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Greil Marcus: Dead Elvis. Die Legende lebt. Hannibal Verlag, St. Andrä-Wördern 1997, 320 Seiten, 29,80 Mark.Wo warst Du als Elvis gestorben ist? Das war eine Frage, die einem Mitte August 97 oft gestellt wurde, jährte sich der Todestag des „Kings“ doch zum zwanzigsten Mal. Greil Marcus, der amerikanische Mythomane und Pop-Geschichtsschreiber, befand sich zu diesem Zeitpunkt nicht in „Graceland“, sondern auf „Blue Hawaii“: „Ich wollte es nicht wahrhaben, nein, auf gar keinen Fall, aber gleichzeitig wußte ich, daß es stimmte ... Ich ging hinunter in die Bar unseres Hotels und bestellte mir einen Jack Daniel’s – direkt aus Tennessee, genau wie Elvis Presleys erste Single.“
Und so rasen wir mit Greil Marcus den „Lost Highway“ hinunter in den Süden, das Herz Amerikas. Hören wir dem legendären „Sun“-Produzenten Sam Phillips zu, der Elvis 1954 in Memphis entdeckt hat: „So wie ich es sehe, bestand mein größter Beitrag darin, einen Freiraum im Künstler selbst zu erschließen, ihn beim Ausdruck der Dinge zu unterstützen, die er für seine persönliche Message hielt. Unglücklicherweise hatten diese Leute kein Ego. Sie hatten eine Sehnsucht – doch mit jemand klarzukommen, der geträumt, geträumt, und wieder geträumt hatte ... mußte man eine rein instinktive Begabung haben, aus diesen Leuten die Dinge herauszuholen, die sie zu offenbaren hatten. Man mußte schön bescheiden bleiben.“
Diese Einstelllung machte Sam Phillips zum „Vater“ der amerikanischen Pop-Musik nach Robert Johnson und Hank Williams: Johnny Cash, Jerry Lee Lewis, Roy Orbison und Elvis waren seine Schützlinge gewesen in einer Zeit der Unschuld. Wenn man zwischen den Zeilen liest, ist Phillips deshalb bei Marcus zum Schutzheiligen von „Dead Elvis“ geworden. Als Elvis zu Colonel Parker wechselte, schloß er da einen Pakt mit dem Teufel? Von Anfang an hätten die Leute wissen wollen, ob Elvis in den Himmel oder die Hölle gekommen sei, berichtet Marcus, und aus dieser scherzhaften Frage sei eine „neue Sprache“ entstanden: „Die Geschichte wand und schlängelte sich, sie wurde zum Labyrinth, ihre Geschwindigkeit nahm zu, sie bewegte sich mit der Wucht einer durch ein Museum tobenden Flutwelle voran, und es tauchten seltsame Gestalten auf: Elvis Christus, Elvis Nixon, Elvis Hitler, Elvis Mishima, Elvis als Gottheit, Elvis im Körper von Serienkillern, Heiligen und Unholden.“ Dieses Buch verfolge, wie sich viele Menschen angesichts seines Todes in das Abenteuer verwickelt gesehen hätten, seine Geschichte neu zu schreiben, meint Marcus und er fügt hinzu: „... womit ich sagen will, ihre eigene.“
„Dead Elvis“, erschienen erstmals 1991 in den USA, ist eine obsessive, mit Artefakten übersäte Studie des Elvis-Wahns, der Amerika seit seinem Tod heimsucht. Ein Jahr nach der Veröffentlichung ist Bill Clinton Präsident der Vereinigten Staaten geworden. Als „Elvis Presley mit Taschenrechner am Gürtel“ hat ihn die „Washington Post“ im Wahlkampf bezeichnet. Für Marcus war es die „Elvis-Wahl“: „Elvis Presley ist die extremste Verkörperung der Möglichkeiten, ein Inbegriff von Wiedergeburt und Niederlage. Ihn umgibt eine unzerstörbare Aura aus Glamour und Sehnsucht: ein Spiegel, der Schrecken und Würde, Erfolg und Scheitern, Stolz und Schande reflektiert.“
Die Gleichsetzung von Elvis und Clinton werfe deshalb echte Fragen auf, nicht nur über den Präsidenten , sondern auch über seine Wähler, schreibt Marcus in einem der hinzugefügten Kapitel, in denen er seine Thesen bis zu „Independence Day“ weiterspinnt.