Juan Martin Koch: Das Klavierkonzert des 19. Jahrhunderts und die Kategorie des Symphonischen. Zur Kompositions- und Rezeptionsgeschichte der Gattung von Mozart bis Brahms (Musik und Musikanschauung im 19. Jahrhundert Bd. 8), Studio Verlag, Sinzig 2001, 382 S., Notenbeispiele, € 38,00, ISBN 3-89564-060-3
Nur durch eingehendere Beschäftigung mit dem Werkumfeld und mit den Kompositionen selbst kann die Diskussion symphonischer Aspekte zu Ergebnissen gelangen, die über die in Frage gestellten pauschalen Etikettierungen hinausgehen.“ Mit dieser Maxime und der aus ihr resultierenden Schlussfolgerung geht Juan Martin Koch effektiv in seiner Dissertation an seine Untersuchung heran. Dabei erörtert er ausführlich die Rezeptionsgeschichte der besprochenen Konzerte, flicht hier vor allem zeitgenössische Zitate ein, analysiert die Wechselbeziehungen zwischen den Kompositionen und der Wertschätzung der Gattung bei den Zeitgenossen und liefert fundierte Untersuchungen von Einzelwerken unter dem Aspekt des heute gemeinhin als Dichotomie dargestellten Begriffspaares konzertant-symphonisch. In seiner Einleitung weist er auf die Gefahr des „methodischen Spagats“ hin: Der Aspekt des symphonischen Charakters könne den Blick für das Eigentliche des Klavierkonzerts verstellen, und bestimmte kompositorische Eigenschaften könnten von vornherein als symphonisch definiert werden. Dieser Spagat gelingt Koch mit Bravour, behält er doch immer die gattungsspezifischen Merkmale des Konzerts im Auge. Bevor Koch sich an den Kern seiner Arbeit heranmacht, die Analyse der Konzerte von Litolff, Schumann, Liszt und Brahms, geht er ausführlich auf die Begriffsgeschichte („Symphonie mit obligatem Klavier“, „Symphonisches Konzert“) und die Situation des Klavierkonzertes bis 1840 ein. Dabei fehlen Zitate von Theoretikern wie A. P. Schulz und J. G. Sulzer ebenso wenig wie Bemerkungen von J. P. Kirnberger und A. B. Marx. Mit Marx bricht eine neue ,Ära‘ der Gattungskritik an, denn er vertrat die Auffassung, das Konzert per se könne wegen seiner Zugeständnisse an die Virtuosität nicht denselben Kunstcharakter in Anspruch nehmen wie andere Gattungen. Somit schließt er die Möglichkeit eines ,symphonischen Konzertes‘ kategorisch aus, stand doch die Sinfonie in der Hierarchie der Gattungen ganz oben.
Zu Mozarts und Beethovens Zeit hatte das Klavierkonzert einen idealen Nährboden für Komponisten geboten, die ihre Werke einer größeren Öffentlichkeit zugänglich machen wollten. „Das Klavierkonzert stellte tendenziell eine stabile und eher unproblematische Gattung dar, nicht nur, weil in ihm die verschiedenen Aspekte einer sich in zunehmendem Maße aufspaltenden Musikkultur in besonders ausgeprägter Form wirksam waren, sondern weil es sogar die Möglichkeit bot, diese Aspekte im Rahmen eines Werkes und in einer Form mit langer Tradition integrierend zusammenzuführen.“ Koch analysiert in diesem Zusammenhang Mozarts Moll-Konzerte und Beethovens letzte drei Konzerte. Er folgert: „Vielmehr wurde das, was sich aus heutiger Sicht als eine von Mozart maßgeblich beeinflusste und von Beethoven konsequent zu Ende gedachte Tendenz zur Dramatisierung und Individualisierung der Gattung darstellt, primär mit der Orchesterbehandlung in Verbindung gebracht und forderte aus diesem Grund den Vergleich mit der Symphonie heraus.“ Während dann die beiden Dekaden vor 1840 stark von einer Verlagerung des Schwerpunktes auf die Virtuosität geprägt waren und damit eine Trivialisierung der Gattung in Kauf genommen wurde, erfolgte ab 1840 eine Konsolidierung der dreisätzigen Großform.
Es mag verwundern, dass einem heute fast in Vergessenheit geratenen Komponisten wie Henry Charles Litolff eine verhältnismäßig große Gewichtung beigemessen wird. Doch er war es, der durch Werktitel wie „Concerto-Sinfonie“ oder „Concerto Symphonique“ diesen Gattungsbezeichnungen den Weg ebnete und somit auch den entsprechenden Etikettierungen endgültig zum Durchbruch verhalf. Außerdem erweiterte er die Satzfolge durch das Scherzo und vollzog somit eine zumindest äußerliche Angleichung an die Symphonie. Aber, so Kochs Fazit: In Litolffs Konzerten ist eine Reaktion auf die gewachsene Bedeutung der Kategorie des Symphonischen zwar auszumachen, insgesamt aber können sie den suggerierten Anspruch nicht einlösen. Nach Analysen von Schumanns, Liszts und Brahms’ Konzerten, jenseits von theoretischen Verallgemeinerungen, stellt Koch klar heraus, dass diese Komponisten „das Klavierkonzert als eigenständige Gattung auch jenseits der beschriebenen Integrationsfunktion weiterentwickelt und im sich verändernden Umfeld etabliert haben – nicht zuletzt dank eines kompositorischen Niveaus, welches dasjenige zeitgenössischer (auch eigener) symphonischer Werke fraglos erreicht, teilweise sogar übersteigt.“
Das Buch bietet einen fundierten Einblick in einen Aspekt des Klavierkonzerts und befreit den Gattungsbegriff von abwertenden Etiketten.