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Klangerzeuger, Filter und Moderatoren

Untertitel
Die kurze Geschichte des Siemens-Studios für elektronische Musik, spannend erschlossen
Publikationsdatum
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Was verbirgt sich hinter diesem sachlichen Titel? Eigentlich ist der Titel „elektronische Musik“ falsch und irreführend. Es geht gar nicht um Musik, jedenfalls nicht um Musik im klassischen Sinne. Gerade die bei Siemens entwickelte elektronische Nachrichtentechnik und die perfektionierte Röhren- und Tonbandtechnik lieferte Elemente, an die sich immer mehr Avantgarde-Komponisten neugierig herantasteten, um schließlich mit hoch gebildeten Studioingenieuren für immer speziellere Aufgaben weitere und verfeinerte Apparaturen zu entwickeln – nicht etwa, um zu musizieren oder Musik zu machen, sondern, um atomisierte Klänge, Geräusche, Töne zu speichern und mittels elektronischer Prozesse zu manipulieren, deren Elemente verfügbar zu machen und neu zu komponieren.

Der Autor stellt klar: Der Begriff „elektronische Musik“ habe sich eigentlich fehlerhaft in den täglichen Gebrauch eingeschlichen. Weil es gar nicht um die Produktion von Musik geht, sondern eben um die experimentelle Erarbeitung und Verarbeitung von Klängen und Geräuschen, freilich dann durchaus mit dem Ziel, diese im Sinne Ernster Musik hörfähig zu machen, im Interesse neuer Klangerfahrung im Mix mit herkömmlichen Instrumental- und Vokalklängen – oder einfach als Rohstoff, umzuformen zu einem Kunstwerk neuer Ordnung.

Der Autor stellt mit Recht die Frage: War Musik im Laufe der Geschichte schon einmal solchen Wandlungen unterworfen, war je so viel künstlerische Freiheit gegönnt wie jetzt an der Schwelle vom zweiten zum dritten Jahrtausend, sodass Carl Dahlhaus und Rudolf Stephan es 1955 wagten, mit der Erfindung Elektronischer Musik eine „dritte Epoche der Musik“ zu verkündigen? Denn: Der Interpret entfällt. Willkommen ist dem Komponisten die ersehnte Freiheit der Klangerzeugung. Abschied von Konzertgewohnheiten. Konzertsaal unnötig. Lautsprecher ist, wie Kagel meint, hypnotisches Medium. Soweit die Einleitung. Doch diese Frage vertieft Stefan Schenk nicht, sondern wendet sich den Daten und Fakten zu.

„Elektronische Musik“, was unter Machern wie unter Avantgardehörern auch immer darunter verstanden wurde, hat bereits etliche Entwicklungsphasen hinter sich. Die damit verbundene Technologie blättert der Autor auf und macht deutlich, wie komplex sich das Versuchsfeld schon über ein halbes Jahrhundert hin darstellt, bevor Siemens-Ingenieure um das Jahr 1955 mit einem eigenen Studio in Aktion traten. Schenks Arbeit, die auf seiner Münchner musikwissenschaftlichen Dissertation basiert, gibt zum besseren Verständnis eingangs einen konzentrierten und spannenden Überblick über das, was bislang unter elektronisch komponierten Klängen verstanden wurde, zugleich ein Stück Geschichte von Studios oder entsprechenden Ansätzen dazu, die sich mehr oder weniger erfolgreich mit elektronischen Klangmaterialien befasst haben.

Eine Film-Vertonung mit elektronischen Klängen gab 1955 bei Siemens den Anstoß: Stefan Schenk erzählt diese Geschichte. Aus einem provisorischen Labor in Gauting entsteht ein acht Räume umfassendes Studio, um für den Film „Impuls unserer Zeit“, der das Haus Siemens repräsentieren sollte, entsprechende Musik zu entwickeln. Einen leicht amüsanten Unterton mag man herauslesen. Denn wie und welche Musik zu diesem Film kam, gleicht fast einer Posse. Zu deren Hauptpersonen zählen Siemens-Chef Ernst von Siemens mit seinem Direktor Siegfried Janzen und der mit Siemens befreundete Komponist Carl Orff, der seinen Schüler Josef Anton Riedl geschickt in diese Rolle hineingeschoben hat. Und Riedl war es, der dann tatsächlich an Orffs Stelle den Auftrag ausführte. Der Film erhielt bei der Präsentierung das Prädikat „besonders wertvoll“, doch die Begeisterung über die gelieferte E-Musik hielt sich, wie Riedl zu berichten weiß, bei der Präsentation 1959 in Siemens-Kreisen in Grenzen. Dennoch fand das Studio daraufhin eine Aufwertung. Das bisherige Laboratorium wurde offiziell als „Studio für elektronische Musik der Siemens & Halske AG“ in die Münchner Zentrale geholt und ausgebaut, kurzzeitig auch als „Studio für elektronische Klanggestaltung“ bezeichnet.

