Wenn Komponisten hitverdächtig behandelt werden, muss entweder ein schneller Euro mit ihnen zu verdienen sein, oder es gibt einfach viel Neues zu sagen. Mitunter vielleicht sogar beides. Oder aber der Name des Komponisten allein ist so zugkräftig, dass sich die Buchverlage nicht scheuen, weitere Titel in ein ohnehin schon reich bestücktes Sortiment aufzunehmen. So im Fall Richard Wagner, dessen 200. Geburtstag manchen Autoren dazu bewogen hat, Umfassendes, Entlegenes, Spezielles, Überraschendes, Eingängiges oder auch Vermessenes in Druckform einem größeren Lesepublikum zugänglich zu machen.
Die Experten werden vermutlich ohne große Umwege auf die Fachverlage zusteuern, wo bei Laaber das von Daniel Brandenburg (und anderen) herausgegebene „Wagner-Lexikon“ und bei Bärenreiter/Metzler das von Laurenz Lütteken edierte „Wagner-Handbuch“ erschienen sind: zwei sich unfreiwillig ergänzende Publikationen, gewichtig, informativ, umfassend, trotz kleinerer Schwächen hier und da.
Ebenfalls eher für Wagner-Kundige ist die grandiose Essay-Sammlung „Richard Wagner und seine Medien“ von Johanna Dombois und Richard Klein. Der Titel deutet bereits ein weites, unübersichtliches Feld an, das die beiden Autoren auch gar nicht erst vollständig abstecken möchten; vielmehr haben sie sich, obwohl oder gerade weil sie den Begriff „Medien“ sehr weit auffassen, auf einzelne Aspekte fokussiert. Erfreulich thesenfreundlich werden hier theaterpraktische und theoretische Überlegungen angestellt, wie man Wagners Denken und Werk näherkommen könnte. Dieser interdisziplinäre Ansatz führt zu einer Reihe von erhellenden Erkenntnissen, denen man im Einzelnen nicht immer folgen muss, die aber im Idealfall einige Diskussionen in Gang setzen werden – mit ganz realen Folgen für die Wagner-Aufführungen von morgen.
Wer sich Wagner zunächst einmal biographisch nähern möchte und eine gewisse Komplexität nicht scheut, sollte unter den neuen Publikationen auf Martin Gecks umfassenden Band zurückgreifen, dem man oft anmerkt, wie lange sich der Autor bereits durch Wagners Welten bewegt. Auch Geck schlägt den Bogen gelegentlich ins Heute, indem er fragt, wie man Wagners Opern heute inszenieren könnte; mehr noch setzt er auf eine Verzahnung mit Nachbardisziplinen – allen voran Philosophie und Literatur –, indem er Brücken schlägt von Wagners Quellen zur Wagner-Rezeption. Der Gefahr, dass dieser Band unter Gecks Belesenheit zu ächzen beginnt, entgeht der Autor nicht immer, dennoch sind gerade die kleinen Leseinseln, mit „A propos“ übertitelt, mehr als Amuse-Gueule für Wissenshungrige. Komplex, anspruchsvoll, hochwertig.
Mit leicht anderer Zielrichtung hat der Engländer Barry Millington sein Wagner-Buch angelegt. Es ist leichter zu lesen, keine Frage. Millington schreibt ungemein präzise, sachlich und durchweg anschaulich, er ist – wie Geck – auf der Höhe des Forschungsstandes; auch wenn inhaltlich eigentlich nichts grundlegend Neues geboten wird, so ist dieser Band vor allem wegen der herausragenden Bebilderung hervorzuheben. Ob Fotos von Proben und Inszenierungen, Karikaturen, zeitgenössischen Skizzen und Zeichnungen – hier ist vieles abgedruckt, was man in vergleichbaren Büchern, auch in dieser Anordnung, nicht findet. Es handelt sich nicht nur um nette
Bebilderungen en passant, sondern um eine Art Subtext: Hier werden Bezüge hergestellt, Querverbindungen aufgedeckt und etliche Gedankenanstöße angeboten.
Mit Dieter Borchmeyer hat ein alter Fahrensmann in Sachen Wagner seinen Hut in den Ring geworfen: Den im Titel angedeuteten umfassenden Anspruch „Richard Wagner. Werk – Leben – Zeit“ löst der Heidelberger Emeritus spielend ein. Sein Vorteil ist – das hat er bereits in seinem früheren Band „Das Theater Richard Wagners“ nachgewiesen –, dass er aus der Sicht des Literaturwissenschaftlers die Bedeutung der Dramenvorlagen zu markieren und einzuschätzen weiß und außerdem manche Stoff-Vorlage genauer kennt als andere Wagner-Exegeten. Da Borchmeyer, verkürzt gesagt, behauptet, dass er in Wagners Werk keine wirklichen biographischen Spuren entdecken kann, ermöglicht ihm das einen freien Blick aufs Werk. Eher umgekehrt haben Wagners Werke auf sein eigenes Leben ausgestrahlt. Den Beweis dazu tritt Borchmeyer auf rund 400 Seiten an.
