Robert Göstl: Chorleitfaden. Motivierende Antworten auf Fragen der Chorleitung, Band 1, ConBrio, Regensburg 2006, 120 S., € 22,00, ISBN 978-3-932581-78-1
Welchen Chor will ich? Wie erreiche ich die Menschen? Wodurch macht Stimmbildung Spaß? Auf diese und weitere so genannte W-Fragen will der CHORLEITFADEN motivierende Antworten bieten. Nach seiner ersten – sehr beachtenswerten – Publikation (Robert Göstl: Singen mit Kindern, Regensburg 1996) legt der Autor nun ein Werk vor, das die differenzierte Auffächerung der wichtigsten Fragen einer vielfältigen Chorleitungspraxis verspricht. Es handelt sich um ein Verbundwerk in zwei Bänden mit einer umfangreichen DVD, von dem der erste Band jetzt erschienen ist. Göstl stellt zu Beginn die wichtige Frage nach den Zielen, die ich als Chorleiter/-in habe und denen, die diejenigen haben, die in Chören singen, denn diese sind nicht immer leicht zusammenzubringen. Seine drei großen Themenfelder sind die Dimensionen von Chorarbeit und Organisationsformen von Chören, die chorische Stimmbildung und die Probenmethodik ungefähr je zu einem Drittel. Ein ausgewähltes Glossar von „a cappella“ über „Brummer“ und „Mutationsdreieck“ bis „Zwerchfell“ verweist sowohl auf entsprechende Kapitel des Buches, als auch auf ein überschaubares kommentiertes Literatur- und Medienverzeichnis. Eine solche Auswahl ist immer subjektiv und wird nie vollständig sein. Sie beleuchtet allerdings recht griffig Worte wie beispielsweise „Forcieren“, „indifferent“ „Kopfstimme“ oder „Phrase“, die in der Praxis oft unscharf angewandt werden. Andere wie „Kammerton“, „Motette“ und „Oratorium“ benötigt wohl nur, wer wirklich ganz am Anfang steht. Der zweite Band, der für das Frühjahr 2007 angekündigt ist, wird sich unter anderem mit Chorliteratur, dem Umgang mit Partituren, dem Dirigieren und einer weiteren Vertiefung über das Sozialgefüge Chor beschäftigen. Das didaktische Konzept lässt sich also dahingehend interpretieren, dass Grundlagen der Schlagtechnik vorhanden sein sollten beziehungsweise auch nicht alleine aus Büchern gelernt werden können. Wenn diese Grundlagen verbunden mit einer musikalischen Vorstellung vorhanden sind, entstehen erst einmal viele andere Fragen (siehe oben).
Wenn auch viele einzelne Themenbereiche wie Stimmbildung, Dirigiertechnik, Rechtsfragen und so weiter ständig in aktualisierter Form auf den Markt geworfen werden, so fehlte ein solches Handbuch in Form eines Kompendiums bisher. Die Sprache ist durchweg fachlich qualifiziert, dabei aber doch sehr persönlich. Göstl ist stark von der Kirchenmusik geprägt. Es gelingt ihm jedoch, praxisrelevante Erfahrungen nicht nur zu berichten, sondern durch seine Reflektiertheit diese auch zu systematisieren und damit eine nachhaltige Übertragbarkeit zu ermöglichen. Er stellt oft polarisiert die Bandbreite von Möglichkeiten dar und überlässt es den Leser/-innen, ihre Position zu finden. Dabei tut der Autor seinen persönlichen Standpunkt zu Traditionen durchaus kund, zum Beispiel wenn es um Musik im kirchlichen Raum geht (S. 18/19).
Die notwendige Erwähnung differenzierter Phänomene – etwa bei der Beschreibung soziologischer Zusammenhänge von Erziehung und Werten („Tugenden“) – verbleibt zuweilen durch die notwendige Verkürzung in Allgemeinplätzen (zum Beispiel S. 13). Das ist – wie so oft bei schlanken Publikationen – der Preis für die Fülle der angerissenen Themen. Gleichwohl gewinnt der Autor dadurch die Möglichkeit, künstlerische, soziologische, ästhetische und pragmatische Fragen zu vernetzen. Oftmals bringt er aber auch ganz wesentliche Dinge in beeindruckender Kürze auf den Punkt, wie bei der Beschreibung der Grundzüge funktionaler und intentionaler Stimmbildung (S. 56/57). Besonders beliebt werden die grauen Kästchen im Text sein, die eine Fülle von Tipps nach dem Motto „aus der Praxis für die Praxis“ im jeweils thematischen Kontext anbieten. „Niemand darf sich mit dem hier Gebotenen zufrieden geben...“ fordert der Autor im Vorwort. Dies erscheint mir unter folgendem Gesichtspunkt sehr wichtig: Die ansprechende Aufmachung, die übersichtliche Zusammenstellung und der direkt wahrnehmbare reflektierte Praxisbezug mag – besonders Anfänger/innen – dazu verleiten, alles eins zu eins übertragen zu wollen. So muss zum Beispiel der Umgang mit Checklisten gelernt sein, selbst wenn sie wie hier hilfreich strukturiert sind. Checklisten sind besonders nützlich für wiederkehrende Aufgaben als Standardisierung, die Arbeit spart. Bei Checklisten, die Selbsteinschätzung und Selbstorganisation behandeln, beginnt die eigentliche Arbeit nämlich nach dem ehrlichen Ausfüllen. Da sind Fragen wie diese zu beantworten: Warum ist die Situation so, wie ich sie gerade aufgeschrieben oder angekreuzt habe? Welche Standards mache ich zu meinen? Wo liegen meine besonderen Stärken und was folgere ich aus all dem?
Gut beraten ist, wer das angebotene Material dahingehend auf seine Situation hin durchdenkt und ergänzt. Ein gewisses Grundhandwerk und Praxiserfahrung in der Chorleitung vorausgesetzt, kann jede/-r von diesem Werk profitieren. Allen, die sich in der Ausbildung bzw. Weiterbildung befinden oder gerade damit beginnen, kann dieses Werk eine hilfreiche Begleitung sein. Erfahrene Chorleiter/-innen können besonders anhand der Checklisten ihre eingefahrenen Gewohnheiten überprüfen und überdenken. Manche Erfahrungen mit Fehlern müssen immer wieder selbst gemacht werden, so gut sie auch in einem Buch beschrieben sein mögen. Dieses Buch kann aber helfen, unnötige „Fallen“ im Vorfeld zu vermeiden. Möge dieser Leitfaden sich weit verbreiten und ehrlich durchgearbeitet werden. Das kann für unsere Chorszene nur von Nutzen sein. Er hat Appetit gemacht auf den zweiten Band, den man nun mit Spannung erwarten kann.