Das Geschäft eines Musikverlages war zu jeder Zeit Herausforderung und Verpflichtung zugleich. Dies zu erkennen, bedurfte es nicht erst der aktuellen, tief in das Kulturleben hineinwirkenden Gesundheitskrise. Ein Blick in die wechselvolle Geschichte der großen Verlagshäuser (vor allem im deutschsprachigen Raum) lehrt aber auch, dass es trotz eines Schwarzen Freitags, eines Zweiten Weltkriegs oder der Digitalisierung immer auch ein „Weiter“ gab. Dies zeigen in aller Deutlichkeit die Annalen des Schott-Verlags, der heuer sein 250-jähriges Bestehen gerne ausführlicher gefeiert hätte – um genauer zu sein: die 250. Wiederkehr der Eröffnung eines Geschäfts „für Notenstich und -druck“ von Bernhard Schott in der Mainzer Rosengasse; denn Ausgaben haben sich erst ab 1779 erhalten.
In einer Zeit, in der letztlich vergängliche Feierstunden entfallen, richtet sich der Fokus vor allem auf Gedrucktes, das auch auf längere Sicht bleiben wird. Und so sind es gleich drei Publikationen, die mit ganz unterschiedlichen dokumentarischen Blickwinkeln wie methodischen Ansätzen die Historie des Schott-Verlages (oder eines Teils davon) beleuchten.
An erster Stelle steht die „offizielle“ Schau auf die Verlagsgeschichte – ein großformatiger, reich bebilderter und farbig gedruckter Band, bei dem Bekanntes wie Unbekanntes einem breiteren Interessentenkreis zu einem bemerkenswert wohlfeilen Preis präsentiert wird. Wie bei solchen Publikationen üblich, handelt es sich um einen chronologischen Durchgang von den Anfängen bis zur Gegenwart. Es werden hauptsächlich harte Daten und Fakten genannt, wobei die informativen Texte bisweilen etwas trocken anmuten. Denn tatsächlich hat man (erfreulicherweise!) an Anekdoten gespart und hebt nur gelegentlich Markantes noch einmal in Randglossen hervor. Die Unterteilung in verschiedene Zeiträume (Anfänge, Wachstum, Wagner…) bringt es freilich mit sich, dass übergeordnete Aspekte des Verlagswesens kaum Berücksichtigung finden. Nur wer sich ein wenig auskennt, wird gerade im Bereich der im 19. Jahrhundert gegründeten (und teilweise auch wieder geschlossenen) Auslands-Dependencen Erhellendes erfahren. Zumeist stehen indes die mit Schott verbundenen großen Komponisten im Vordergrund; die in den 1920er Jahren selbst veranstalteten Kompositionswettbewerbe werden nicht erwähnt. Je näher der schöne Band zur Gegenwart rückt, umso mehr verlagert sich der Blickwinkel auf eine Präsentation des aktuellen Programms; dabei hätte man hier vielleicht auch einmal auf die Geschichte und Wirkung der einzelnen Reihen und Zeitschriften deutlicher eingehen können – das findet sich dann auf dem Zeitstrahl im Internet unter 250.schott-music.com. Am Ende bleibt der Ausblick auf die kommenden Herausforderungen für meinen Geschmack leider etwas zu knapp und zu pauschal. Aber vielleicht ist dies an einem solchen großen Jubiläum, bei dem man eher auf Großes und Erreichtes zurückschaut, auch nicht das richtige Thema.