Allein 50 Seiten umfasst die detailliert, teilweise illustrierte Beschreibung der laufend fortentwickelten Technik des Siemens-Studios und deren Funktion, aufgeteilt nach Klangerzeugern, Filtern und Moderatoren, Geräten für Mischung, Aufzeichnung und Wiedergabe sowie Geräten für automatisierte Vorgänge. Für den Nichttechniker erläutert Schenk, der zeitweise im Studio mitgearbeitet hat, 50 Schlüsselbegriffe in einem Glossar.

Was sich Anfang der sechziger Jahre an musikalischen Kapazitäten im Münchner Studio einfand, um die Möglichkeiten für kompositorische Arbeiten zu nutzen, ist einzigartig, zugleich Beweis dafür, in welchem Maße die Ausstattung der Studios mittlerweile reif war für die Umsetzung von speziellen Klangideen und musikalischen Vorstellungen. Solches belegt auch das beigefügte Verzeichnis der im Münchner Studio unter Riedls künstlerischer Leitung bis 1962 entstandenen über 140 Werke von 50 Komponisten, teils rein elektronisch, teils in Mixtur mit herkömmlichen instrumentalen oder vokalen Elementen. Allein die Hälfte stammt von Josef Anton Riedl selbst. Wie unterschiedlich und mit welchen Mitteln kompositorisch im Studio gearbeitet wurde, erhellen insbesonders die eigenen Aussagen von Komponisten wie Herbert Brün, Mauricio Kagel und Riedl. Eine 1962 geführte Liste von Besuchern belegt das Studio als produktiven Treffpunkt von Komponisten der älteren wie der jungen Generation, von Mitarbeitern und Persönlichkeiten anderer Studios, von Rundfunkanstalten sowie von Hochschulen. Doch schon 1963 wird das unrühmliche Ende des Studios eingeläutet. Das Interesse an der einzigartig aufgestellten Einrichtung welkte.

Siemens kündigte Räume und Verträge. Kostbar entwickeltes technisches Instrumentarium wurde nach Ulm abgeschoben: doch für die dortige fast desolate Hochschule für Gestaltung war es ein Danaergeschenk. Denn auch sie konnte die finanziellen Mittel für die gut erdachte Weiterführung unter filmischen Prioritäten nicht stemmen. Sie ließ das Material fünf Jahre im Keller verstauben bis „Ehemalige“ des Siemens-Studios nachfragten und vermittelten: Was an technischem Inventar noch vorhanden und verwendbar erschien und als Dokument der Entwicklungsperiode gelten kann, fand schließlich 1994 bleibende und demofähige Aufnahme im Deutschen Museum in München. Trotz Schenks objektiver Darstellung mag man zwischen den Zeilen die Kritik einer verpassten Gelegenheit herauslesen: Die Musikstadt München, Deutschlands Eldorado zeitgenössischen Musikschaffens mit der Präsenz einer einzigartigen Komponistenavantgarde, schaffte es nicht, dieses elektronische Studio besonderen Kalibers bei sich zu etablieren – das ist auch jetzt, fünfzig Jahre danach, durchaus noch einen Nachruf, ein Bedauern wert.

Schenks Retrospektive auf die etwa zehn heißen aktiven Jahre des Siemens-Studios werden gleich einem Sinus-Ton mit wechselnder Amplitude von dem Namen Josef Anton Riedl durchzogen. Denn in starkem Maße stützt sich Schenk auf dessen Berichte und Erinnerungen, aber auch auf einige hundert weitere Fußnoten und Quellenhinweise. Schenk versteht es, diese komplizierte Materie und die vielfältigen Informationen zu dokumentieren, zu ordnen und außerordentlich verständlich zu kommentieren.

Stefan Schenk: Das Siemens-Studio für elektronische Musik. Geschichte, Technik und kompositorische Avantgarde um 1960, Hans Schneider, Tutzing 2014, 271 S., Abb., € 48,00, ISBN 978-3-86296-064-4

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