Es waren wichtige, wenn nicht sensationelle Einblicke in den Familienalltag des Thomaskantors, die man sich von den Briefentwürfen des Johann Elias Bach (1705–1755) versprach. Vor allem, da es sich um eine Auswahl von 130 Briefentwürfen handelt, die der Vetter von Johann Sebastian während seiner Tätigkeit in Leipzig von 1737 bis 1742 als Privatsekretär Bachs und als Privatlehrer von dessen jüngeren Kindern anfertigte.
Leipziger Beiträge zur Bach-Forschung, hrsg. vom Bach-Archiv Leipzig. Die Briefentwürfe des Johann Elias Bach, hrsg. und kommentiert von Evelin Odrich und Peter Wollny, mit Beiträgen zum Leben und Wirken Johann Elias Bachs von Hans-Joachim Schulze, Evelin Odrich, Martin Petzoldt und Peter Wollny, Georg Olms Verlag, Hildesheim, Zürich, New York. Es waren wichtige, wenn nicht sensationelle Einblicke in den Familienalltag des Thomaskantors, die man sich von den Briefentwürfen des Johann Elias Bach (1705–1755) versprach. Vor allem, da es sich um eine Auswahl von 130 Briefentwürfen handelt, die der Vetter von Johann Sebastian während seiner Tätigkeit in Leipzig von 1737 bis 1742 als Privatsekretär Bachs und als Privatlehrer von dessen jüngeren Kindern anfertigte. Der älteren Bachforschung schien die Existenz der über 250 bisher nur teilweise ausgewerteten Briefkonzepte aus dem Familienbesitz der Mitherausgeberin Evelin Odrich unbekannt gewesen zu sein. Um so mehr ist die Herausgabe dieser Auswahl durch Odrich und Peter Wollny zu begrüßen. Dabei sind diese Briefe eher als sozialgeschichtliches Porträt über einen während bewegter Zeiten in Leipzig studierenden, angejahrten Theologiestudenten in großen existenziellen Nöten anzusehen denn als musikgeschichtliche Dokumente, die dem Leser einen wichtigen Erkenntniszuwachs in Sachen Johann Sebastian vermitteln.Evelin Odrich befand sich auf Spurensuche nach gemeinsamen Wurzeln der eigenen sowie der Bach-Familie, als sie der Karlsruher Musikwissenschaftler Kolneder auf die Entwürfe des Bach-Vetters aus dem Besitz von J.E. Bachs ältesten Sohn Friedrich Adam aufmerksam machte. Diese wurden seinerzeit zur Auswertung dem Münchner Komponisten Karl Pottgießer übergeben, der vor allem das Beziehungsgeflecht innerhalb der Bachfamilie untersuchte.
Johann Elias Bach stammt aus der sogenannten „Fränkischen Linie“ der Bachs. Diese, zunächst in Arnstadt und Erfurt ansässig, konstituierte sich durch die Schweinfurter Umsiedlung des Kantoren Georg Christoph Bach (1642–1697), eines Bruders von J.S. Bachs Vater Johann Ambrosius. Dessen Sohn wiederum, der Schweinfurter Stadtmusiker und Obertürmer Johann Valentin (1669–1720), war Johann Elias‘ Vater. Mit dessen Tod beginnen finanzielle Engpässe für die Familie – ein Thema, das sich durch viele der vorliegenden Briefe zieht. Und ein Grund dafür war, dass Elias erst im Alter von 23 Jahren ein Theologiestudium in Jena beginnt, es abbrechen muss und erneut im Alter von 33 Jahren in Leipzig wieder aufnimmt.
Die Addressaten der chronologisch geordneten Briefkonzepte waren Familienangehörige wie seine ältere Schwester Sabina Magdalena (deren Erwähnung man in der Bach-Genealogie vergebens sucht), sein zehn Jahre älterer Bruder und seine verarmten ledigen Tanten Catharina Margaretha und Anna Sibylla Bach, die „Jungfern Basen“. Wichtige Ansprechpartner waren vor allem hochgestellte Schweinfurter Persönlichkeiten, an die Johann Elias Bach unterwürfige Bittschreiben zwecks Finanzierung seines Studiums richtete.
Devote Unterwürfigkeit zeichnen den Sprachduktus der Briefe aus, die Johann Elias an die Verteiler von Legaten und Rats-Stipendien richtete. Insgesamt sind alle Briefkonzepte dieses Schweinfurter Bachs von großer Frömmigkeit geprägt. Zudem sind sie Dokumente vertiefter theologischer Kenntnisse.
So herzzerreißend später auch der in Worte gefasste Schmerz anlässlich des Todes der Mutter erscheint – bei Familienstreit aufgrund von Erbschaftsangelegenheiten nimmt der Bach-Vetter kein Blatt vor den Mund. Diese Art Briefe, in denen es vorwiegend um Pekuniäres geht, zeigen einen Menschen, dem der tägliche Daseinskampf und die ihm aufgezwungene Servilität gegen seine Förderer einer echten Persönlichkeitsentfaltung empfindlich im Wege standen.
Johann Elias lebte in Leipzig zu bewegter Zeit, da der Präfekten-Streit die Bürger erregte und der „Birnbaum-Scheibe“-Krieg tobte. So erfüllte Johann Elias auch Wünsche von Freunden, Birnbaums Verteidigungsschrift gegen die Angriffe von Scheibe zu besorgen – Engpässe bei Buchdruckern waren allerdings der Alltag, wie die Briefe anschaulich das Leben der Leipziger in jener Zeit vermitteln.
Johann Elias Bachs Ambitionen lagen mehr auf theologischem denn auf musikalischem Gebiet, obwohl er Johann Sebastian oft zur Hand gegangen ist: So besorgte er für den Vetter so manche Textreinschrift, wie zum Beispiel für die Jagdkantate.
Wie stand es nun um Johann Elias Bachs Integration in Johann Sebastian Bachs Haushalt? Er schweigt sich darüber vorwiegend aus. Allerdings hat er ein Herz für die „Muhme“ Anna Magdalena: Er bittet seine Mutter und seine Schweinfurter Gönner mehrmals um gelbe beziehungsweise „himmelblaue Nelcken“ für Johann Sebastian Bachs Frau, die sich darauf „wie ein kleines Kind auf den heiligen Christ“ freue (Brief vom 2.9.1740). Ein Jahr später, im August 1741, bezeichnet er Anna Magdalena in einem der wenigen an den „Pappa und Herrn Vetter“
Johann Sebastian gerichteten Briefe als die „liebenswerte Frau Mamma“, als er dem gerade in Berlin weilenden Bach über eine Krankheit der Gattin berichtet. Später bedankt er sich beim Leipziger Vetter „über des vielen Guten, welches ich in dero Hause etliche Jahre genossen.“
Das liebevolle Interesse für Bachs Familie hört auch nicht auf, als Johann Elias Bach bereits als Privatlehrer in Zöschau arbeitet: Er erkundigt sich fürsorglich nach den „ehemaligen Untergebenen“ – er meint die jüngeren Bach-Kinder – deretwegen er mit Hinweis auf die Kündigungsfrist so manches Stellenangebot ausschlug.