reminiszenzen in der „Parsifal“-Handlung, aber auch was die Hommage auf den jüdischen Komponisten Halévy in der „Parsifal“-Partitur betrifft (Richard Wagner und Jacques Fromental Halévy, Richard Wagner Jahrbuch 1994). Kellers Deutung des dominierenden Wagnerschen Anarchismus, nicht nur im „Parsifal“, sondern als Summe von Wagners Kunst- und Weltanschauung, wird durch Köhlers Exegese nicht außer Kraft gesetzt.

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