Auch Jens Malte Fischer ist unter den Wagner-Autoren kein Newcomer. Nun sind einige seiner Essays als Sammelband erschienen. Darin geht es um den ersten Bayreuther „Ring“, um das Verhältnis zu König Ludwig II., um Wagners Nachkommen nah am und weit weg vom Grünen Hügel, um die Geschichte des Wagner-Gesangs, um die alte, ewig-junge Frage nach Wagners Antisemitismus, die auch in einem fiktiven Gespräch zwischen Mahler und Wagner ihren Niederschlag findet. Die Aufsätze haben unterschiedliche Schwerpunkte und sind von unterschiedlichem Gewicht. Gerade in der Antisemitismus-Debatte gibt es inzwischen differenziertere, mitunter auch sachlicher wirkende Aussagen.
Um Wagners Wirkung geht es auch in Udo Bermbachs „Mythos Wagner“: wie Wagner selbst an seinem eigenen Mythos gefeilt, wie er Weichen gestellt hat, dass dieser Mythos posthum aufrecht erhalten wird, wie die weitere Rezeption durch die Nationalsozialisten verlaufen ist und durch Autoren, die vor und nach der Braunen Diktatur durch eine einseitig verklärte Wagner-Brille geschaut und berichtet haben. Bermbach hat ein fulminantes Buch geschrieben, das ungemein anschaulich und klar ist, sprachlich immer auf den Punkt kommt; es steckt so voller Details, dass dieser Band einer der wenigen ist, die man mehrfach zur Hand nehmen sollte, um alles mitzubekommen. Bermbach gelingt eine glänzende Verzahnung zwischen Vita und Selbststilisierung Wagner einerseits und der Fremdbestimmung nach seinem Tod andererseits.
Wer, unter rein musikalischen Gesichtspunkten, mit dem Namen Eckhard Henscheid ausschließlich den Autor von „Verdi ist der Mozart Wagners“ verbindet, dürfte bei seinem neuen Band „Götter, Menschen und sieben Tiere. Richard Wagners ‚Ring des Nibelungen‘“ zunächst überrascht sein: Hier geht es nicht um Anekdotisches und Parodistisches, sondern um eine durchaus ernste, wenn auch nicht von manch querdenkermutigem Seitenblick freie Betrachtung sämtlicher Figuren im „Ring“. Von einigen Ausnahmen abgesehen, erfolgt ihre Präsentation in der Reihenfolge ihres Auftretens in der Bühnen-Tetralogie. Henscheid nimmt kein Blatt vor den Mund, und so bekommen auch Säulenheilige wie Patrice Chéreau ihr Fett weg. Sprachgewaltig und gewohnt forsch nähert sich Henscheid dem üppigen Personen-Tableau. F.W. Bernstein hat dazu ernste und augenzwinkernde Illustrationen beigesteuert.
Wer nach so viel Wagner-Lektüre ein wenig Distanz braucht, oder umgekehrt, wer sich Wagner noch nie ausführlich genähert hat, wer keine Angst davor hat, dass durch teils spritzige Formulierungen das heilige Wagner-Denkmal bröckeln könnte, sollte sich den zehn Lektionen anvertrauen, die Enrik Lauer und Regine Müller in ihrem „Kleinen Wagnerianer“ zusammengetragen haben. Hier werden Unterhaltung und Anspruch mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit kombiniert. Wagner tritt nach der Lektüre als Mensch ungleich klarer vor unser Auge, auch sein Werk wird uns allgemein verständlich vorgestellt. Einige Seitenschlenker, etwa wenn die Autoren Wagner ein wenig psychoanalytisch auf die Pelle rücken, sind willkommene Aufreger in einer nie gewollt amüsanten Darstellung.
Bibliografie
- Udo Bermbach: Mythos Wagner. Rowohlt, Berlin, 334 S., 19,95 Euro, ISBN 978-3 871347 -31-3
- Dieter Borchmeyer: Richard Wagner. Werk– Leben–Zeit. Reclam, Stuttgart, 404 S., 22,95 Euro, ISBN 978-3-150109-14-4
- Johanna Dombois/Richard Klein: Richard Wagner und seine Medien. Für eine kritische Praxis des Musiktheaters. Klett-Cotta, Stuttgart, 512 S., 78,00 Euro, ISBN 978-3-608947-40-3
- Jens Malte Fischer: Richard Wagner und seine Wirkung. Zsolnay, Wien, 320 S., 19,90 Euro, ISBN 978-3-552056-14-5
- Martin Geck: Wagner. Biographie. Siedler, München, 414 S., 24,99 Euro, ISBN 978-3-886809-27-1
- Eckhard Henscheid: Götter, Menschen und sieben Tiere: Richard Wagners „Ring des Nibelungen“. Ein Gestaltenreigen. Reclam, Stuttgart, 222 S., 24,95 Euro, ISBN 978-3-150108-71-0
- Enrik Lauer/Regine Müller: Der kleine Wagnerianer. Zehn Lektionen für Anfänger und Fortgeschrittene. Beck, München, 261 S., 17,95 Euro, ISBN 978-3-406641-10-7
- Barry Millington: Der Magier von Bayreuth. Richard Wagner–sein Werk und seine Welt. Primus, Darmstadt, 320 S., 29,90 Euro, ISBN 978-3-863120-29-0