Christoph Wagner: Hand und Instrument. Musikphysiologische Grundlagen, Praktische Konsequenzen (unter Mitarbeit von Ulrike Wohlwender), Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2005, 368 S., € 36,00, ISBN 3-7651-0376-4
Seit vielen Jahren ist Christoph Wagners Arbeit über Musikerphysiologie bekannt und hoch geschätzt und es ist beleibe nicht übertrieben zu sagen, dass dieses Buch mit Spannung und Ungeduld erwartet wurde. Wer sind die Wartenden? Für wen ist dieses Buch geeignet? Alle (!) diejenigen, die zum Musizieren ihre Hände benötigen und bei sich oder ihren Schülern/Studierenden Spielhemmungen beobachten oder Schäden verstehen und möglichst beseitigen wollen. Also Musiklehrer, Musikstudierende und – im Sinne einer selbstverordneten Pflichtlektüre: Professoren.
Vielleicht wird diesem Werk am ehesten Gerechtigkeit zuteil, wenn ich als einer unter vielen Typen von Benutzern individuell meine Suche und deren Resultate schildere: Als Pädagoge und Methodiker mag man zuerst auf die Chance eines erleichterten Einstiegs für Neuinteressenten schauen. Man findet – wie vom Verlag verheißen – Lehrbuch, Nachschlagewerk, Ratgeber. Uns Neugierige interessiert zuerst das Nachschlagewerk und wir finden im Inhaltsverzeichnis, was wir als Erstes wissen wollen: „Die instrumentenspezifische Untersuchung der Hand“. Die Unterteilung führt zu Pianisten, Streichern, anderen Instrumenten. Sofort an der eigenen Hand ausprobieren wird man die eingelegten Messtabellen, differenziert nach Frauen und Männern und zusätzlich beigefügt speziell für die Hand der 10- bis 14-Jährigen (wie sinnvoll!). Schon 1985 auf dem EPTA Kongress wies Wagner darauf hin, dass eine einzige kleine, oft unsichtbare Spielbegrenzung zu Krankheit führen kann. Mit Hilfe dieser Tabellen wird die Chance, solche Details zu erkennen, außerordentlich vergrößert.
Doch dies war ein Sprung mitten in das Buch. Die Kapitel der Reihe nach: A) „Hand und Instrument – ein gespanntes Verhältnis?“ B), „Das Instrument muss fast ein Teil des Spielers werden“, C) „Halten und Bewegen: Kleine Physiologie für Musiker“. Hier erfährt der Leser knapp und präzise, was er über Kraft, Ausdauer und Ermüdung, Sehnen, Haltearbeit et cetera wissen sollte. Dass jeder dieser Punkte auf eine halbe bis ganze Seite konzentriert dargestellt wird, mag die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass diese fundamentalen Informationen tatsächlich gelesen werden, mitunter wiederholt, wenn man dieses Buch als Nachschlagewerk verwendet. D) „Das Werkzeug Hand: Kleine Anatomie für Musiker“, E) „Die instrumentenspezifische Untersuchung der Hand“ (siehe oben!), F) „Wie unterschiedlich sind Musikerhände?“ und G) „Musikerhände – Musikerschicksale“. Wer die Materie dieses Buches bislang noch als beliebiges Beiwerk für die Interessierteren – vor allem der Lehrenden – hielt, dem wird dieses Kapitel die Augen öffnen können. Vor allem die vielen überzeugenden Hinweise, in der Praxis ja tausendfach analysiert und bewährt, lenken unseren Blick auf Bereiche, die selbst einem Interessierten verborgen bleiben könnten: „Vorsicht: Nebenfach!“ Ja, es muss nicht der Hauptfachlehrer schuld sein, wenn auf der Geige plötzlich ein physiologisches Problem auftritt! Unter den Kapiteln „Frühe Anzeichen“, „Erfolgreiche Hände“ bis zum Bereich der Prävention findet man dasjenige, was man wohl selbst als das Erforderliche bezeichnen würde.
Im letzten Kapitel H) finden wir noch „Konsequenzen aus der Einschätzung der Hand“: Kann ich die Hand durch Training überhaupt verändern? Kann ich das Instrument verändern? Ein umfangreicher Anhang bringt für denjenigen, der es – schnell überschaubar – genauer wissen möchte, Statistisches.
Fazit: Es gibt bereits eine beachtliche Reihe von Büchern zum Thema Musikergesundheit und -physiologie, in denen zum Teil auch Fragen des Lernens, Auswendigspiels, Aufführungsängste et cetera in wunderbarer Weise abgehandelt werden. Diese werden nicht ersetzt durch Wagners Buch. Aber dieses ist in seiner klar umgrenzten Thematik das Standardbuch über Hand und Instrument überhaupt. Möge es in unserer hochperfektionierten Musikwelt eine heilsame Informationsquelle für jedermann werden!