Vergessen wurden in dieser Übersicht auch nicht die dunklen Zeiten ab 1933; sie finden allerdings nur auf einer Doppelseite Erwähnung. Dass eine differenzierende Darstellung dieser Periode wesentlich ausführlicher auszufallen und weitere Kontexte einzubeziehen hat, zeigt eine genau dieses Kapitel aufarbeitende Publikation von Albrecht Dümling. Sie wurde von Peter Hanser-Strecker als geschäftsführender Gesellschafter des Verlages im Vorfeld des Jubiläums noch angeregt, eröffnet nun aber als erster Band die im ConBrio Verlag neu installierte Reihe „Musik & Zeitgeschichte“. Der Titel „Anpassungsdruck und Selbstbehauptung“ beschreibt dabei genau das auf verschiedenen Ebenen bestehende Dilemma des Schott-Verlags und seiner beiden Inhaber zwischen den unklaren Fronten der keineswegs einheitlichen NS-Kulturideologie, den wirtschaftlichen Notwendigkeiten des Betriebs und der Verbundenheit mit Komponisten-Freunden und der Kunst als solcher. Methodisch schwankt Dümling in seiner Studie zwischen einem chronologischen Durchgang („Das Jahr 1933“ bis „Das Ende“) und der exemplarischen Darstellung der geschäftlichen bis freundschaftlichen Beziehungen zu vier Komponisten: Ernst Toch (frühzeitig im Exil), Paul Hindemith (lange hilflos abwartend), Hermann Reutter (als Opern-Hoffnung in schwieriger Zeit) und Werner Egk (stramm linientreu publizierend). Insgesamt zeigt sich dabei keine durchgehende Haltung des Verlages: Wo es geht, werden alte Beziehungen aufrecht erhalten, und man versucht, sich soweit möglich politisch neutral zu verhalten, andererseits bemüht man sich (vergeblich) um die Übernahme bereits „arisierter“ Verlage (Peters, Universal Edition, Weinberger) und verdient kräftig an Soldaten-Liederbüchern. Manch’ bekannte Konstellation wird durch Dümlings Auswertung von Briefen, dem Verlagstagebuch und dem persönlichen Tagebuch von Ludwig Strecker zusätzlich erhellt – dies betrifft insbesondere die unsägliche causa Johannes Petschull, die einen noch heute erschaudern lässt. Dass wenigstens zwei der Schwarz-Weiss-Abbildungen wohl aus den 1950er Jahren stammen (S. 36 und 63), hätte redaktionell erwähnt werden müssen.
Nicht direkt zum Verlagsjubiläum gehört die voluminöse Veröffentlichung der gesamten Korrespondenz zwischen Hindemith und Schott – und doch hätte man sich kein besseres Jahr dafür vorstellen können. Zu keinem anderen Komponisten des 20. Jahrhunderts hatten die Verleger Ludwig und Willy Strecker so umfängliche geschäftliche wie persönliche Beziehungen entwickelt, kein anderer Komponist genoss solch vorteilhafte Vertragsbedingungen. Knapp 2.800 Briefe und Postkarten aus den Jahren ab 1919 sind überliefert, einschließlich der posthumen Korrespondenz mit Gertrud Hindemith – ein Füllhorn, dessen Veröffentlichung schon lange ein wirkliches Desiderat darstellte: biographisch, zeitgeschichtlich, verlagsgeschichtlich, aber auch schlichtweg zum Lesen. Ergänzt wird damit der bereits 1995 unter dem Titel „Das private Logbuch“ erschienene Briefwechsel zwischen Paul und Gertrud Hindemith, ersetzt wird mit dieser Edition in Teilen der noch immer unverzichtbare, von Dieter Rexroth herausgegebene Band mit ausgewählten Briefen von 1982. Die dichte Aufeinanderfolge der Dokumente hat vermutlich zu der Entscheidung geführt, auf gelegentlich verbindende Kommentare zu verzichten, was es mitunter schwer machen dürfte, den einen oder anderen roten Faden aufzunehmen und zu verfolgen, der nicht im umfänglichen Namens- und Werkregister verzeichnet ist. Dennoch: ein must have.
- Die Schott Music Group. 250 Jahre Verlagsgeschichte, hrsg. v. Susanne Gilles-Kircher/Hildegard Hogen/Rainer Mohrs, Schott, Mainz 2020, 144 S., € 25,00, ISBN 978-3-7957-2055-1
- Albrecht Dümling: Anpassungsdruck und Selbstbehauptung. Der Schott-Verlag im ,Dritten Reich‘ (Musik & Zeitgeschichte, Bd. 1), ConBrio, Regensburg 2020, 88 S., Abb., € 19,90, ISBN 978-3-940768-88-9
- Hindemith–Schott. Der Briefwechsel, hrsg. v. Susanne Schaal-Gotthardt/Luitgard Schader/Heinz-Jürgen Winkler, Schott, Mainz 2020, 4 Bde., 2480 S., € 99,00, ISBN 978-3-7957-1916-6