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Leider nicht sehr musikalisch

Untertitel
Aber allerlei neue Quellen in Oliver Hilmes’ Cosima-Wagner-Biographie
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Auch angesichts einer denkbaren künftigen weiblichen Bayreuther Festspielleitung schien eine neue Biographie über Cosima Wagner, die erste Bayreuther Festspielleiterin, überfällig. Bereits im Vorjahr veröffentlichte der Wagner- und Nietzsche-Biograph Joachim Köhler eine Biographie über die Tochter von Franz Liszt und Marie d’Agoult, in der die greise Festspielleiterin in fiktiven Dialogen ihr Leben Revue passieren lässt: in „Ich, Cosima“ (413 Seiten, Claassen-Verlag, Berlin) hat Köhler den jüngsten Forschungsstand auf- und eingearbeitet.

Dieses Buch wird von Oliver Hilmes, dem Autor der jüngsten Biographie, im Vorwort kurzum diskreditiert: „Bereits der Titel ist verfehlt: Wenn überhaupt, dann hätte Cosima ihre Lebensbeichte ‚Er, der Meister‘ genannt.“ Gleichwohl hat Köhler für sein Buch exakt recherchiert und die bigotte Wesensart dieser machtbesessenen Frau sehr viel treffender wiedergegeben als der jüngere Autor. Am meisten verwundert, dass der Autor, der laut Klappentext mit einer Arbeit über „politische Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts“ promoviert wurde, so wenig von Musik versteht. So wird auf keiner Seite dieses Buches darauf hingewiesen, wie oft Cosima ihrem Gatten ins Werk gepfuscht hat. Drei Nächte lang, so kann man im Briefwechsel Wagners mit Ludwig II. nachlesen, hatte ihn Cosima nicht schlafen lassen, bis er die chauvinistischen Verse in den Schlussgesang der „Meistersinger von Nürnberg“ aufgenommen hat; bei deren Komposition hat er Cosima gleichwohl ein Schnippchen geschlagen, denn sie passen weder formal noch sprachlich in das spezifisch als Großbar gebaute Opus. So erfährt man bei Hilmes auch kein Wort über Wagners Veränderung des „Götterdämmerung“-Schlusses und Wagners „Kinderkathechismus“, der das Erlösungsmotiv des „Ring“ auf Cosima bezogen relativiert, auch nichts über Cosimas nachträgliche Veränderungen der Wagnerschen Partituren von „Rienzi“ und dem „Fliegenden Holländer“ mit der Absicht, diesen die Form der Nummernoper auszutreiben.

Mit Cosimas Musikalität scheint es nicht so weit her gewesen zu sein, wie Hilmes es wohlwollend annimmt, denn sonst hätte sie Felix Mottl wohl kaum aufgefordert, eine musikalische Figur, die es nur im Klavierauszug, nicht aber in der Partitur des „Tristan“ gibt, mit dem Orchester deutlich herauszuarbeiten. Geradezu peinlich ist es, wenn sich Hilmes zum Thema des Zerwürfnisses zwischen Friedrich Nietzsche und Richard Wagner auf einem Forschungsstand von vor einem halben Jahrhundert bewegt – möglicherweise nur, um nicht Joachim Köhlers Erkenntnisse heranziehen zu müssen. So ist der Autor etwa auch mit dem Werdandi-Bund schnell fertig, ohne Rolf Parrs Forschungen zu berücksichtigen (Rolf Pars: Interdiskursive As-Sociation. Tübingen 2000). Was Siegfried Wagners Musik angeht, so verharrt Hilmes auf einem sehr überholten Forschungsstand, obgleich ihn auch die nunmehr zahlreich erhältlichen Tonträger eines Besseren belehren könnten. Eine Behauptung, wie „Die Entwicklung des Theaters in der Weimarer Republik ging an den Wagners spurlos vorüber“, ist angesichts der Bühnenwerke Siegfried Wagners schlichtweg falsch.

Was aber gibt es an positiven Seiten in Hilmes’ Biographie? Der Autor hat eine Reihe von Quellen aufgetan, die vordem nicht genutzt wurden, so eine autobiographische Skizze von Ludwig von der Pforten. Als ergiebig erwiesen sich auch einige zuvor kaum bekannte Nachlässe, wie die des Dirigenten Felix Mottl, des Publizisten Maximilian Harden, des Arztes Ernst Schweninger, und insbesondere der Nachlass des jüdischen Anwalts Siegfried Dispeker, der Isolde Beidler im Prozess gegen Cosima Wagner um die Frage ihrer Abstammung von Richard Wagner vertreten hat.

Aus dem Nachlass Dispekers geht hervor, dass Siegfried Wagner von seinem Schwager Franz Beidler erpresst wurde, der ihm mit Veröffentlichung von diskreditierenden Dokumenten über Siegfried Wagners homoerotische Umtriebe gedroht hat; Siegfried Wagners Antwort darauf: „Seid ausser Sorge, dem grössten Könige aller Zeiten, Friedrich dem Grossen, wurde auch Übles nachgesagt und Preussen wurde gross und stark durch ihn! Also sorgt nicht! Ich entweihe das Festspielhaus nicht!“ Insgesamt bietet die beim Verlag Siedler erschienene, flüssig geschriebene Biographie auf 495 Seiten mit zahlreichen Abbildungen nicht mehr Lesestoff als Joachim Köhlers Cosima-Biographie, aber durchaus eine Reihe neuer Quellen.

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