Er hat die Musikgeschichte auf den Kopf gestellt. Aber ein eigentlicher Revolutionär war er nicht. Er stülpte nicht alles Alte um, sondern rückte seine Idee von Musik gleichberechtigt neben das, was es zur damaligen Zeit alles gab. Doch egal, ob Aufrührer oder sanfter Erneuerer: Claudio Monteverdis stilistische Neuerungen haben dazu geführt, dass er als Ahnvater gilt, als Erfinder der Oper und als harmonisch kühner Kopf, der, überspitzt gesagt, sogar als Vorläufer der Atonalen gelten darf. Er hat die Regeln des Tonsatzes ignoriert, um die Aussagen seiner Bühnen-Figuren authentisch und unverfälscht erscheinen zu lassen.
Vor 450 Jahren wurde Monteverdi geboren. 2017 ist also rundes Geburtstags-Jahr und zwei Bücher nehmen den Italiener, seine Musik und seine Neuerungen in den Fokus, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise. Der Dresdner Musikwissenschaftler Michael Heinemann nähert sich Monteverdis Musik hörend. Alles Biografische spielt nur eine sekundäre Rolle. Umgekehrt geht Heinemanns Heidelberger Kollegin Silke Leopold vor.
Sie hatte bereits 1982 im Laaber-Verlag den Band „Claudio Monteverdi und seine Zeit“ veröffentlicht (der später in revidierter Auflage erschien), doch handelt es sich bei ihrem aktuellen Buch um etwas komplett Neues, nicht um einen leicht modifizierten Aufguss der alten Ausgabe. Leopold spürt akribisch den (durchaus lückenhaften) biografischen Informationen zum Leben des Claudio Monteverdi nach. Auch seine Persönlichkeit, die er in den meisten Briefen formelhaft klug versteckt, rückt in den Fokus dieses Buches, sofern es sich quellenkritisch belegen lässt.
Da die Voraussetzungen beziehungsweise die Ansätze beider Bücher unterschiedlich sind, lassen sie sich auch nur schwer vergleichen. Viel eher darf man sie als gegenseitige Ergänzung betrachten. Heinemann beginnt bei „Orfeo“ und damit mit einem Werk der Lücken, denn die genaue Besetzung des Orchesters ist nach wie vor eine offene Frage. Und schon steckt der Leser mittendrin in einem der Kernprobleme im Monteverdi-Land: Wie lässt sich historisch bewusst so musizieren, dass es einerseits eng am Notentext erfolgt und andererseits den damals üblichen Eigenständigkeiten, die nicht schriftlich en détail überliefert sind, genug Raum bleibt? Diese Frage stellt Heinemann erst am Ende des Kapitels, zunächst stellt er uns Orfeo und die Themen vor, um die diese Oper kreist: die Macht der Kunst, die Unmöglichkeit, sich der (eigenen) Natur zu widersetzen, die Abhängigkeit von sich selbst und von Forderungen anderer. Von „Orfeo“ ausgehend, durchschreitet Heinemann auf sehr anschauliche Weise den Monteverdi-Werkkatalog, über die Madrigale, die Marienvesper bis zu den beiden späteren Opern „Ulisse“ und „Poppea“. Dazwischen geht er auf einzelne Themenfelder wie Notation und Klanggestaltung ein – all das nie gewollt abstrahierend oder umgekehrt salopp, sondern immer sprachlich lebendig. So steht Monteverdi am Ende da als jemand, der, anders als Bach, seine Welt nicht nach Zahlen und Proportionen entworfen hat, sondern der seine menschlichen Erfahrungen, seine Leidenschaften in allen Extremen in eine unmittelbare musikalische Sprache übersetzt hat, eine Sprache, die auf der Einheit von Text und Musik beruht und unmittelbar auf den Hörer wirkt, heute wie damals.
Wer sich also Monteverdi über die Hörer-Lust-Schiene nähern möchte, sollte mit Heinemann beginnen, um dann mit der biografischen Unterfütterung durch Silke Leopold fortzufahren. Leopold beginnt in Cremona, jenem Städtchen, das dank Monteverdi auf der musikalischen Weltkarte auftauchte, bevor hier namhafte Geigenbauer zur Welt kamen. Leopold erklärt genau, wer wann Mitte des 16. Jahrhunderts in dem Mailand untergeordneten Cremona das Sagen hatte und in welchem kulturgeschichtlichen Umfeld der älteste Sohn des Wundarztes Baldassare Monteverdi geboren wurde.
Bei Leopold gibt es in keinem Kapitel, in keiner Zeile Zweifel daran, dass sie nicht genau wüsste, worüber sie schreibt. Namen, Daten, Fakten – die Autorin schaut aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln auf das Leben des Claudio Monteverdi, sie sichert alles durch genaue Recherchen ab, deren Quellen sie umsichtigerweise am Ende des Buches knapp zusammenfasst, um den Lektürefluss nicht durch eine ungehemmte Zahl an denkbaren Fußnoten zu erschweren. Und wo wirklich nicht viel zu holen ist, wie im Fall der letzten Lebensjahre Monteverdis, da spekuliert Leopold nicht lange herum, sondern beschränkt sich auf das Spärliche, was gesichert ist. Auch wenn sie sich nie in den Elfenbeinturm des musikwissenschaftlichen Fachvokabulars zurückzieht, ist diese Biografie kein Buch für den Schnelldurchgang. Alles ist so gründlich, alles wird so genau abgesichert, durch Seitenblicke und historische Einordnungen, dass man am Ende der Lektüre gleich wieder von vorne beginnen könnte, um abermals Neues zu entdecken, Dinge, die einem beim ersten Mal glatt durchgegangen sein dürften.
Unter dem Strich also sind es zwei fundamental unterschiedliche Bücher zu Monteverdi. Sie zeigen zum einen die Quantensprünge, die seit dem letzten großen Monteverdi-Jubiläum 1967 musikpraktisch und musikforschend vollzogen wurden; sie zeigen zum anderen, dass man sich auf zweierlei Weisen Monteverdi als Person und als Musiker nähern kann und daraus eine wunderbare Schnittmenge erwachsen kann.
Lesen Sie auch unsere Magazin-Beiträge zum Monteverdi-Geburtstag auf den Seiten 3 und 5 in dieser Ausgabe der nmz.
- Michael Heinemann: Claudio Monteverdi. Die Entdeckung der Leidenschaft. Schott, Mainz 2017, 178 S., € 24,50, ISBN 978-3-7957-1213-6
- Silke Leopold: Claudio Monteverdi. Biografie, Carus/Reclam, Stuttgart 2017, 256 S., Abb., € 28,00, ISBN 978-3-15-011093-5