Hauptrubrik
Banner Full-Size

Lieder und Tänze für die musikalische Grundausbildung

Untertitel
Motivierende Musikerfahrung für ein junges Unterrichtsfach
Publikationsdatum
Body
Anne Beyer, Werner Probst, Lucie Steiner: Feuer Wasser Erde Luft; Elemente – Instrumente. Ein neues Unterrichtswerk für die Musikalische GrundausbildungIm Schatten des großen Interesses, das die Musikalische Früherziehung seit über 25 Jahren begleitet, ist die Musikalische Grundausbildung als alternativer Einstieg für Grundschulkinder in die Musikschule vielerorts eher in den Hintergrund der musikpädagogischen Aufmerksamkeit getreten. Dabei birgt gerade dieses Unterrichtsangebot ebenso vielfältige und vielleicht heterogenere Probleme. Verwiesen sei hier auf die unterschiedliche Qualität und Kontinuität des Grundschulmusikunterrichts, auf die große soziale Breite der Adressatengruppe und auf die damit verbundene unterschiedliche allgemeine und musikalische Sozialisation, innerhalb deren der Einfluß der Medien auf die Vorliebenbildung drastisch zunimmt. Didaktische Konzepte können die gegebene plurale Situation zugunsten eines klaren Prioritätenprofils ignorieren, indem sie zum Beispiel die Musiklehre, die Volksmusik oder die Kunstmusik ins Zentrum stellen, oder sich mit Jazz-, Rock-, Schlager- oder anderen populären Materialien zum Mitspielen Marktanteile zu sichern versuchen. Sich der pluralen Situation zu stellen, bedeutet sorgfältige Zieldiskussion und gegebenenfalls den Abschied von geschätzten und liebgewordenen Traditionen. Anne Beyer, Werner Probst und Lucie Steiner haben den Versuch unternommen, der Unübersichtlichkeit des Unterrichtsfeldes Musikalische Grund-ausbildung angemessen Rechnung zu tragen, und in ihrem neuen Unterrichtswerk ein hinreichend komplexes Angebot vorgelegt, das durch bindende Leitideen vor dem Auseinanderfallen bewahrt bleibt. Neben einem Lehrerband umfaßt das Material zwei Spielbücher für die Kinder und zwei CDs mit Liedern und Tänzen sowie weiteren Hörbeispielen. Äußeres Erscheinungsbild, Illustrationen und Druck sind funktional und ästhetisch ansprechend. Die Illustrationen vermeiden eine anbiedernde Nähe zum Comic. Für die Unterrichtspraxis sind drei Einsatzmöglichkeiten vorgesehen: als zweijähriger Kurs, als einjähriger Kurs unter besonderen Bedingungen und als Orientierungsphase nach der Musikalischen Früherziehung. Zwei Aspekte halten das Werk zusammen: „Im Mittelpunkt dieses Unterrichtswerkes steht das Vertrautwerden mit Musikinstrumenten: ihrer Herkunft, ihrer Eigenart, ihren Spielmöglichkeiten. Eingebettet ist der Umgang mit Instrumenten in Spieleinheiten, die sich aus Erscheinungen der Elemente Feuer, Wasser, Erde, Luft und aus der Entdeckung von Arten der Tonerzeugung entwickeln.“ (Vorwort) Die vier Elemente bezeichnen einerseits reale materiale Gegebenheiten, die den Kindern vertraut sind und eine Fülle von Bild- und Aktionsvarianten bieten. Andererseits definieren sie in ihrer historischen Distanz zur analytischen Naturwissenschaft ein poetisches Bezugsfeld eigener Qualität, das den unterrichtlichen Umgang tönt. In ähnlicher Weise erscheint Musik im Instrument quasi materialisiert, das Instrument gestattet einen Zugriff auf ihre konkrete Existenz; darüberhinaus verweist es auf die imaginative Kraft und auf die Flüchtigkeit der Klänge. „In der Entwicklung der Spiel- und Bastelideen soll eine Werkstattatmosphäre entstehen, die das Musizieren zu einer Selbstverständlichkeit werden läßt“ (Vorwort). Nach einer präzisen und informativen Einführung entwickelt der Lehrerband das musikpädagogische Konzept in 48 sogenannten Spieleinheiten, die durch neun eingefügte „Intermezzi“ ergänzt werden. Die Spieleinheiten beschreiben zusammenfassend die Schwerpunkte des Unterrichts und skizzieren eine abwechslungsreiche Dramaturgie der Bewegungs-, Musizier-, Arbeits- und Lernphasen. Damit unterscheiden sie sich wohltuend von reinen Materialsammlungen, meiden aber genauso eine unnötige Fixierung der Arbeit durch allzu starre Stundenbilder. Dehnungen, Ergänzungen und Umstellungen sind je nach Akzentuierung, Gruppenstruktur (oder Kompetenz der Lehrenden) empfohlen. In den eingeschobenen Intermezzi werden weiterführende technische Anleitungen, Bastelvorschläge und Musiklehrin- halte angeboten. Jede Spieleinheit beginnt nach der Angabe des Themas mit einer farbig abgesetzten knappen Beschreibung der intendierten Inhalte. Es folgen didaktische und methodische Ausführungen und Hinweise, Lieder und Textvorlagen. Ein Kasten mit Material- und Instrumententabellen schließt die Unterrichtsskizze ab. Viele Spieleinheiten werden durch „Tips“ komplettiert, in denen Erweiterungsanleitungen und ergänzende Ratschläge gegeben werden. Alle Bastelanleitungen sind verständlich und informativ bebildert. Ein Anhang ergänzt das Angebot um neun Lieder im Fünftonraum, Beispiele für einfache Kadenz- und Ostinatobegleitungen zu Liedern und Tänzen, sowie grundlegende Literaturangaben. Die beiden Spielbücher erfüllen mehrere Funktionen. Sie begleiten den Unterricht anschaulich mit Anregungen, Bildern und Arbeitsblättern, fassen Ergebnisse zusammen, informieren die Eltern und geben ihnen Anleitungen für kompliziertere Bastelaufgaben. Im Sinne eines organischen Übergangs scheinen mir die Spielbücher auch im anschließenden (Gruppen-) Instrumentalunterricht einsetzbar zu sein, wenn phantasievolle Lehrkräfte das Lied- oder Bildmaterial zum Beispiel für Improvisationsaufgaben einsetzen. Grundlage des methodischen Aufbaus des Unterrichtswerkes ist die Abwechslung innerhalb der Klammern Instrumente und Elemente. Die Spieleinheiten folgen unter Einhaltung einer kontinuierlichen Lernzielprogression dem Prinzip der spiraligen Ausbreitung der Ziele und Inhalte, wobei der Wechsel von Aufgabenstellungen, Themen und Musikangeboten hilft, das Interesse aufrechtzuerhalten. Um-gangs- und Versuchserfahrung wechseln mit bewußter Analyse; Vorgabe und selbständige Problemlösung ergänzen sich so, daß eine insgesamt spielbetonte Lernform bestimmend bleibt. Langjährige Praxiserfahrung (des Autorenteams und des Rezensenten) zeigt, daß die Haltung der Kinder zum Musikschulunterricht ambivalent ist. Sie akzeptieren die Musikalische Grundausbildung als Lernangebot, wollen aber gleichzeitig abwechslungsreich unterhalten werden. Diese Mischung aus schulischer Arbeit und Freizeitangebot kann sicherlich prinzipiell abgelehnt werden, scheint im vorliegenden Werk aber gut gelungen. Verläßliche didaktische Basis der gesamten Arbeit ist der Lehrplan des Verbandes deutscher Musikschulen, dessen Sachbereiche Singen und Sprechen, Elementares Instrumentalspiel, Musik und Bewegung/Tanz, Musikhören, Instrumenteninformation und Musiklehre in der Einführung rekapituliert und konkretisiert werden. Dabei fallen hilfreiche Details zur Stimmbildung und zum elementaren Instrumentalspiel auf; die Musiklehre als kognitives Training wird der motivierenden Musiziererfahrung deutlich nachgeordnet. Eine Synopse der Sachbereichsinhalte und -ziele zu jeder Spieleinheit und zu den Intermezzi macht den Lehrplanbezug transparent und erleichtert die Orientierung. Angesichts des überzeugenden Gesamteindrucks, der sich möglicherweise erst bei langer Unterrichtserfahrung voll erschließt, fallen einige Einschränkungen um so mehr auf: Es fehlen die relative Solmisation, die Arbeit mit memotechnischen Silben und der gesamte Bereich der neueren zeitgenössischen Musik. Ob der an sich verdienstvolle Einsatz singender Musikschulkinder auf der CD „Lieder und Tänze“ bei „Tic-Tac-Toe“-deformierten Grundschulkindern mehr als ein mitleidiges Parodieren anregt, kann ich nicht beurteilen, da ich auf beide Angebote verzichte. Die wohltuend unprätentiöse Gesamttendenz des Werkes mutet den Lehrkräften wie den Kindern weniger zu, als es vielleicht speziell für die Musikschule im Gegensatz zur Grundschule angemessen wäre. Vielleicht hat das Autorenteam in weiser Bescheidenheit auch daran gedacht, daß zu viele Grundstufenlehrkräfte an Musikschulen keine angemessenen Ausbildung haben. Der Anhang B: „Begleitung mit den Hauptdreiklängen“ im Lehrerband läßt Schlimmes vermuten.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!