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Gute Theorien sind die beste Praxis

Untertitel
Grundlagen, Konzepte, Methoden: zur Reflexion und Verbesserung der Praxis des Übens
Publikationsdatum
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Ulrich Mahlert: Handbuch Üben. Grundlagen, Konzepte, Methoden, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden u.a., 2006, 414 S., € 33,00, ISBN 3-7651-0314-4

Wer glaubt, zum Thema „Üben“ sei angesichts der zahlreichen Veröffentlichungen zur Problematik längst alles gesagt, der irrt. Er studiere die Beiträge zu Problemen des Übens der 414 Seiten umfassenden Publikation und erprobe die von Experten empfohlenen zahlreichen praxisnahen Anregungen.

Der Untertitel des Buches „Grundlagen – Konzepte – Methoden“ lässt Unterschiedliches erwarten. Dem Charakter eines Handbuches als systematische Zusammenfassung eines Themas entsprechen Beiträge, die ein Problemfeld auf der Grundlage vorhandenen Wissens aufbereiten, in Einzelfällen gar Ansatzpunkte zur Weiterentwicklung der Übethematik bereithalten. Konzepte, im Sinne von noch auszubauenden Entwürfen zu einem begrenzten thematischen Teilbereich, geben Impulse zur Neuorientierung. Der Funktion eines Handbuches im Sinne von Gebrauchsanleitung werden jene Beiträge gerecht, die Hinweise für die praktische Umsetzung von Übungsvorschlägen geben; dies jedoch nicht im Sinne vorgefertigter Regeln, deren Befolgen allein schon den Erfolg zu garantieren verspricht, sondern vielmehr in der Art vorsichtig formulierter Handlungsanweisungen auf der Basis theoretisch fundierter Aussagen. In allen Aufsätzen ist der Wille spürbar, den praktizierenden Musiker mit seinen Übeproblemen nicht alleine zu lassen. Der Herausgeber skizziert in seinem Eröffnungsbeitrag „Was ist Üben?“ Übebiographien einiger Studierender, die einen Einblick in verschiedene Formen des Übens gewähren. In der zusammenfassenden Übersicht unterschiedlicher disziplinärer Ansätze zu einer Theorie des Übens arbeitet er den individuellen Selbstfindungsprozess eigenen Übeverhaltens und unterschiedliche Übekulturen heraus.
Dieser Kerngedanke persönlicher und offensichtlich auch sozial determinierter Übepraktiken kehrt immer wieder, so etwa bei Michael Dartsch zum Üben im Vorschul- und Grundschulalter, bei Horst Hildebrandts Beitrag zur Prävention von Spiel- und Gesundheitsproblemen, aber auch in Eckart Altenmüllers Aufsatz zu den neurobiologischen Grundlagen des Übens. Der Autor rät dankenswerterweise zur Vorsicht bei der Übertragung neurobiologischer, auch sportwissenschaftlicher Erkenntnisse in praktische Handlungsanweisungen. Dass bei der Betrachtung motorischer Automatisierungsprozesse beim instrumentalen Üben immer auch die kognitiven und musikalischen Aspekte zu berücksichtigen sind, bekräftigt Marion Saxer in ihrer Darstellung der Ergebnisse der Motorikforschung. Während beim Sport das Erlernen einer motorischen Fähigkeit gleichzeitig das erwünschte Ziel darstellt, sind für die musikalische Arbeit Spielbewegungen ein notwendiges, aber nicht ausreichendes Mittel für die Interpretation von Musik. Offenkundig wird das Problem bei der Frage nach dem Zusammenhang von Üben und Musizieren, einer Frage, der Christoph Richter dialektisch nachgeht, ausgehend von der Interpretation der Sonate für Klavier und Violine, KV 454. Besonders sympathisch finde ich Ansätze, die beim Üben dem Musikalischen Raum geben. Dies gilt auch für die Nutzung intuitiver Potentiale, für die Volker Biesenbender plädiert. Inwieweit technische Perfektion und musikalischer Ausdruck in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen, darüber entscheidet letztlich die Interessenlage der zu Unterrich-tenden: Das Üben von Solisten und Profimusikern ist sicher anders zu bewerten als das von Laienmusikern.

Dass der Sprachstil je nach Betrachtungsweise des vielschichtigen Phänomens „Üben“ fachspezifisch unterschiedliche Leseanstrengungen erfordert, zeigt der philosophisch orientierte Beitrag von Renate Wieland zum „mimetischen Üben“. Leichter fassbar sind die didaktischen Überlegungen, beispielhaft mit Aufgabenstellungen versehen von Anselm Ernst („Didaktik des Übens“), Gerhard Mantel („Üben und Sprechen“) und Wolfgang Rüdiger („Üben im Ensemble“). Almut Süberkrüb setzt sich mit der Rolle des Übens im Zusammenhang mit der musikalischen Lerntheorie E. Gordons auseinander.

Wer Improvisation lediglich als Spiel aus dem Augenblick heraus versteht, wird den Gedanken, Improvisation sei erlernbar, weit von sich weisen. Aber auch weit gefehlt: Üben von Improvisation ist Üben des Gehörs und des Gedächtnisses (Herbert Wiedemann). Überhaupt vertraut die aktuelle Instrumentaldidaktik stärker, als vielfach im Unterricht genutzt auf das Spiel ohne Noten. Sie setzt auch auf mentales Training (Christian A. Pohl) und bezieht den imaginären Zuhörer als Kontrollinstanz des Übenden ein (Wolfgang Lessing). Der Beitrag zum Umgang mit Fehlern von Peter Röbke korrigiert die gängige Auffassung, Fehler seien lediglich als Ergebnis des eigenen Versagens zu betrachten. Abgeschlossen wird das Handbuch mit einer Diskussion des Herausgebers mit H. Görtz, A. Müller und B. Schmieden über Körperübungen zur Intensivierung der Wahrnehmung mit allen Sinnen.

Vorrangiges Ziel des Handbuchs ist die Reflexion und Verbesserung der Praxis des Übens. Diesem Anspruch wird die Publikation voll gerecht. Vielleicht gelingt es beim Befolgen der Ratschläge, dass Üben nicht nur mühsame Arbeit, sondern auch jene von Andreas Burzik beschriebenen beglückenden Momente selbstvergessenen Eintauchens und Aufgehens in einer unabdingbaren Aufgabe ermöglicht und gelegentlich das befreiende Gefühl der Anstrengungslosigkeit vermittelt.

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