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Komponisten und ihre Exilerfahrungen

Untertitel
Ein materialreicher Band zu verfemten Musikern im 20. Jahrhundert
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Die Erfahrungen des Exils sind aus dem europäischen Bewusstsein gar nicht wegzudenken. Bis auf die west- und nordeuropäischen Demokratien waren nahezu alle europäischen Staaten im 20. Jahrhundert mit der bitteren Lektion des Exils konfrontiert – die Betroffenen mit harten persönlichen und beruflichen Erfahrungen, die Länder selbst mit dem Verlust eines Teils ihrer Elite.

Den größten Aderlass hatten Deutschland und die Sowjetunion. Ein Lexikon zu Emi­granten allein aus diesen beiden Ländern wäre ein „Gotha“ zu Wissenschaft und Kultur. Wenn das Thema Exil nach wie vor bewegt, dann meist auch deshalb, weil jeder konkrete Fall auch eine Konfrontation von Kunst und Totalitarismus widerspiegelt. Das durchzieht alle Bereiche sowohl der Wissenschaft als auch der Kunst. Der von Ferdinand Zehentreiter herausgegebene Band  „Komponisten im Exil“ macht das überaus deutlich: Das Buch vereinigt 15 Beiträge über Komponisten, die aus der Sowjetunion, vor dem NS-Regime, aus dem Ungarn Horthys, aus dem „volksdemokratischen“ Polen, aus besetzten oder bürgerkriegsgeschüttelten Ländern geflohen sind und fast alle in den USA eine neue künstlerische Heimat fanden.

Ein 16. Beitrag befasst sich mit dem koreanischen Komponisten Isang Yun, in dessen Schicksal sich die Tragödie seines geteilten Landes spiegelt. Das Buch ist in fünf Abschnitte unterteilt: Beispielhaft für die Flucht aus der Sowjetunion wurden Sergej Prokofjew und Ivan Wyschnegradsky gewählt; für die Emigration aus Deutschland stehen Paul Hindemith, Arnold Schönberg, Hanns Eisler und – eine regelrechte Wiederentdeckung – Stefan Wolpe. Flüchtlinge aus den im Zweiten Weltkrieg besetzten Ländern sind hier Erich Wolfgang Korngold, Darius Milhaud, Bela Bartók und der bei uns noch kaum bekannte Pole Mieczyslaw Weinberg. Für  eine „doppelte Emigration“ (erst nach Westeuropa, dann in die USA) stehen Igor Strawinsky und sein ebenfalls noch wenig bekannter Landsmann Arthur Lourié. 

Für Schicksale aus der Zeit nach 1945 stehen György Ligeti, der 1954 nach Großbritannien geflohene polnische Komponist und Dirigent Andrzej Panufnik, der Koreaner Isang Yun und der 1948 dem Bürgerkrieg in Griechenland nur knapp entronnene Iannis Xenakis. Alle hier genannten Komponisten haben auch im Exil ihr Werk technisch und ästhetisch konsequent weiterentwickelt. Anders als in vielen anderen Exildarstellungen, die eher einen Fokus auf politische Aspekte legen, steht hier fast immer die jeweilige künstlerische Entwicklung im Mittelpunkt der Darstellung. So wird bei der ungeheuren Vielfalt an Experimenten und ästhetischen Positionen, die für die Entwicklung der Musik im 20. Jahrhundert generell kennzeichnend ist, der überragende Einfluss Arnold Schönbergs auf viele Neuorientierungen und Experimente deutlich, sei es in der Weiterentwicklung oder auch in der Ablehnung neuer Satztechniken und Ausdrucksformen. Besonders eindringlich ist der Beitrag über Isang Yun, bei dem westliches Musikverständnis auf traditionelle Ausdrucksformen koreanischer Musik stößt.

Naturgemäß schwankt bei 16 Beiträgen das Niveau etwas; bei manchen Komponisten wird  der zeitliche Ausschnitt allzu eng gefasst. Generell hätte man sich über den Zeitraum des Exils hinaus wenigstens kurze Angaben zur gesamten Biographie gewünscht (oft fehlen sogar Geburtsort und -datum). Aber das mindert nicht den Gewinn, den der Leser insgesamt  hat, insbesondere bei den weniger bekannten Komponisten.

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