Richard Wagner war ein Meister der Selbstinszenierung. Der Anblick seines Bayreuther Wohnhauses, der Villa Wahnfried, lässt keinen Zweifel daran. Auf der Eingangsfront der repräsentativen Villa, die Wagner acht Jahre vor seinem Tod mithilfe eines großzügigen Geldgeschenks König Ludwigs des II. von Bayern erbauen konnte, ließ Wagner den Spruch anbringen: „Hier wo mein Wähnen Frieden fand, Wahnfried sei das Haus benannt“.
Doch Frieden fanden weder Wagner noch seine Erben in der pompösen Künstlervilla im italienischen Renaissancestil, die schon Wagners Gattin Cosima ein „Ärgersheim“ nannte. Das im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigte Haus konnte, nachdem es nicht mehr im Familienbesitz war, in den Jahren 1972 bis 1976, nach Gründung der Richard Wagner Stiftung endlich restauriert beziehungsweise wiederhergestellt und in ein Museum umgewandelt werden. Anlässlich des zweihundertsten Geburtstages Wagners wurde es für drei Jahre geschlossen, grundsaniert, um einen Neubau erweitert und als Museum konzeptionell vollkommen neugestaltet. Wahnfried war „immer schon mehr als der ehemalige Wohnort eines Komponisten“.
Es war neben dem Festspielhaus „der zweite Ort der authentischen Wagnertopographie Bayreuths“, war „Ideologiezentrale, Asservatenkammer und Pilgerstätte“, wie die Herausgeber Markus Kiesel und Joachim Mildner betonen. Sie haben die erste umfassende Geschichte des Hauses dokumentiert, äußerst informativ, kritisch und facettenreich. Dem Architekten des Neubaus, Volker Staab geben sie in einem Interview Gelegenheit, seinen Neubau mit „aufklärerischer Distanz“ gegenüber dem „authentischen“ Erinnerungsort zu rechtfertigen. Der Direktor des Deutschen Architekturmuseums, Peter Cachola Schmal weist darauf hin, dass der dunkel verglaste, eingeschossige Pavillon, an der früheren Grundstücksgrenze plaziert, „an der Tradition von Ludwig Mies van der Rohes“ orientiert und in seiner „Beobachterposition im Park“ ein „transparent wirkendes, in der Zusammenarbeit mit dem Ausstellungsgestalter HG Merz überlegtes und kluges Museum“ geworden sei. Mancher wird da aber anderer Meinung sein. Und vom eigentlichen Haus Wahnfried, wie es sich heute präsentiert – entrümpelt und entzaubert, weitgehend seiner einstigen Exponate, der vielen Möbel, Vitrinen, Schautafeln und Devotionalien beraubt – ist nicht die Rede.
Finger auf der Wunde
Starker Gegenwind weht Staab von Wagners kluger und unerschrockener Urenkelin Nike Wagner entgegen, die in einem brillianten Essay, ihrer überarbeiteten Eröffnungsrede „Neuwahnfrieds“, den Finger an die neuralgischen Punkte der Neukonzeption des Museums legt, an die „Mühen des langen Weges zu Wahnfried heute, die Diskussionen, Wettbewerbe, Zuständigkeitsprobleme und Versäumnisse“. Sie bescheinigt dem „neuen Wahnfried“ zwar, „nach allen Regeln zeitgenössisch-interaktiver Mu-seumspädagogik, barrierefreier correctness und klimatischer Zentralsteuerung“ den Anschluss an die Gegenwart gefunden zu haben, aber „zum Preis der Nichtwiederherstellung der historischen Gartenanlage“, in der sich nun Volker Staabs Neubau befindet, „in den die Theatergeschichte der Familie Wagner mitsamt Museums- und Archiv-Depot unter Tage verlegt wurde, in Nacht und Künstlichkeit, in ein gewaltiges Nibelheim“.
Von einer „aus den Fugen geratenen Neugestaltung“ spricht denn auch Verena Naegele, die den Hauptbeitrag des Buches beisteuert. Sie war Kuratorin der ersten Sonderausstellung „Neu-Wahnfrieds“ über die Geschichte des Hauses und hat sich durch Unmengen unerschlossener Archivalien gegraben“, so die Herausgeber. Nicht zuletzt ihr ist eine akribisch genaue Darstellung der Geschichte der Realisierung von „Wagners Vision einer repräsentativen Familien-Residenz“, ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg, der Restaurierung der „Wahnfried-Ruine“ und Umwandlung in ein Museum, schließlich dessen Erweiterung und Umgestaltung in eine Wagner-Gedenkstätte mit Nationalarchiv gelungen. Auch die puristische, konzeptionell allerdings fragwürdige Präsentation des Siegfried-Wagner-Hauses als Ort der Erinnerung an dessen berühmtesten Gast, Adolf Hitler wird nicht ausgespart. Die Herausgeber Kiesel und Mildner bemühen sich um unparteiische Sachlichkeit, weisen aber zutreffend darauf hin, dass „gerade in einer Zeit, wo die Bayreuther Festspiele ihre ästhetische und künstlerische Relevanz zu verlieren scheinen,“ die Zukunft des Hauses Wahnfried dem neuen Nutzungskonzept entspreche, „das mehr Aufgabe als Zustand“ sei: „aufgeklärter und aufklärender Erinnerungsort, Dokumentations- und Forschungszentrum, das seine Vergangenheit nicht leugnet, aber in besonderem Maße der Zukunft verpflichtet ist“.
Ansprechende Gestaltung
Das Buch enthält neben seinen informativen Texten aufschlussreiches Bildmaterial, darunter viele bisher nicht veröffentlichte historische Fotografien, aber auch Pläne und sonstige Abbildungen, es ist außerordentlich ansprechend gestaltet, hart gebunden und fadengeheftet. Dass es zweisprachig, in deutsch und englisch verfasst ist, wird seiner internationalen Beachtung zum Vorteil gereichen. Eine Publikation, die man schon jetzt ein Standardwerk nennen darf.
- Markus Kiesel/Joachim Mildner (Hrsg.): Wahnfried – das Haus von Richard Wagner, ConBrio, Regensburg 2016, dt./engl., 176 S., Abb., € 48,00, ISBN 978-3-940768-59-9