Ertugrul Sevsay: Handbuch der Instrumentationspraxis, Bärenreiter, Kassel 2005, 668 S., Notenbsp., € 68,00, ISBN 3-7618-1726-6
Wie erlernt ein Komponist eigentlich sein kompositorisches Handwerk? – Indem er „macht“. Die tätige Auseinandersetzung steht schließlich auch im Mittelpunkt des „Handbuchs der Instrumentationslehre“, das Ertugrul Sevsay jüngst vorgelegt hat: Als ein Buch, das aus der Praxis kommt und für die Praxis gemacht ist, bietet es Einblick in die Grundlagen der klassischen Instrumentationslehre, versteht sich durch seinen übungspraktischen Teil jedoch auch als Lehrbuch, das in eigens angefertigten Übungen zur unmittelbaren Anwendung des Erworbenen einlädt. Auf 668 Seiten bietet das stattliche Werk eine systematisch aufbereitete, gut lesbare Darstellung über die Grundlagen der Instrumente und ihre Verwendung im Orchester, das gegenüber seinen prominenten Vorgängern, etwa der Instrumentationslehre von Casella-Mortari, nun (endlich!) auch um die wesentlichen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts erweitert ist. Lange haben die Kompositionsklassen auf eine „Modernisierung“ des alten Casella-Klassikers gewartet, wenn ein solches Handbuch auch (naturgemäß) die sehr spezifischen Bedürfnisse der Neuen Musik nicht ganz so umfassend repräsentieren kann, wie dies in den einschlägigen Einzeldarstellungen der Fall ist (vgl. „Die Spieltechnik der Flöte“ von Carin Levine/Christina Mitropoulos-Bott).
Die Erläuterungen, die der Autor zur Handhabung der Instrumente wie auch zu ihren Spielweisen gibt, sind dabei so anschaulich und übersichtlich dargestellt, dass sich die Abläufe auch für Nicht-Freaks schnell nachvollziehen lassen. In welcher Lage kann der 3. und 4. Finger beim Kontrabass selbstständig geführt werden? Kein Problem: Ab der siebten ist’s möglich, wohingegen in den Lagen davor stets beide Finger zusammen spielen. Hätten Sie’s gewusst?
Sie überlegen, ob ein bestimmter Doppelgriff auf der Bratsche spielbar ist. Mit dem Projektionsverfahren von Alexander Palamidis (im Buch ausführlich erklärt) sind Sie auch hier immer auf der sicheren „Saite“. Andere Techniken, etwa die Darstellung der Stricharten von „Staccato volante“ bis „Ricochet“, werden überdies an einem kurzen Beispiel aus dem Repertoire erläutert. Wichtige Tabellen, etwa zur Erzeugung der Flageolett-Töne, sind dabei ebenso hilfreich wie die bildliche Veranschaulichung des Übergangs der Stricharten von „Alla corda“ bis hin zum gewöhnlichen „Staccato“. Überhaupt bleibt zu bemerken, dass Sevsays Ausführungen zu den Streichinstrumenten (und zur Harfe) zu den lohnendsten Kapiteln dieses Buches zählen, in das nun erstmals auch klassische „Insider-Tipps“ aufgenommen sind.
Auch die Kapitel zu den Holz- und Blechbläsern sind anschaulich gestaltet und lassen eine umfassende Erfahrung in diesem Metier erkennen. Wo genau steht ein Saxophon, wenn es als ganz normales Orchesterinstrument in der Partitur vorkommt? Zwischen Schlagzeug und Streichern? Nicht wirklich optimal. Besser: zwischen Klarinetten und Fagotten (sofern es nicht als Soloinstrument gedacht ist), also mitten im Holzbläsersatz. Scheint logisch, wenn man bedenkt, dass ein so spezielles Timbre in der Tat wohl am besten zwischen Klarinetten und Fagotten zur Verschmelzung kommt. Dass für das Horn ein historischer Exkurs eingefügt ist, ist ebenfalls plausibel, wenn man sich die Fülle von Ausnahmeregelungen anschaut, die für dieses Instrument bis heute in der Orchesterpraxis bestehen.
Auch die Ausführungen zu Dynamik, Dämpfer, Mundstück- und Schallröhreneffekten der Bläser wie auch über die genauen Möglichkeiten von Glissandi auf der Posaune sind lohnend und aufschlussreich. Dass die für die Neue Musik so ergiebigen Multiphonics auf der Flöte und (Bass-)Klarinette derweil ein bisschen arg kurz kommen, ist dabei sicher zu bedauern, zumal hier kaum ein Nicht-Bläser (bei den schier unbegrenzten Möglichkeiten!) wirklich Detailkenntnisse mitbringt. Auch der etwas unorthodoxere Einsatz der Pedaltöne für Posaune und Tuba (Unterdrucktechniken) wäre in der Darstellung noch wünschenswert gewesen, wie überhaupt die Entdeckung der Tuba, wie sie sich in den vergangenen Jahren in der noise- und elektronischen Szene ereignet hat, noch nicht wirklich Eingang in das ansonsten sehr zuverlässige Kompendium gefunden hat.
Neu im Bereich der klassischen Instrumentationslehre ist der mehr als die Hälfte des Bandes einnehmende praktische Teil, in dem 50 eigens angefertigte Arbeitsparticelli zur praktischen Übung einladen. Den zu Studienzwecken verkürzten Particelli stehen hier immer die „Auflösungen“ der jeweiligen Instrumentationsübungen im Original gegenüber, die von einer beschreibenden Analyse der grundlegenden Vorgehensweisen begleitet werden. Dass dieses Buch sich somit nicht nur als ein profundes Nachschlagewerk, sondern auch als ein umfangreiches didaktisches Lehrwerk erweist, lässt Sevsays langjährige Auseinandersetzung mit diesem Metier erkennen. Auch wenn das grundsätzliche Verständnis des Faches Instrumentation von vielen Hochschulen vielleicht nicht in dieser Form geteilt wird: ein persönlicher Gewinn ist dieses Kompendium, das für Komponisten, Arrangeure, Tonmeister oder Dirigenten gleichermaßen lohnend ist, schon vorab.